Am Anfang, es war ein Freitagnachmittag, stand „ein sehr konkreter“ Hinweis. In der Justizvollzugsanstalt in Augsburg-Gablingen habe es eine Razzia gegeben, es gehe um Misshandlungsvorwürfe – und zwar gegen die Leitung. „Da haben bei uns natürlich alle Alarmglocken geschrillt“, erinnert sich Redakteur Max Kramer. Es folgten intensive, herausfordernde Recherchen, ergänzt Ina Marks: Schließlich galt es, Licht ins Dunkel einer „total abgeschotteten Welt“ zu bringen.
Ex-Bundestagspräsident Lammert über Journalisten: „Wenn sie es nicht tun, findet es halt nicht statt“
Dem Rechercheteam aus Lokal- und überregionalem Teil der Augsburger Allgemeinen, zu dem auch Manuel Andre, Axel Hechelmann, Timian Hopf, Jan Kandzora, Holger Sabinsky-Wolf und Christiane Zaunitzer gehörten, gelang dies. Sie deckten skandalöse Zustände auf, die bundesweit für Aufsehen sorgten. Am Montagabend wurde ihre umfassende Berichterstattung, die nach wie vor verstörende Details zutage fördert und die Leserinnen und Leser unverändert stark bewegt, mit der Verleihung des hoch angesehenen Deutschen Lokaljournalistenpreises 2024 der Konrad-Adenauer-Stiftung in Augsburg gewürdigt. „Diese Berichterstattung ist herausragend“, befand die Jury. Zur Preisverleihung waren etwa 150 Gäste in die Augsburger Eventlocation Depot29 gekommen.
Norbert Lammert, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung und ehemaliger Bundestagspräsident, sagte: „Bei allen Veränderungen, die es in der Medienszene in den letzten Jahren und Jahrzehnten ganz offenkundig gegeben hat – eines ist immer noch so wichtig wie eh und je: Menschen.“ Es seien Verlegerinnen und Verleger, Journalistinnen und Journalisten, die sich an die Aufgabe machten, das, was ist, zu vermitteln. „Und wenn sie es nicht tun, findet es halt nicht statt.“
Anders gesagt: Ohne die Recherchen der Augsburger Allgemeinen wären die offenkundigen Missstände in der JVA Augsburg-Gablingen eben dies geblieben: Missstände. „Die Vorwürfe gegenüber der JVA und der bayerischen Justiz wiegen schwer“, hatte es in der Begründung der Jury geheißen. „Im Gefängnis, so schilderten es Informanten und Insider der Redaktion, wurden Gefangene misshandelt, schikaniert und gefoltert. Beschwerden hatte es bereits 2023 gegeben. Doch Häftlinge haben keine Lobby.“ Erst mit der Berichterstattung, die in der Augsburger Allgemeinen auch dann noch fortgesetzt worden sei, als die anderen Medien „bereits längst wieder mit anderen Themen beschäftigt“ gewesen seien, habe sich das geändert, so die Jury. Jana Klameth, Sprecherin der Jury, sagte am Montagabend mit Blick auf die für den Deutschen Lokaljournalistenpreis 2024 eingereichten Beiträge: „Die Regionalzeitungen werden trotz aller Probleme“ – sie sprach unter anderem von Digitalisierung, Kostendruck, Medienkonzentration und dem Wettbewerb mit sozialen Medien – „ihrer Wächterfunktion gerecht.“
Chefredakteur Peter Müller kritisiert die US-Digitalgiganten
Peter Müller, zusammen mit Andrea Kümpfbeck Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen, führte die ausgezeichnete Berichterstattung über den mutmaßlichen Folterskandal in der JVA Augsburg-Gablingen auch auf eine „Augsburger Besonderheit“ zurück – die Verschränkung von lokalem und überregionalem Journalismus, der die Augsburger Allgemeine so einzigartig mache. Unter dem Applaus des Publikums kritisierte er die US-Digitalgiganten, die für Medienhäuser eine unfaire Konkurrenz darstellten. Während Chefredakteure für jede Zeile des Inhalts ihrer Publikationen verantwortlich seien und für in ihrer Region verwurzelte Unternehmen arbeiteten, zahlten Google und Co. weder angemessen Steuern, noch übernähmen sie Verantwortung für das, was auf ihren Plattformen veröffentlicht würde. Müller sprach von einer Ungleichbehandlung, derer sich die Politik annehmen müsse.
Holger Sabinsky-Wolf, Ko-Chef des Bayernteils und Leiter des Investigativteams unserer Redaktion, erzählte am Montagabend, dass ihm und seinen Kolleginnen und Kollegen die Tragweite des Falls relativ schnell bewusst gewesen sei. In seinen Augen stecke hinter dem Skandal die gesellschaftlich relevante Frage: „Wie gehen wir mit Verurteilten, wie gehen wir mit Häftlingen um?“ Es war diese Ebene, mit der sich auch der Münchner Soziologe Armin Nassehi in seiner Festrede befasste. „Journalisten haben eine große Verantwortung“, sagte er. Denn im Prinzip stellten sie die Welt, über die wir uns verständigen könnten, erst her. Kommunale oder lokale Formen des Journalismus müssten dabei, so Nassehi, keineswegs „nette Geschichten über das, was näher dran ist“, sein. Sondern man könne sagen, sie seien „die Gesellschaft auf lokaler Basis“. Inklusive also ihrer Abgründe.
Am Montagabend wurden auch noch weitere Journalistinnen und Journalisten geehrt
Am Montagabend wurden neben dem Rechercheteam unserer Redaktion auch die weiteren diesjährigen Preisträger geehrt: Der zweite Preis ging an die Westdeutsche Allgemeine Zeitung für eine Reportage zum Thema Kinderprostitution, der dritte Preis an die Freie Presse Chemnitz für eine Reportage über die Hintergründe des Todes eines Bürgermeisters. Einen Sonderpreis bekamen Volontärinnen und Volontäre der Mitteldeutschen Zeitung für ihr Projekt zum Thema „Ladenschluss – ist das die Zukunft der Innenstädte?“
Alle Texte zur Recherche rund um die JVA Augsburg-Gablingen finden sie auf dieser Sonderseite.
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Daniel Wirsching
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