Karime Rahimi-Abasin kommt am Flughafen in Hannover an.

AUDIO: „Leben aufgegeben, alles verkauft“: Afghanen kämpfen um ihre Einreise (3 Min)

Stand: 01.12.2025 16:26 Uhr

Zuletzt sind mehrfach Flieger mit afghanischen Familien an Bord in Deutschland gelandet, denen die Bundesregierung schon vor Jahren Schutz zugesagt hatte. Für alle gilt: Sie mussten ihre Einreise vor deutschen Gerichten durchsetzen.

von Atiena Abednia

Am Terminal in Hannover wartet Moein Abasin, 29 Jahre alt, auf seine Eltern und drei Schwestern. Zehn Jahre hat er sie nicht gesehen. Er ist extra aus Schweden angereist. „Ich freue mich unendlich“, sagt er. Als seine Familie die Ankunftshalle betritt, fallen sie sich in die Arme.

Ein Schutzversprechen, das vor Gericht endete

Menschen umarmen sich am Flughafen in Hannover.

Moein Abasin (rechts) empfängt seine Mutter Karime Rahimi-Abasin (links) am Flughafen in Hannover.

Seine Mutter, Karime Rahimi-Abasin, war 30 Jahre lang Lehrerin in Afghanistan und setzte sich für Frauenrechte ein. Als die Taliban 2021 wieder an die Macht kamen, war die Familie in Gefahr. Deutschland hatte Schutz zugesagt – doch umgesetzt wurde das erst mit juristischer Hilfe. Anwältin Hannah Fleck vertritt Familie Abasin: „Aus meiner Sicht werden Verfahren verzögert, werden Visa nicht erteilt, wird durch viele Instanzen gefochten, werden Menschen versucht, auf anderen Wegen davon abzubringen, dass sie auf ihre Aufnahmezusagen bestehen.“

Fast 2.000 Menschen warten weiter in Pakistan

Während einige Familien wie die Abasins einreisen können, warten andere weiter in Pakistan. Dort sitzen nach Angaben der Hilfsorganisation Kabul Luftbrücke derzeit rund 1.900 Menschen fest. Sie alle hätten im Rahmen unterschiedlicher Aufnahmeprogramme in den vergangenen Jahren die Zusage erhalten, dass sie über Pakistan nach Deutschland einreisen dürften. Viele von ihnen gehören zur afghanischen Zivilgesellschaft: Journalistinnen, Richterinnen, Frauenrechtlerinnen oder Ärztinnen. Sie warten darauf, dass deutsche Behörden ihre Fälle weiter bearbeiten.

Kfz-Meister Ergash Saadat bei der Arbeit in einer Autowerkstatt

Ergash Saadat floh vor zehn Jahren aus Afghanistan. Ein Teil seiner Familie sitzt seit fast zwei Jahren in Pakistan fest.

Hilfsorganisationen warnen vor massiven Belastungen in Pakistan

Vor einigen Monaten ging Pakistan verstärkt gegen afghanische Geflüchtete vor; es kam zu Razzien, Festnahmen und Abschiebungen. Die Hilfsorganisation Kabul Luftbrücke berichtet: „Die Polizei tritt Türen ein, schlägt Fenster ein. Die Menschen stehen unter so einer hohen Anspannung, dass es ständig Panikattacken gibt. Kinder sind kollabiert, Mütter auch. Familien wurden auseinandergerissen. Viele entwickeln Depressionen oder sogar Suizidgedanken.“

Abgeschoben zu den Taliban: „Leben wie politische Gefangene“

Unter den bereits Abgeschobenen ist auch Arian – wir nennen sie so, um sie zu schützen. Sie arbeitete für eine internationale Organisation und schrieb über Frauenrechte. Nach zwei Jahren Warten in Pakistan wurde sie festgenommen und nach Afghanistan zurückgebracht. Seit drei Monaten lebt sie dort versteckt, in einer Unterkunft, die von der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit bereitgestellt wurde. Arian sagt: „Wir leben wie politische Gefangene. Eingeschlossen in einem Haus. Wir dürfen nicht raus. Psychisch sind wir völlig am Ende.“

Zwei Personen umarmen sich innig.

