Lichtenberg gilt nicht als der trendigste Stadtteil in Berlin. Aber in der Schlichtallee nahe dem S-Bahnhof Rummelsburg könnte das Viertel deutschlandweit bekannt werden. Denn hier wurde eine ungewöhnliche Baustelle eingerichtet. Hier werden 158 Wohnungen in mehreren Häusern errichtet. Das Besondere daran: Deutschlands größte Wohnungsgesellschaft Vonovia lässt sie bauen – mit Wänden, die in der Fabrik eines Start-ups hergestellt werden.

Seit zwei Wochen kommen nun täglich große Sattelschlepper und liefern Außen- und Innenwände an. Sie werden vor Ort zu einem Haus zusammengebaut. Der Keller wurde noch herkömmlich ausgehoben und betoniert, alles darüber kommt aus der Fabrik. Mittlerweile ist das Erdgeschoss zusammengebaut, und die Teile für den ersten Stock sollen bald folgen. Am Dienstag will Vonovia die Baustelle der Öffentlichkeit präsentieren.

30 Prozent weniger Baukosten, halbe Bauzeit

Es ist der Auftakt für einen größeren Einstieg der Wohnungsgesellschaft in den sogenannten „seriellen Wohnungsbau“ aus der Fabrik. Ihr Chef Rolf Buch hat die Ziele im Gespräch mit der F.A.S. schon formuliert: „Wir starten 3500 Wohnungsneubauten im Jahr. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf diesem neuartigen Verfahren.“ Er verspricht sich Kosteneinsparungen, die bei weiteren Fortschritten des Verfahrens bis zu 30 Prozent erreichen und die Bauzeit halbieren können. So will er wieder bezahlbare Mieten erreichen. „Derzeit kostet uns ein Wohnungsneubau inklusive Grundstück im Durchschnitt 5000 Euro je vermietetem Quadratmeter. Dafür müssen wir dann rund 20 Euro Kaltmiete nehmen. Mit seriellem Bauen kann sie auf etwa 15 Euro sinken.“

Die Kosten sinken durch die effizientere Produktion in einer Fabrik mit vielen Robotern. Ein Außenwandelement ist in rund 2,5 Stunden erstellt. Je stärker die Fabrik ausgelastet ist, desto mehr sinken die Kosten. Experten sprechen von Skaleneffekten. Mit dem gleichen Personaleinsatz kann mehr gebaut werden. Das hilft auch gegen den Facharbeitermangel. Nach der Produktion werden die Teile auf Lkw verladen und zur Baustelle gefahren, länger als zwei Tage lagern sie nicht auf den Fahrzeugen, bevor sie eingebaut werden.

400 Fabrikteile für ein Haus

Rund 400 Teile müssen für ein Haus mit neun Wohnungen und 2000 Qua­dratmeter Wohnfläche vorproduziert werden. Vor Ort werden sie regengeschützt unter einem großen Planendach zusammengesetzt. Die Wände haben schon Fenster, Verkabelung und Teile der Wasserleitungen integriert. Das Bad wird sogar als ein komplettes Modul mit Dusche und Waschbecken geliefert. Das spart Zeit. Eine Etage ist nach sechs Arbeitstagen montiert. Nach dem Zusammenbau müssen zum Beispiel noch Böden verlegt und die Küche eingebaut werden.

Das erste Haus in der Schlichtallee mit 22 Wohnungen soll nach sieben Monaten Bauzeit im nächsten Sommer eröffnet werden, das ganze Wohnprojekt im März 2027. Eine geringere Bauzeit bringt auch mehr Geld, weil die Wohnungen dann schneller vermietet werden können. Komforteinbußen zu einem klassischen Neubau soll es keine geben. Das Haus wird Parkettboden, moderne Bäder und einen hohen Schallschutz haben und den hohen Energiestandard EH 55 erfüllen, versprechen die Bauherren.

Bauen mit Fertigteilen unter einem Zeltdach: Vonovia lässt 158 Wohnungen in der Berliner Schlichtallee errichtenBauen mit Fertigteilen unter einem Zeltdach: Vonovia lässt 158 Wohnungen in der Berliner Schlichtallee errichtenGropyus

Nun ist die Vorproduktion von Häuserteilen in einer Fabrik nichts Neues. Das gab es seit den Sechzigerjahren in den berüchtigten Plattenbauten der DDR, aber auch in den Hochhausblöcken in Westdeutschland. Und als Fertighäuser für Einfamilienhäuser. Kennzeichnend war das sehr einheitliche, monotone Aussehen.

Jetzt erlebt das seriellen Bauen eine Renaissance. Zunächst in anderen europäischen Ländern wie Dänemark oder den Niederlanden, nun auch langsam in Deutschland. Denn der Druck, billiger und schneller zu bauen, ist gestiegen. Gleichzeitig fehlt in der Baubranche Personal. Auf der anderen Seite verbilligen die Fortschritte in der Digitalisierung und Automatisierung die Herstellung in der Fabrik. Auch die Bundesregierung will sie daher fördern. Dabei geht es nicht um Einfamilien-, sondern um Mehrfamilienhäuser größerer Investoren mit vielen Wohnungen.

