Am Abend des ersten Adventssonntags bewegte Fikri Anil Altintas im Port 25 mit Fragen nach Zugehörigkeit, Heimat und Herkunft.

Fikri Anil Altintas hat in seinem vor zwei Jahren veröffentlichten Debütroman „Im Morgen wächst ein Birnbaum“, auf den in diesem Jahr „Zwischen uns liegt August“ folgte, seine eigene Familiengeschichte in Fragmenten aufgeschrieben. Die Schlüsselfigur in seinem Leben wie in seinen Texten ist sein Vater. „Nachts, wenn mein Vater keinem begegnet und keiner zuschaut, sitzt er auf der roten Couch im Wohnzimmer und schreibt, wenn er sich seiner Einsamkeit bewusst ist und sprechen kann, ohne, dass wir es hören“, beschreibt Fikri Anil Altintas seine Kindheit. Der Schriftsteller und Aktivist ist 1992 in Wetzlar geboren, doch eng mit der Türkei verwurzelt, aus der seine Eltern ausgewandert sind. In der neuen Heimat Deutschland sei der Vater nie richtig angekommen, hat sein Sohn irgendwann begriffen.

Der heute 76-jährige Türkischlehrer macht seiner Sehnsucht nach der Türkei in selbst verfassten Gedichten Luft. Ganz zufällig traf Altintas auf diese Texte, die sein Vater auf Facebook mit der Öffentlichkeit geteilt hat. Der Familie gegenüber habe er seine Trauer nie gezeigt, erzählt der Autor. Stattdessen habe er sich zum Weinen zurückgezogen oder im Keller lange gelesen. „Mit liebender Wut“ antwortet der Berliner Autor nun in seiner Autobiografie mit autofiktionalen Elementen – einem Buch zwischen Essay und Roman – auf die Gedichte. So begegnen Vater und Sohn nun beide einer lesenden Öffentlichkeit.

Momente der Sprachlosigkeit

Das Ringen mit Momenten der Sprachlosigkeit machte das familiäre Zusammenleben oft emotional undurchlässig. Und man fragt sich: Ist der direkte, ehrliche Vater, der lieber über aufwühlende Ereignisse hinwegsieht und nicht beim Zweifeln gesehen werden möchte, eigentlich ein gutes (männliches) Vorbild? Fikri Anil Altintas hat sich an ihm immer wieder gerieben. Im Gespräch mit Moderator Adrian Bohn und dem Mannheimer Publikum reflektiert der Autor sein Aufwachsen als Junge türkisch-muslimischer Herkunft und das Gefühl, nicht richtig dazuzugehören – und den Umstand, dass er trotzdem nicht in die Türkei ziehen wollte. Er wagte seinen eigenen Weg, studierte Politikwissenschaft, spricht heute an Schulen mit Jungen über Vorstellungen von Männlichkeit – wobei er gleichzeitig den Wunsch hat, sich nicht vom Vater zu entfremden: demjenigen, der die Grundsteine seiner Identität gelegt hat.

„Ein Birnbaum war es, der mich zu dem Mann machte, der ich heute bin. Mein Vater schenkte ihn mir, er stand rechts neben unserem Sommerhaus in der Türkei, in unserem Garten“, heißt es im Buch. Im Eröffnungssatz stellt Altintas bereits alle Variablen seiner (Lebens-)Geschichte vor, so auch eine Herkunft, die ihm seine Eltern mitgegeben haben. Der Birnbaum ist beständig, er schenkt Halt. Das Buch eröffnete Gespräche zwischen Vater und Sohn und schuf die Möglichkeit für neue Begegnungen.

Termin

Die Reihe „Europa Morgen Land“ wird am Sonntag, 26. Januar, 17 Uhr, mit einer Lesung von Valery Tscheplanowa in der Stadtbücherei Frankenthal fortgesetzt.