Die Ausstellung steht unter dem Titel „Tschechoslowaken und Deutsche im besetzten Norwegen“ („Čechoslováci a Němci v okupovaném Norsku“) und hat den Untertitel „Begegnungen mit den Norwegern während des Kriegs – Geschichten von Liebe, Freundschaft und Schuld“. Vendula Vlková Hingarová von der Karlsuniversität ist Initiatorin des Projekts. Sie erklärte gegenüber Radio Prag International:

Foto: FF UK

Foto: FF UK

„Die Studierenden der Skandinavistik befassen sich mit dem Thema des Zweiten Weltkriegs in Skandinavien. Zur Zusammenarbeit luden wir außerdem die Skandinavisten von der Christian-Albrechts-Universität in Kiel ein. Als wir uns mit dem Zweiten Weltkrieg in Norwegen beschäftigten, zeigte sich, dass es da Berührungspunkte gibt. Dabei handelt es sich um Norwegen aus der Sicht der Besatzer. In Norwegen befand sich während des Kriegs zudem eine große Gruppe von Bürgern, die aus der Tschechoslowakei stammten. Sie waren einerseits Zwangsarbeiter und andererseits Wehrmachtsoldaten, die aus den Gebieten stammten, die die Tschechoslowakei nach dem Münchner Abkommen an Deutschland abtreten musste. Das war das Thema des gemeinsamen Projektes.“

Das Schicksal der aus der ehemaligen Tschechoslowakei stammenden Zwangsarbeiter hat Vendula Vlková Hingarová bereits vor vier Jahren mit ihren Studierenden erforscht und in einer Ausstellung dokumentiert. Die Zwangsarbeiter seien ihren ehemaligen Mitbürgern, die als Wehrmachtsoldaten dienten, in Norwegen begegnet, erzählte die Skandinavistin.

Vendula Vlková Hingarová | Foto: Jiří Stibor,  FF UK

Vendula Vlková Hingarová|Foto: Jiří Stibor, FF UK

„Dort, wo die Zwangsarbeiter eingesetzt waren, waren manchmal die ehemaligen Tschechoslowaken als Wehrmachtsoldaten in leitenden Posten. Wir haben viele Belege für Kontakte zwischen den Zwangsarbeitern und den Wehrmachtsoldaten, die aus der Tschechoslowakei stammten.“

Nach dem Kriegsende sind laut der Expertin Offiziere aus Großbritannien und der Tschechoslowakei nach Norwegen gekommen, die in den Internierungslagern die Wehrmachtsoldaten, die aus Deutschland stammten, von denen trennen sollten, die aus den besetzten Gebieten kamen.

„Aus den Archivdokumenten geht hervor, dass sich in den Internierungslagern in Norwegen rund 14.000 Wehrmachtsoldaten befanden, die aus der ehemaligen Tschechoslowakei stammten. Die nach dem Kriegsende angereisten tschechoslowakischen Offiziere sollten über das weitere Schicksal dieser Soldaten entscheiden. 3500 davon durften in ihre Heimat zurückkehren, die anderen wurden nach Deutschland gebracht. Über ihr weiteres Schicksal wissen wir nichts mehr.“

Wie Vendula Vlková Hingarová sagt, würde sie mit den Studierenden gern über das weitere Leben der nach Deutschland abgeschobenen Soldaten forschen. Einige Familienangehörige habe sie bereits kontaktiert, sagte sie.

„Bisher haben wir Einzelpersonen gefunden. Es ist natürlich ein empfindliches Thema. In vielen Familien wollte man darüber nicht sprechen. Es gelang jedoch, Dokumente in Norwegen zu finden, wie beispielsweise Verhörprotokolle aller Wehrmachtsoldaten, die aus der Tschechoslowakei stammten. Wir verfügen also über ihre Namen und wissen, woher sie genau stammten. Dies wird uns bei weiteren Forschungen helfen. Erst jetzt – 80 Jahre nach dem Kriegsende –werden die Archive geöffnet. Unser Projekt entstand als eine bilaterale Zusammenarbeit mit der Skandinavistik an der Universität in Kiel. Es wurde vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds unterstützt. Dank dessen konnten die Studierenden die Ausstellung zusammenstellen. Sie beteiligten sich zudem an der Übersetzung der Texte für die Ausstellung. Denn sie wurden ins Deutsche und auch ins Norwegische übersetzt. Zuvor war die Ausstellung in Kiel zu sehen.“

Turid Frydenlund ist Norwegisch-Lektorin an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Ihre Studenten arbeiten mit den Skandinavisten aus Prag zusammen. Im Folgenden ein Gespräch mit Turid Frydenlund:

Wie beteiligen Sie sich an diesem gemeinsamen Projekt über die Deutschen im besetzten Norwegen?