Vonovia kooperiert mit einem Start-up

Einige Bauunternehmen haben sich auf den seriellen Bau fokussiert, darunter Goldbeck, Nokera oder Ketterer. Und das Start-up Gropyus, mit dem Vonovia verstärkt zusammenarbeitet und dessen Namen an den berühmten deutschen Architekten Walter Gropius erinnern will, den Begründer des Bauhaus-Stils. Es existiert seit 2019, drei Jahre später zeigte der erste Prototyp, ein Haus in Koblenz, dass das Verfahren funktioniert. Neben dem Projekt in der Schlichtallee baut Gropyus auch an einer Wohnanlage in Berlin-Charlottenburg, ebenfalls für Vonovia. Ein weiteres Haus in Immendingen nördlich von Singen wird in wenigen Tagen eingeweiht, für zwei weitere Projekte ist im Januar Baubeginn, unter anderem in Salzburg.

Gropyus treibt die Digitalisierung und Automatisierung nach eigenen Angaben weiter als die Konkurrenz. Der ganze Prozess von der digitalen Planung über die Produktion bis zum Aufbau auf der Baustelle und dem folgenden Gebäudebetrieb wird digital gesteuert. Diesen Ansatz haben die beiden Gründer und jetzigen Ko-Chefs Philipp Erler und Markus Fuhrmann bei ihren früheren Tätigkeiten verinnerlicht. Erler war Technikchef des Modehändlers Zalando, Fuhrmann Mitgründer des Essenslieferdienstes Delivery Hero. „Der durchgehend digitale Ansatz hilft uns, Zeit und Kosten zu sparen, und ermöglicht die Produktion individueller Bauelemente, mit denen wir effiziente Grundrisse und trotzdem unterschiedliche Gebäude entwerfen können“, sagt Erler. Also keine Massenware nach Katalog, sondern abgestimmt auf das jeweilige Haus. Das ist wichtig, denn jedes Mehrfamilienhaus will die örtlichen Platzverhältnisse optimal ausnutzen können.

20 Prozent weniger Betriebskosten

Nach dem Bau werden die Häuser über Smarthometechnologie elektronisch gesteuert. Vermieter werden außerdem digital unterstützt, erklärt Erler. So würde Software beim Übergang von einem zum nächsten Mieter helfen und Auffälligkeiten etwa bei Heizung und Aufzug melden, um frühzeitig vor einem Schaden eingreifen zu können. Im Musterhaus in Koblenz konnten so die Betriebskosten um 20 Prozent reduziert werden.

Ab in den Innenhof: Per Kran werden die Wandteile eingehoben, hier in BerlinAb in den Innenhof: Per Kran werden die Wandteile eingehoben, hier in BerlinGropyus

Gropyus setzt beim Bau der Wände auf Holz statt auf Stahlbeton und achtet auch bei der Hauskonzeption auf Nachhaltigkeit. „Der CO2-Fußabdruck des Bewohners unseres Prototyps sinkt dadurch von 7,5 auf 6,5 Tonnen im Jahr“, sagt Erler. Das war neben dem digitalen, individuellen Ansatz ein weiterer Grund, dass Vonovia vor allem mit dem Start-up zusammenarbeitet und sich sogar zu 30 Prozent an ihm beteiligt hat. Einen dreistelligen Millionenbetrag investierte Vonovia, der vor allem in den Bau der Fa­brik in Richen bei Heilbronn floss. Vonovia will längerfristig engagiert bleiben und damit das serielle Bauen vorantreiben. Gropyus mit offiziellem Sitz in Wien hat mittlerweile 500 Mitarbeiter, vor allem Ingenieure und Softwareentwickler, Architekten und Mechatroniker. Nur etwa 70 Leute arbeiten in der Produktion in der Fabrik. In zwei Jahren will Gropyus nach eigenen Angaben zum ersten Mal Gewinn erzielen. Dann könnte das Unternehmen auch über einen Ausbau der Fabrik nachdenken müssen, die bisher noch nicht voll ausgelastet ist.

Bald kommen auch die Böden aus der Fabrik

Bis dahin will das Unternehmen das Verfahren weiter verbilligen. Derzeit sei der serielle Bau bis zu 20 Prozent billiger als herkömmliche Holzbauhäuser und ungefähr so teuer wie klassische gemauerte Häuser. In zwei Jahren sollen die Holzhäuser bis zu 20 Prozent günstiger als normale Immobilien sein. „Das soll über Skaleneffekte ermöglicht werden, aber auch über schlankere Wandstrukturen, die Material sparen und die vermietbare Wohnfläche vergrößern. Zudem könnten noch mehr Teile in der Fabrik vorgefertigt werden, etwa die Böden. Auch die Installationsabläufe auf der Baustelle können noch effizienter werden“, erwartet Ko-Chef Philipp Erler. Geld sparen würde auch eine einheitliche Typengenehmigung für das Bausystem durch die Behörden, damit nicht jede Immobilie einzeln genehmigt werden muss.

Manchmal muss aber auch Erler kapitulieren. Nicht jedes Haus kann seriell erstellt werden. Etwa, wenn die Bauauflagen besonders hoch sind oder der Architekt sehr extravagant bauen will. Oder enge Straßen die An­lieferung der Teile erschweren. Nachverdichten im Innenhof ist allerdings kein Problem. Das zeigt das andere ­Berliner Projekt in Charlottenburg. Da hebt ein riesiger Kran eben mal eine ganze Hauswand und ein fertiges Bad über die bestehenden Häuser in den Hof.