Wieder hat die Bayerische Kammerphiharmonie in ihrem Jubiläumsjahr für all diejenigen, die über die Kirchturmspitze und den Tellerrand hinaushören möchten, ein außergewöhnliches Programm konzipiert: Kompositionen der 45-jährigen italienischen Manuela Kerer, künftige Leiterin der Münchner Biennale, sowie von Paul Hindemith. Und dazu bot die Kammerphilharmonie mit Sitz in Augsburg unter ihrem Jahresmotto „unerhört“ noch das frühe Streichquartett des heuer 150-jährigen Maurice Ravel.
Die Kammerphilharmonie spielt Musik von Manuela Kerer
„Unerhört“, das darf man im Fall von Manuela Kerer – ohne jegliche Polemik – dreifach behaupten. „Unerhört“ im Sinne von „kaum im Konzertsaal zu vernehmen“, „unerhört“ im Sinne der Darbietung von neuen, unbekannten Klängen (für die im Grunde Spielanweisungen erst formuliert werden mussten) und „unerhört“ durchaus auch im Sinne eines möglichen entrüsteten Ausrufs aus den Hörerreihen. Denn Manuela Kerer nutzt für ihre Werkidee einer musikalischen Sprachverwirrung ja durchaus auch scharfe, schneidende, klirrende, nicht unbedingt wohlklingende Streicher-Timbres – derart nervenzerrende Sprach-Unverständlichkeiten illustrierend.
„Geriebene“ Glissandi, flatternde Flageolett-Griffe, geräuschhaftes Klopfen des Bogens: All das fließt in ihre Musik ein, die schließlich aber leise, fern, geheimnisvoll, mystisch und ästhetisch berückend in einem großen Raumklang endet. Die Kammerphilharmonie verteilte sich im Kleinen Goldenen Saal. Und man musste an die soeben 90 Jahre alt gewordene große Vaterfigur der Neuen Musik denken, an Helmut Lachenmann mit seiner lebenslangen Ausdehnung musikalischer und klanglicher Kategorien. Genaues Hören ist gefordert – sowie das den Ohren angeschlossene Hirn.
Alexander Schimpf konzertiert als Solist des Abends
Folgte Hindemith, der wiederum das den Ohren angeschlossene Empfinden aktiviert. Denn auch, wenn seine Ballettkomposition „Die vier Temperamente“ abstrakte Musik darstellt, also einen Tanz ohne Handlung und Inhalt, ist das Auditorium ja doch versucht, in der Variationenkomposition die Darstellung der vier menschlichen Temperamente musikalisch nachzuvollziehen. Also die Gedämpftheit des Melancholikers, die Fröhlichkeit des Sanguinikers (Dreiertakt!), den schwer in die Gänge kommenden Phlegmatiker und den aufbrausenden Choleriker.
Das gelang auch beim Spiel der Kammerphilharmonie, obwohl Hindemiths eingeschalteter schwungvoller Tanz im phlegmatischen Teil denn doch etwas überraschte. Unwillkürlich trat im virtuos-grollenden cholerischen Finale dann Beethoven und seine massive Emphase vors innere Auge – eine große sinfonische Steigerung der Kammerphilharmonie, brodelnd und durchaus auch massiv wiedergegeben. Wobei Alexander Schimpf als Solist am Flügel seinen schwierigen Part geboten sachlich, motorisch, spielerisch schnurrend beitrug.
Bayerische Kammerphilharmonie glänzt im Goldenen Saal
Teils massiv wirkte in der Akustik des Kleinen Goldenen Saal aber auch das für Streichorchester bearbeitete Streichquartett F-Dur von Maurice Ravel, das Alexander Schimpfs glasklarer Interpretation von Maurice Ravels „Pavane pour une infante defunte“ folgte. Wie Schönbergs „Verklärte Nacht“ ist dieses Streichquartett ein Aufbruch in die klassische Moderne der Musik, wen auch auf anderem Pfad. Süffig-sinfonisch präsentierte es die Bayerische Kammerphilharmonie – als perpetuum mobile im zweiten Satz „Assez vif“, schwärmerisch, raffiniert-luxuriös im dritten Satz „Tres lent“, geballt leidenschaftlich im Finale, das denn als Zugabe wiederholt wurde. Ein Abend voll (neuer) Eindrücke, abermals ein Abend mit Gewinn.
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Rüdiger Heinze
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Kammerphilharmonie
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Paul Hindemith
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