So viel diplomatische Bewegung war selten: Am Montag reist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nach Paris, Donald Trumps Sondergesandter Steve Witkoff soll zeitnah nach Moskau fliegen. Vieles deutet inzwischen darauf hin, dass nicht nur die Ukraine reif für einen Frieden wäre – sondern auch Russland.
Dass die ukrainische Gesellschaft, die seit 2014 (Annexion Krim) in Aufruhr bzw. im Krieg ist, reif für einen einigermaßen gerechten Frieden wäre, ist schon länger klar. Die menschlichen und wirtschaftlichen Kosten sind immens. Die Unterstützung im (ehemaligen) Westen ist nicht so konsequent, wie sie sein könnte. Ebenso die Sanktionen, die der Westen gegen Russland verhängt hat. So wird beispielsweise durch Länder wie Ungarn weiter Öl bezogen, Frankreich kauft in Russland nach wie vor Uran, um seine Atomkraftwerke zu betreiben. Und die eingefrorenen russischen Vermögen in Europa sind noch immer nicht für die Ukraine nutzbar gemacht. Stattdessen belasten die EU-Länder ihre eigenen Haushalte für die Ukraine-Hilfen, was den Aufstieg populistischer Bewegungen erleichtert.
In der allgemeinen Wahrnehmung steht Russland besser da
In der öffentlichen Wahrnehmung steht Russland besser da als die Ukraine. Das ist allerdings ein Trugschluss. Beide Seiten sind nach bald vier Jahren Krieg völlig erschöpft. Ja, Russland hat theoretisch mehr Menschen, die es an der Front verheizen kann. Und zu Beginn des Kriegs hatte es deutlich mehr Kriegsmaterial. Die Kriege im 21. Jahrhundert werden aber nicht mehr zwangsläufig über „Panzer-Zählen“ entschieden. Und auch aus dem (extrem langsamen) Vorrücken Russlands an einigen Frontabschnitten sollte man keine falschen Schlüsse ziehen: Die Ukraine hat schon immer lieber ein Stückchen Land aufgegeben, als kalt lächelnd sinnlos Tausende Menschen in den Tod zu schicken, wie Putin es tut.
Dabei hat Russland inzwischen auch Probleme, „frische Soldaten“ zu finden. Und bezahlte Söldner sind auf Dauer teuer. Und die Ukraine greift gezielt seit einigen Monaten die Energie-Export-Infrastruktur Russlands an. Aber das sind womöglich noch nicht mal die größten Probleme des Kreml. Vor einigen Wochen kündigte Wladimir Putin an, die Mehrwertsteuer in Russland zu erhöhen. Der Staatshaushalt ächzt unter der „militärischen Spezialoperation“. Nun wurde bekannt, dass Russland im großen Stil plant, seine Goldreserven auf den Märkten loszuschlagen. Auch dies ein Zeichen, wie sehr Russland in Wahrheit unter Druck steht.
Der Kreml wird wirtschaftlich in die Zange genommen
Das hat zwei Gründe: Zum einen die westlichen Sanktionen. Der US-Präsident hat kürzlich gezielte Sanktionen gegen die russischen „Gelddruck-Maschinen“ Rosneft und Lukoil (zwei staatliche Öl-Konzerne) verhängt. Das Jaulen im Kreml war deutlich zu vernehmen. Kein Wunder: Die Konzerne finanzieren neben para-militärischen Verbänden vor allem den Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Der zweite Grund dürfte den Kreml womöglich aber noch mehr besorgen: China lässt sich seine Unterstützung des russischen Krieges immer teurer bezahlen und kassiert kräftig ab. Wie die (unabhängige) „Moscow Times“ berichtet, sind die Preise für kriegswichtige Güter (oft „dual use“) aus China in den vergangenen Jahren massiv angestiegen. Diese Güter, die chinesischen Exportkontrollen unterliegen, sind zwischen 2021 und 2024 im Schnitt um 87 Prozent teurer geworden. Für Russland. Gegenüber anderen Ländern sind die Preise im selben Zeitraum nur um neun Prozent gestiegen.
Zu einem möglichen Frieden ist es ein langer Weg
Nachdem Russland in den vergangenen Jahren keinerlei Anzeichen gezeigt hat, einen Frieden anzustreben – außer mit viel gutem Willen nach der Niederlage vor Kiew 2022, was zu den Istanbul-Verhandlungen führte –, könnte die jetzige Gemengelage das Kalkül im Kreml ändern. Dafür spricht, dass sich Russland zumindest Gesprächen mit den USA nicht mehr komplett verweigert. Und Trump scheint Putin auch mit der Aussicht auf Wirtschafts-Deals locken zu wollen.
Das Problem dabei ist, dass diese Deals womöglich weniger im Interesse der USA, der Europäer oder gar der Ukraine sind, sondern vielmehr im Sinne des Trump-Clans und der Kleptokraten in Russland. Dafür spricht, dass der US-Außenminister Marco Rubio immer seltener „im Bilde“ über die Verhandlungen ist und stattdessen die aufs Engste mit den Trumps verbundenen Witkoff und Jared Kushner (Trumps Schwiegersohn) die Verhandlungen mit Russland führen.
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Könnte Europa einer auf diese Art ausgedealten Vereinbarung zustimmen? Ja, wenn es die Ukraine auch tut und es Sicherheitsgarantien gibt, die den Namen auch verdienen. Das ist möglich – aber noch ein weiter Weg. An einen Frieden noch in diesem Jahr glaubt selbst in der russischen Öffentlichkeit fast niemand.
