„Ich war 6 Monate auf der Straße und 90 Prozent der Zeit haben wir dort übernachtet”, hat Klinge, der das Foto gemacht hat, dazu geschrieben. „An diesem Ort hängen sowohl gute als auch schlechte Erinnerungen.” Die Ausstellung mit sieben „Lieblingsplätzen” ist ein Projekt der Stiphtung Christoph Sonntag und drei Wochen lang im Wohncafé in der Rotenbergstraße 110 im Stuttgarter Osten zu sehen.

„Auf Augenhöhe, offen und ehrlich“

Die Fotos sind im Rahmen des Großprojekts „StreetCamp” der Stiftung des Kabarettisten entstanden. „Wir möchten einen nachhaltigen Beitrag zu einem respektvollen und wertschätzenden Umgang mit wohnungslosen Menschen leisten”, beschreibt die Stiftung das Ziel des von der Deutschen Postcode Lotterie geförderten Projekts. „In unserer Gesellschaft fehlt es häufig an echten, direkten Begegnungen zwischen Menschen mit unterschiedlichen Lebensrealitäten. Genau diese Begegnungen fördern wir – auf Augenhöhe, offen und ehrlich.” Gleichzeitig versucht die Stiftung, wohnungs- und obdachlosen Menschen durch unterschiedliche Angebote neue Perspektiven zu eröffnen. „Ob in Form eines festlichen Abends, kreativer Workshops oder öffentlicher Aktionen – unser Ziel ist es, Teilhabe nicht nur zu fördern, sondern konkret erlebbar zu machen.”

Das Projekt läuft bereits seit Mai dieses Jahres. Foto: Klinge für „Stuttgarter Lieblingsplätze“ Sieben Orte mit ganz unterschiedlichen, berührenden Geschichten

Das Projekt läuft bereits seit Mai dieses Jahres. Dazu gehören beispielsweise von Weihnachtsmann & Co unterstützte Kulturabende mit Auftritten von Christoph Sonntag und Bernd Kohlhepp, Live-Musik mit Cherry Gehring und Berti Kiolbassa und einem Menü im Saal der CVJM Stuttgart, kostenlose Arenatouren für benachteiligte wohnungslose Menschen durch das Neckarstadion in Zusammenarbeit mit der VfB-Stiftung oder alternative Stadtführungen durch Stuttgart in Zusammenarbeit mit dem Magazin Trott-war und Kiwanis.

Für die Fotokampagne „Stuttgarter Lieblingsplätze” konnten Menschen mit Straßenerfahrung Fotografien von Orten einreichen, die für sie eine besondere Bedeutung haben. Sie bekamen dafür auch ein Honorar. Gezeigt werden sieben solcher Orte in Stuttgart mit ganz unterschiedlichen, berührenden Geschichten. Zum Beispiel die Ecke, wenn man von der Königstraße in die Theaterpassage läuft. Das war der Platz von Geiger, Urban Grisaille hat seine Geschichte für die Kampagne aufgeschrieben. „Es war schon erstaunlich, wie gut gelaunt er sein konnte. Er gab dir zwei Euro, wenn du für ihn Schnaps kaufen gegangen bist.” Laufen konnte Geiger nicht so gut, „manchmal hat er es auch nicht auf die Toilette geschafft. Beinahe jede Person, die ein- oder zweimal die Woche an ihm vorbeilief, hatte schon mal mit ihm gesprochen.”

Für die Fotokampagne „Stuttgarter Lieblingsplätze” konnten Menschen mit Straßenerfahrung Fotografien von Orten einreichen Foto: Jürgen Brand

Aber eines Tages erlitt Geiger einen toxischen Schock, er hatte Maden im Fuß, wurde von Rettungskräften abgeholt. Wenige Tage später war er aber schon wieder da. „ Ich denke, er wollte einfach nur nicht alleine sterben. Eines Morgens fand man ihn tot. Dort. Wenn man von der Königstraße in die Theaterpassage läuft. Ganz am Ende auf der rechten Seite.”

„Sie wollen nicht angegafft werden”

Auslöser für das StreetCamp-Projekt war ein Erlebnis von Christoph Sonntag in der Breuninger-Passage. Er wollte einem Menschen auf dem Boden Geld geben, hatte aber nur einen 10-Euro-Schein. Das erschien ihm zu viel. Er ging nach kurzem Zögern weiter, fühlte sich aber schlecht dabei. Also drehte er um, hielt dem Mann die 10 Euro hin. „Die hat er dann abgelehnt.” Da sei ihm klar geworden, dass diese Mitmenschen durch Umstände, für die sie vielleicht nicht einmal etwas können, ohne Obdach da stehen. Seitdem versucht die Stiftung, mit ihnen zu arbeiten. Das war aber gar nicht so einfach. Sonntag lud Menschen mit Straßenerfahrung in seine Show ein – aber sie kamen nicht. „Sie wollen nicht angegafft werden”, wurde ihm irgendwann klar. „Seitdem machen wir im Rahmen von StreetCamp Aktivitäten nur für sie und ihresgleichen. Das ist nicht zusätzliche Ausgrenzung, das ist Integration.” Beispielsweise durch ein jährliches Fest vor der Leonhardskirche, Kleiderbörsen, Friseurservice oder Comedy in der Wärmestube.

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