Anders als vor 40 Jahren gibt es beim Thema HIV heute keinen Grund mehr zur Panik, heißt es von der Aids-Hilfe Bremen.

Bild: Radio Bremen

Der 1. Dezember ist Welt-Aids-Tag. Die Bremer Aids-Hilfe unterstützt Betroffene seit 40 Jahren. Leiter Mario Carlo Stara-Flohr blickt zurück und erklärt, was sich verbessern muss.

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HIV-Zahlen sind in Bremen leicht angestiegen

Laut den neusten Zahlen des Robert Koch-Instituts haben sich im Jahr 2024 deutschlandweit rund 2.300 Personen mit HIV infiziert, das sind etwa 200 mehr als im Vorjahr. Auch im Land Bremen sind die Zahlen der Neuinfektionen gestiegen. 2023 infizierten sich 61 Menschen mit dem Virus und 2024 waren es 72. Das teilte die Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Die Linke) mit.

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1.200 bis 1.300 Menschen in Bremen leben mit dem HI-Virus, schätzt Mario Carlo Stara-Flohr von der Aids-Hilfe Bremen. Doch heute bedeutet das etwas ganz anderes als vor 40 Jahren, denn die Medizin hat große Fortschritte gemacht. Wer sich rechtzeitig in Behandlung begibt, kann mit der Erkrankung auch alt werden, außerdem gibt es dann keine Ansteckungsgefahr mehr. Was sich sonst noch verändert hat — und welche Dinge sich in den Köpfen noch ändern müssen, darüber haben wir mit Stara-Flohr gesprochen.

Was ist heute die häufigste Frage in Ihren Beratungen?

Die häufigste Frage ist tatsächlich immer noch die nach einem sehr diffusen Ansteckungsrisiko. Da haben Menschen Angst, sich mit HIV infiziert zu haben und beim näheren Gespräch stellt sich eine völlig belanglose Situation heraus. Bei 99 Prozent der Menschen, die bei uns anrufen, sind es wirklich diffuse, irrationale Ängste, die zu einer Anfrage führen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Zum Beispiel, wenn ein Mann bei uns anruft und erzählt, dass er am Wochenende im Bordell war und ein Kondom benutzt hat. Aus medizinischer Sicht hat er alles richtig gemacht, da sagen wir natürlich: ‚Das ist kein Ansteckungsrisiko‘. Er sieht das natürlich erfahrungsgemäß anders, weil bei den Klienten ein moralischer Aspekt noch dazukommt und die Situation bei sich selbst anders bewertet wird. Männer können sich bei Frauen nur unter ganz schwierigen Umständen mit HIV anstecken. Selbst ohne Kondom ist das Risiko nicht so hoch. Da merkt man dann relativ schnell, dass es da kein Risiko gab und das müssen wir dann auch aufdröseln, dass sich solche Mythen, wie sich HIV überträgt, nicht weiterverbreiten.

Mario Stara-Flohr von der Aids-Hilfe Bremen guckt in die Kamera.

Mario Carlo Stara-Flohr berät bei der Aids-Hilfe in Bremen und ist deren Pressesprecher.

Bild: Aidshilfe Bremen

Hat sich in der Beratungspraxis gar nicht so viel verändert im Vergleich zu Ihrer Gründung vor 40 Jahren?

Die Aids-Hilfe war früher eine Selbsthilfegruppe, sie hat sich aus Menschen zusammengesetzt, die selbst betroffen waren, die keine Hilfe hatten, weil es einfach gar nichts gab. Selbst Ärzte, medizinisches Personal war komplett überfordert mit dieser Situation. Die Politik hat sich auch nicht zu helfen gewusst, hat von einer Deportation auf eine einsame Insel gesprochen, da gab es ja von der CSU ganz fürchterliche Vorstellungen, wie man mit Erkrankten umzugehen hat. Aus dieser Situation der Angst heraus und vor allem auch, dass immer mehr Menschen nach relativ kurzer Zeit daran gestorben sind, haben sich die ersten Selbsthilfegruppen gegründet. Das war nochmal eine ganz andere Situation, auch was die Beratung und die Aufklärung betraf.

Heute ist es eher so, dass sich Mythen und Ängste über 40 Jahre hinweg gehalten haben, da bin ich doch erstaunt, dass noch Menschen anrufen, die sagen: ‚Ich habe aus dem gleichen Glas getrunken — besteht ein Infektionsrisiko?‘ Teilweise sind es Menschen, die 20 oder 30 Jahre alt sind, die die Aids-Krise in den 80ern, 90ern gar nicht mitbekommen haben, und das wird dann so weitergetragen, ich weiß nicht, ob durch die Eltern oder die sozialen Netzwerke. Das sind tatsächlich immer die gleichen Punkte, die aufploppen und die wir auch im Jahr 2025 noch neu zu bearbeiten haben.

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Aids-Hilfe Bremen

Die Aids-Hilfe Bremen hat heute 13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Bremen und Bremerhaven. Die Arbeit wird seit mehr als 20 Jahren nicht mehr vom Land Bremen bezuschusst. Der Verein finanziert seine Arbeit durch die Überschüsse der gemeinnützigen GmbH Regenbogen. Neben Beratung, Betreuung und Schnelltests, bietet die Aids-Hilfe auch Workshops und Fortbildungen an zum Beispiel in Schulen oder der JVA. Über die gemeinnützige Regenbogen GmbH ist auch betreutes Wohnen in ihrem Portfolio. In Bremen-Nord gibt es im Kurt-Frisch-Haus Platz für bis zu zehn Betroffene.