Die neue Bundesregierung hatte das Aufnahmeprogramm trotz bereits erteilter Zusagen gestoppt und vor Gericht verloren.

Geld statt Aufnahme – E-Mail aus Deutschland

Trotzdem erhielt sie kürzlich eine E-Mail aus Deutschland: Die Bundesregierung bot ihr finanzielle Unterstützung an, wenn sie auf ihre Einreise nach Deutschland verzichtet und nach Afghanistan oder in ein Drittland geht. Dieses Angebot erhielten dem Bundesinnenministerium zufolge rund 650 Menschen aus zwei Aufnahmeprogrammen – zehn Prozent haben aus Verzweiflung das Angebot angenommen; sie erhielten anschließend eine weitere E-Mail mit dem Hinweis, dass „schwerwiegende Folgen“ drohen könnten, falls sie nicht fristgerecht reagieren. Was damit gemeint ist, bleibt offen.

„Es ging nie um Geld“

Viele Betroffene sehen das als Versuch der Bundesregierung, sich aus der Verantwortung freizukaufen. Für Arian kam es nicht infrage, das Angebot anzunehmen. Es ging nie um Geld, sagt sie. „Ich will nur die Albträume, die nachts kommen, vergessen. Die Angst vor der Verfolgung durch die Taliban oder davor, von ihnen festgenommen zu werden. Und das, was sie dir oder deinen Schwestern antun könnten.“

Ankommen in Friedland

Eine Frau und ein Mann gehen spazieren.

Karime Rahimi-Abasin (links) und ihr Sohn, Moein Abasin (rechts) beim Spaziergang in Deutschland.

Karime Rahimi-Abasin und ihre Familie wurden nach ihrer Ankunft am Flughafen Hannover nach Friedland im Landkreis Göttingen gebracht. Dort erhalten Neuankömmlinge erste Orientierung: kurze Sprachkurse, Informationen zu Versicherungen, Banken und dem deutschen Bildungssystem. Rahimi-Abasin kann hier zum ersten Mal seit Jahren aufatmen, sagt sie. Doch ihre Gedanken sind immer bei denen, die zurückgeblieben sind. „Die Menschen haben es nur mit großer Mühe nach Pakistan geschafft, ihre Arbeit verloren, ihr Leben aufgegeben, alles verkauft. Ich hoffe, der deutschen Regierung ist das bewusst und sie halten sich an ihr Versprechen.“ Rund zwei Wochen bleiben die Familien in Friedland, bevor sie weiter verteilt werden. Für viele andere bleibt die Zukunft unsicher.

Ein Flugzeug mit Menschen aus Afghanistan steht am Flughafen in Hannover.

Insgesamt sind 52 Geflüchtete von Pakistan nach Deutschland geflogen worden. Einige von ihnen wurden nach Niedersachsen gebracht.

Ein Flugzeug von Turkish Airlines auf dem Flughafen Hannover-Langenhagen.

Eigentlich hatte die Bundesregierung das Aufnahmeprogramm gestoppt. Einige Betroffene klagten dagegen und durften nun einreisen.

Menschen verlassen ein Flugzeug, welches zuvor auf dem Flughafen Hannover-Langenhagen gelandet ist.

31 afghanische Staatsangehörige aus dem Bundesaufnahmeprogramm sind am Dienstag gelandet. Dies bestätigte das Innenministerium.

Geflüchtete aus Afghanistan stehen nach ihrer Ankunft am Flughafen Hannover zusammen.

Fünf Familien hatten ihre Einreise eingeklagt. Sie sollen zunächst im Aufnahmelager Friedland untergebracht werden.

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