Vendula Vlkova Hingarova und Turid Frydenlund  (rechts) | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Vendula Vlkova Hingarova und Turid Frydenlund (rechts)|Foto: Martina Schneibergová, Radio Prague International

„Ich habe Vendula Vlková Hingarová kennengelernt und von ihrem Projekt gehört. Und dann habe ich Vendula vorgeschlagen, dass wir gemeinsam arbeiten könnten. Wir haben uns auf eine Studentenausstellung geeinigt, die sie mit ihren Studenten in Tschechien zur tschechischen Geschichte macht. Und ich arbeite nur mit den Zivilgeschichten deutscher Soldaten in Norwegen, nicht unbedingt mit dem Kriegsgeschehen. Es sollte ja kein reiner Geschichtsunterricht sein, im Fokus sollten eher die menschlichen Alltagsgeschichten stehen. Und dann kommt man ganz schnell zu Themen wie die Norwegerinnen, die deutsche Soldaten kennenlernten. Und vielleicht gab es da auch Kinder oder einfach nur Freundschaften zwischen der norwegischen Bevölkerung mit dem – sozusagen – Feind. Die Geschichten haben wir dann herausgearbeitet und gemeinsam in einer Poster-Ausstellung mit den Studenten entwickelt. Die Ausstellung haben wir gemeinsam in der Universitätsbibliothek in Kiel gezeigt und jetzt ist sie in Prag zu sehen.“

Gab es viele Fälle, in denen die Wehrmachtsoldaten eine Norwegerin kennengelernt und geheiratet haben und die Frauen dann Probleme in ihrer Heimat bekamen?

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Foto: Martina Schneibergová, Radio Prague International

„Man weiß die genaue Zahl nicht, aber man schätzt, dass ungefähr 12.000 Norwegerinnen solche Beziehungen hatten. Und das ist unglaublich viel. Viele waren später gezwungen, Norwegen zu verlassen, weil sie von ihrer Familie und von der Gesellschaft ausgestoßen wurden. Eine große Zahl ist nicht zurückgekommen und hat ihre Staatsbürgerschaft verloren. Das war eigentlich nicht erlaubt und wurde rückwirkend gemacht. Die Frauen haben erst 2016 eine Entschuldigung vom norwegischen Staat bekommen und dann ihre norwegische Staatsbürgerschaft zurückerhalten. Da waren die meisten aber schon tot. Nur wenige konnten die Rückgabe ihrer Staatsbürgerschaft noch erleben.“

Hatten Sie die Möglichkeit, mit den Nachkommen zu sprechen?

„Nein, wir haben keine Möglichkeiten gehabt, geschichtlich mit diesen Themen zu arbeiten. Wir haben eigentlich nur mit den Quellen gearbeitet. Es gibt ganz viel Forschungsliteratur. Was ich besonders finde bei dieser Geschichte, ist, mit deutschen Studierenden daran zu arbeiten. Weil das ist schon ein heikles Thema. Das anzubieten, als Norwegerin, da war ich ein bisschen gespannt, wie die Studenten darauf reagieren. Aber das ist ja jetzt die vierte Generation. Die Studenten haben eine gewisse Distanz und Neugierde, sie gehen viel mehr auf die Geschichten ein als es vielleicht vor zwei Generationen der Fall gewesen wäre.“

Wurden diese Geschichten auch literarisch bearbeitet?

„Ja, wir haben das erste Semester mit den Studenten zur Geschichte gearbeitet, zu den Fakten und Geschichtsbüchern und so weiter. Und im zweiten Semester arbeite ich mit der Darstellung – mit der Zivilgeschichte im Zweiten Weltkrieg in der Fiktion. Wir analysieren dies durch Gedichte, Romane, Film und Theater.“

Sind diese Geschichten in der Öffentlichkeit bekannt?

„Ja, schon. Mittlerweile gibt es wirklich viel Literatur darüber, auch fiktionale. Was jetzt eher neu ist, ist die Geschichte der norwegischen Nazis, die in Norwegen aufgearbeitet wird. Jetzt kommen Nachkommen, die sagen, ihr Opa sei in einem norwegischen Naziverein gewesen. Die Geschichte der Opfer war leichter. Aber die Täterrolle ist lange vergraben worden.“

Können Sie sich eine weitere Vertiefung der Zusammenarbeit mit den Skandinavisten aus Prag vorstellen?

„Absolut. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit der Zusammenarbeit. Ich finde spannend, dass wir gemeinsame Nenner mit der norwegischen Kultur und Sprache haben und dass wir in Europa auch ganz viel norwegische Kultur und Geschichte bearbeiten können.“