Proteste in Tel Aviv: verkleidete Demonstranten sitzen auf einem Haufen Bananen.

Stand: 01.12.2025 13:21 Uhr

Mit seinem Gnadengesuch wollte Israels Premier Netanjahu sein Land versöhnen – erreicht hat er das Gegenteil: neue Proteste. Doch einige seiner Kritiker finden, Netanjahu solle begnadigt werden – unter einer Bedingung.

Von Ivo Marusczyk, ARD-Studio Tel Aviv

Montagvormittag in Tel Aviv: Eine Polizeieskorte bringt Premierminister Benjamin Netanjahu zu einer Anhörung in ein Gerichtsgebäude. Denn noch läuft der Prozess, in dem ihm Bestechlichkeit, Betrug und Untreue vorgeworfen wird.

Wie immer begleiten Proteste die Ankunft des Politikers. Eine Demonstrantin sagt, sie und ihre Begleiter seien fast jede Woche hergekommen, seit der Prozess gegen Netanjahu läuft, um sicher zu gehen, dass das Verfahren weitergeht, um ihre Ablehnung auszudrücken – „und heute ganz besonders“, sagt sie, „weil Bibi Netanjahu seine Begnadigung beantragt hat, ohne sich schuldig zu bekennen, ohne Verantwortung zu übernehmen, was wir unakzeptabel finden“.

In dem Prozess geht es darum, ob Netanjahu Luxusgeschenke im Wert von Hunderttausenden Euro angenommen hat, im Gegenzug für eine Gesetzgebung, die den Interessen reicher Gönner und großer Unternehmen entsprach.

Bananen gegen eine Bananenrepublik

Proteste gab es am Sonntagabend auch vor dem Haus von Staatspräsident Isaac Herzog. Demonstranten schichteten einen Berg aus Bananen auf, denn aus ihrer Sicht würde Israel zur Bananenrepublik, falls das Staatsoberhaupt der Justiz in den Arm fällt.

Auch Naama Lazimi, Knesset-Abgeordnete der oppositionellen Demokraten nahm an der Kundgebung teil. Die Politikerin ist aufgebracht, weil Netanjahu in einem Brief ausgerechnet argumentiert, dass eine Begnadigung die Spaltung der Gesellschaft beenden würde. „Der Mann, der keine Verantwortung für den 7. Oktober übernommen hat, der Mann, der gesagt hat, dass er nach dem Massaker mit reinem Gewissen schlafen gehe, will Einheit?“, sagt sie. Der Brief sei am Ende ein weiterer Beleg dafür, dass Netanjahu nicht geeignet sei. „Ein Brief, der die Verpflichtung zeigt, ihn vor Gericht zu bringen – und nicht, ihn zu begnadigen.“

38 Prozent für Begnadigung, 43 Prozent dagegen

Tatsächlich spaltet auch Netanjahus Gnadengesuch die Gesellschaft. In einer Umfrage des staatlichen Senders KAN sprachen sich 38 Prozent der Befragten dafür aus, dass der Präsident Netanjahu begnadigt, 43 Prozent sind dagegen. Viele sehen in dem Gnadengesuch ein politisches Manöver, um von wichtigen Gesetzen abzulenken.

Die Knesset muss in den nächsten Wochen entscheiden, ob streng religiöse, ultraorthodoxe Studenten tatsächlich mit viel mehr Nachdruck zum Wehrdienst eingezogen werden, wie die Justiz es eingefordert hatte. Und es geht auch um die Frage, ob eine staatliche Untersuchungskommission zu Versäumnissen im Vorfeld des Hamas-Terrorangriffs auf Israel ermitteln soll.

Begnadigung – wenn Netanjahu sich zurückzieht

Doch selbst einige Kritiker Netanjahus finden, Herzog solle den Premier ruhig begnadigen – allerdings unter der Bedingung, dass dieser sich aus der Politik zurückzieht. So sagt etwa der frühere Justizminister David Friedmann, die Begnadigung solle „davon abhängig gemacht werden, dass er sein Amt sofort beendet, es nicht weiterführt und für eine bestimmte Zeit nicht wieder kandidiert“. Er wolle sich nicht festlegen, ob das fünf oder zehn Jahre sein sollen, „aber in meinen Augen muss dies die Grundlage sein“, so Friedmann.

Juristen diskutieren unterdessen rege, ob ein Straferlass mitten im laufenden Prozess gegen Netanjahu überhaupt möglich ist. Viele sind der Ansicht, dass eine Begnadigung erst nach einem Schuldspruch, nach einem Urteil möglich wäre. Das berührt eine Grundsatzfrage, die in Israel seit Jahren heftig diskutiert wird: Wie unabhängig kann die Justiz agieren? Und kann die Politik die Rechtsprechung an die kurze Leine nehmen?