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In der öffentlichen Wahrnehmung ist das Thema HIV heute deutlich in den Hintergrund gerückt. Ist das gut oder schlecht?

Sagen wir mal so, wir haben uns immer eine Normalität im Umgang mit HIV gewünscht, es ist auch so, dass wir als Aids-Hilfe sagen, wir müssen das Thema nicht unnötig aufbauschen. Letztlich würde ich mir eher wünschen, dass man die guten Behandlungsmöglichkeiten und die guten Präventions- und Schutzmöglichkeiten, die man neben dem Kondom heute hat, mehr in den Fokus rücken würde. Da sehe ich bei der Bevölkerung noch ein großes Wissensdefizit.

Es gibt natürlich Möglichkeiten, sich zu schützen, teilweise mit Tabletteneinnahme jeden Tag, die präventiv vor HIV schützt oder eine Tabletteneinnahme vor Risikosituationen, wenn man einen ungeschützten Sexualkontakt geplant vor sich hat. Zum Beispiel Menschen, die auf Sexparties gehen und gerne ungeschützten Sex haben möchten.

Wie geht das mit der Tabletteneinnahme? Kann das jeder machen?

Auf Privatrezept ja. Menschen mit einem erhöhten Risiko bekommen das über die Krankenkasse. Schwule Männer bekommen es, alle vulnerablen Gruppen, bei denen die Infektionszahlen höher sind oder waren, haben die Möglichkeit, das über die Krankenkasse zu machen. Das langfristige Ziel, das man dann aber weltweit hinbekommen müsste, ist natürlich, die Infektionszahlen auf null herunterzufahren. Wir sind ja jetzt schon so weit, dass mehr als 90 Prozent der Betroffenen in Behandlung sind, wenn wir von Westeuropa sprechen. Diese über 90 Prozent sind Menschen mit HIV, die nicht mehr ansteckend sind.

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Wie hat Aids das Leben beeinflusst?

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Das ist ja der Riesenfortschritt der Medizin, dass sie die Ansteckung herunterfahren kann und Menschen ermöglicht, mit der Krankheit zu leben und auch alt zu werden. Wo ist heute der größte Bedarf für Betroffene?

Bei HIV sind es die Ressentiments und die Stigmatisierung, die immer noch stattfindet. Es sind immer noch viele Vorurteile im Umlauf. Wenn Menschen von HIV betroffen sind, dann rufen Verwandte bei uns an, die Angst haben, dass sie sich anstecken können oder Betroffene selbst haben Angst auch vor der Reaktion der anderen Menschen. Das ist etwas, was sich nicht im gleichen Maße verändert hat wie der medizinische Fortschritt. Wenn man den medizinischen mit dem gesellschaftlichen Fortschritt gleichsetzen könnte, mit dem Blick auf die Krankheit, das wäre super. Aber da sind wir leider in den 90ern stehen geblieben.

Was wären die wichtigsten Punkte, die Sie Menschen sagen, die keine Vorbildung haben in dem Bereich?

Die wichtigsten Punkte sind bei HIV, dass es keine tödliche Erkrankung ist, wenn man sie behandelt, dann ist es eine chronische Erkrankung. Da muss man einfach auch nochmal einen Schalter in sich umlegen, weil jahrelang immer von einer tödlichen Erkrankung die Rede war. Natürlich sind andere Erkrankungen auch tödlich, wenn man sie nicht behandelt, aber wenn man sie frühzeitig behandelt, sind viele Erkrankungen gut in den Griff zu bekommen.

Das ist der zweite Punkt: es besteht kein Grund zur Panik. HIV ist eine seltene Erkrankung und betrifft nicht so viele Menschen, wie man sich das auf den ersten Blick vielleicht vorstellt. Von diesen Menschen, die HIV-positiv sind, sind schon die meisten in Behandlung, jedenfalls was Westeuropa betrifft, ich kann nichts dazu sagen, wie das weltweit ist. Da ist man sicher, dass mehr als 90 Prozent in Behandlung und dementsprechend nicht mehr ansteckend sind. Das minimiert das Risiko einer Ansteckung noch mal um ein Vielfaches.

Da bleibt nur noch ein ganz kleiner Pool an Menschen übrig, die in Anführungszeichen mittelmäßig infektiös wären, vielleicht auch schon länger mit HIV leben ohne es zu wissen. Bei ihnen ist die Viruslast nicht so hoch. Richtig ansteckend sind nur Menschen, die sich frisch infiziert haben. Sie haben zwei, drei Wochen danach eine sehr hohe Viruslast, weil die Antikörper noch nicht gebildet sind. Bei Langzeitinfizierten hat man ein moderates Ansteckungsrisiko und bei Menschen, die in Behandlung sind, hat man gar keins mehr.

Das Interview wurde am 13. Oktober 2025 erstmals und anlässlich des Welt-Aids-Tages erneut veröffentlicht.