„Mögest Du in interessanten Zeiten leben!“ Höflicher kann man eine Verwünschung kaum aussprechen. Angesichts der Weltlage verwundert es nicht, dass dieser der Legende nach aus China stammende Spruch gerade enorm en vogue ist. So hat er seinen Weg auch in zwei Essaybände gefunden, in denen zwei Münchner Autorinnen unsere augenscheinlich destabilisierte Gegenwart reflektieren. In Joana Osmans „Frieden. Eine reale Utopie“ (Penguin) begegnet einem der unfromme Wunsch bereits auf Seite 10, in Mirjam Zadoffs „Wie wir überwintern“ (Hanser) muss man immerhin bis Seite 15 blättern.

„Zuversicht – gerade jetzt“, unter diesem Motto haben die Veranstalter der Münchner Bücherschau Osman und Zadoff „zum Gespräch über Hoffnung in schwierigen Zeiten“ im Haus der Kunst auf die Couch gebeten. Moderiert von Andrea Mühlberger, BR. Wobei Joana Osman gleich zu Anfang klarstellt, dass sie mit dem Wort „Hoffnung“ ein deutliches Problem hat. Zu passiv, zu „‚inshallah’“, zu wenig Vertrauen in die eigene Kraft.

Denn genau darum geht es den Autorinnen: Ins Handeln kommen, den vor allem von Demokratiefeinden lancierten „Disaster Porn“, hier zitiert Mirjam Zadoff Susan Sontag, durch handlungsorientierten Optimismus überwinden. Sie und Osman bieten mit ihren kaum 120 Seiten kurzen Büchern dazu Strategien an. Sehr persönlich, pragmatisch, überraschend simpel zuweilen. Dass sie sich damit angreifbar machen, von Zynikern (gendern in diesem Fall eher unnötig) mit Häme überschüttet, als naive Kalenderspruch-Lieferantinnen gebasht werden. Erwartbar, sagen sie, und nehmen es souverän in Kauf.

Biografisch verbindet die beiden Frauen auf den ersten Blick nicht allzu viel: Mirjam Zadoff, 1974 in Innsbruck geboren, einst Doktorandin bei Michael Brenner am Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur an der LMU, Historikern mit Lehraufenthalten in den USA, leitet seit 2018 das NS-Dokumentationszentrum in München. Sie ist Mutter.

Joana Osman, Jahrgang 1982, gebürtige Münchnerin, Schriftstellerin, Tochter eines Palästinensers und deutschen Mutter, ihr Vater Mohammad starb, als sie noch ein Baby war. Die weitverzweigte Osman-Familie lebt verstreut in alle Welt. Nachzulesen in ihrem Roman „Wo die Geister tanzen“. Die Autorin hat Amerikanistik, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte studiert, ist Aktivistin und Mitbegründerin der Friedensbewegung „The Peace Factory“.  Auch sie ist Mutter.

Mirjam Zadoff beginnt ihren Essay an einem Tiefpunkt, als trauernde Tochter. Der Vater ist an Krebs gestorben. „Ich kann nicht aufhören zu schwimmen. Das Wasser ist eiskalt, blaugrün und weich.“ Das kalte Wasser macht sie wach. Das Leben sei nur nach vorne interessant. An diesen Satz des Vaters muss sie denken. Anleitungen zum Glück, nein, die gibt es laut Zadoff nicht, aber Übungen zur Zuversicht, wie ein Muskeltraining, das Ausdauer erfordert.

Das Workout könnte so aussehen: Lesen als Stärkung gegen die wachsende Fantasie und Emotionslosigkeit, anti-dystopische Erzählungen in die Welt bringen. Auf die Straße gehen, mit friedlichem, zivilem Ungehorsam. Dabei die Smartphones aber besser zu Hause lassen, um den Überwachungssystemen eins auszuwischen, der Hashtag-Aktivismus über Twitter (X) war gestern. „Sorgt euch“ um andere, lautet ihr Aufruf, „schaut hin“, „be kind“. Und tragt roten Lippenstift, wie die Frauenrechtlerinnen vor mehr als 100 Jahren! Wie die befreiten Frauen in Bergen-Belsen, als Statement gegen die besiegten Nazis.

Buchpremiere

:Die Leerstellen füllen

Wie geht man um mit belastenden Gefühlserbschaften? Die Münchner Autorin Joana Osman hat einen bewegenden Roman über die Fluchtgeschichte einer palästinensischen Familie geschrieben – ihrer Familie.

Für Joana Osman waren der 7. Oktober und seine Folgen „ein Schock, den ich bis heute nicht abschütteln kann“. Doch glaubt die Schriftstellerin an die „gerade zu magische“ Wirkmacht der Narrative in Zeiten des Extraktivismus, dem umfassenden Ressourcen-Raub, der als Treiber der Polykrisen „unser gesellschaftliches Immunsystem zermürbt.“ „Destruktive Narrative sind in der Lage, ganze Gesellschaften zu spalten.“ Das einzige „Gegengift“, so Osman, seien nicht so sehr die bloßen Fakten, sondern kraftvollere Geschichten.

Sie erzählt von der „Peace Factory“, jenem Online-Projekt, das sie zusammen mit dem Israeli Ronny Edry aufgesetzt hat. Menschen aus Israel, aus den Palästinenser-Gebieten, aus Iran erzählten sich gegenseitig ihre Geschichten. Harte Gespräche, „nichts davon war leicht.“

„Frieden ist nicht das Ende von Krieg“, sagt Joana Osman, in Hinblick auf Trumps Gaza-Abkommen, oder auch dem, was womöglich zwischen der Ukraine und Russland zustande kommen könnte. Realer Frieden, das sei der Beginn von etwas Neuem, eine Haltung, „nichts Geringeres als radikale Menschlichkeit“. Zu erreichen in drei Schritten: Missstände erkennen und klar benennen, eine konkrete Gegenvision im kollektiven Bewusstsein verankern und schließlich: „Unsere Kraft bündeln, uns vernetzen und an der Verwirklichung dieser realen Utopie arbeiten.“

Joana Osman pflegt auch in diesem Buch die schöne Eigenheit, ihren Lesern einen Soundtrack mitzuliefern, 28 Titel, Nummer 1: R.E.M., „The End Of The World As We Know It“.