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Zürich – Ausgerechnet aus der Schweiz kommt in diesen Tagen ein ungewohnt freundlicher Blick auf Deutschland. Die renommierte „NZZ am Sonntag“ hat 15 Gründe gesammelt, warum unser Land trotz Krise wirtschaftlich besser dasteht, als es der deutsche Alltag vermuten lässt. Manches ist nüchtern analysiert, anderes mit einem kleinen Seitenhieb formuliert, aber der Tenor ist eindeutig: Von außen wirkt Deutschland stabiler, moderner und technologisch stärker, als wir es uns selbst oft eingestehen.
BILD hat die Schweizer Liste mit Wirtschaftsprofessor Martin Gornig durchgesprochen und geprüft, was davon Substanz hat.
1. Rüstungs-Start-ups
Die „NZZ“ verweist zu Beginn auf den unerwartet starken Bereich der Rüstungs-Start-ups. Helsing, Quantum Systems – Firmen, die militärische Systeme digital modernisieren – zogen 2024 mehr als eine Milliarde Euro an Wagniskapital an. Gornig: „Deutschland ist in der Rüstungsindustrie gut aufgestellt. Das technologische Potenzial ist groß – auch wenn das ein sensibles Feld ist.“
2. – 6. Energie & Bahn
Die Stromtrasse Südlink ist nach Jahren des Wartens vollständig genehmigt und soll ab 2028 Windstrom aus Norddeutschland verlässlich in die industriestarken Regionen des Südens bringen. Das lobt die Schweizer Zeitung. Parallel wächst Photovoltaik deutlich schneller als erwartet: Rund 14 Prozent des deutschen Stroms stammen inzwischen aus Solarenergie, der Ausbau schreitet bei Eigenheimen und Neubauten voran. Und auch die Wärmepumpe hat sich trotz politischer Debatten im Markt etabliert und gehört in Neubauten inzwischen zur Regeltechnik.
Photovoltaikanlage auf einem Wohnhaus: Solarstrom wächst in Deutschland schneller als erwartet
Foto: imago/blickwinkel
Gornig ordnet ein: „Wenn Südlink und die Speicher am Ende funktionieren, verbessert das die Energieversorgung deutlich. Und man sieht: Sowohl Solarenergie als auch Wärmepumpen sind Entwicklungen mit Substanz, die der Industrie und dem Standort langfristig zugutekommen.“
Die Zeitung beschreibt bei der Bahn einen frischen Wind unter der neuen Chefin Evelyn Palla – und merkt gleichzeitig trocken an, dass die Pünktlichkeit trotzdem auf ein Rekordtief gefallen ist. Das Deutschlandticket hebt der Bericht aber als ungewöhnlich günstiges Mobilitätsangebot hervor, das man in der Schweiz so nicht kennt.
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Ein weiterer Pluspunkt ist, wie attraktiv deutsche Hochschulen für internationale Studierende sind. 12,7 Prozent kommen aus dem Ausland, besonders viele studieren MINT-Fächer – deutlich mehr als in vielen anderen Industrienationen. Gornig: „Dass so viele Ingenieure in Deutschland ausgebildet werden, ist ein echter Standortvorteil. Auch wer später ins Ausland geht, bleibt oft mit der deutschen Industrie verbunden.“
Auch beim Thema Raumfahrt äußert sich das Blatt beeindruckt: Alexander Gerst gilt als möglicher Mond-Kandidat, deutsche Technologie gilt im europäischen Programm als maßgeblich. Gornig: „Deutschland hat hier echte technologische Kompetenzen. Das wird international anerkannt.“
Alexander Gerst (49, r.) und Matthias Maurer (55) – zwei der ESA-Astronauten, die für kommende Mondmissionen infrage kommen
Foto: Rolf Vennenbernd/dpa
9. – 14. Alltag und Gesellschaft
Die Zeitung nennt auch Eindrücke aus dem Alltag: den Döner, der beliebter ist als die Currywurst; die starke Stellung in Wintersport und Handball; die Gastronomie, die mit 341 Sterne-Restaurants so hochwertig ist wie nie. Auch Berlins Funktion als Magnet für junge Menschen fällt auf. Diese Effekte bleiben aber für die Gesamtwirtschaft begrenzt.
Mit trockenem Ton erwähnt die Zeitung die Berliner Verwaltung, wo man für einfache Termine oft Monate warten muss, als Beispiel dafür, wo Deutschland nach Ansicht der „NZZ“ dringend moderner werden müsste. Die geplante Digitalisierung der Gesundheitsämter wird positiv erwähnt, nach Jahren, in denen noch per Fax gearbeitet wurde.
15. Geopolitik – Merz & Trump
Der direkte Draht von Friedrich Merz zu Donald Trump wird im Bericht ebenfalls lobend erwähnt. Ob das bei Zöllen und Handelsfragen hilft, bleibt offen.
Bundeskanzler Friedrich Merz (70, CDU, l.) und US-Präsident Donald Trump (79) beim Gaza-Gipfel in Ägypten
Foto: Michael Kappeler/dpa
Am Ende bleibt für Gornig vor allem ein Punkt bestehen: „In Deutschland dauert vieles sehr lange. Aber wenn etwas endlich funktioniert, dann sehr zuverlässig. Und genau das ist der Punkt: Wenn diese Projekte mal greifen, kann Deutschland Länder wie die Schweiz bei wichtigen Standortfaktoren hinter sich lassen.“
Prof. Martin Gornig, Forschungsdirektor Industriepolitik in der Abteilung Unternehmen und Märkte – DIW Berlin (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung). Langjähriger Industrie- und Wettbewerbsexperte am DIW.