Berlin – Am 14. August 2018 stürzte die Morandi-Brücke in Genua ein, am 11. September 2024 die Carolabrücke in Dresden. Könnte auch in Berlin eine Brücke plötzlich einstürzen? Ja, die Mühlendammbrücke in Mitte ist der Kandidat. Sie führt von der Fischerinsel über die Spree.
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Der südliche Teil der Brücke wurde bereits abgerissen, der gesamte Verkehr fließt deshalb über den nördlichen Teil. Nach Angaben der Senatsverkehrsverwaltung handelt es sich um mehr als 70.000 Fahrzeuge pro Tag.
Und genau hier liegt das Problem: Der nördliche Teil der Brücke muss den Verkehr so lange aufnehmen, bis der südliche neu gebaut ist. Das aber kann dauern, denn der Auftrag wurde erst jetzt ausgeschrieben. Bis zum 19. Dezember müssen sich die interessierten Firmen bewerben. Nach Vergabe ist eine Frist von „1025 Werktagen“ gesetzt, innerhalb derer der südliche Teil der Brücke neu gebaut sein muss. So zitiert der „Tagesspiegel“ aus internen Unterlagen der Senatsverkehrsverwaltung.
Das wären rund drei Jahre und drei Monate. Erst im Frühjahr 2029 wäre der südliche Brückenteil neu errichtet. Bis dahin muss der nördliche alte Brückenteil halten. Daran aber bestehen erhebliche Zweifel. Auch das geht aus den internen Unterlagen hervor. Dort heißt es, dass „fortlaufend die latente Gefahr von Spannstahlbrüchen“ bestehe, „was eine sofortige Sperrung und entsprechende Notmaßnahmen nach sich ziehen würde“.
Genau solche „Spannstahlbrüche“ führten zum Einsturz der Morandi-Brücke und der Carolabrücke. Mehr als 100 Sensoren sind deshalb an der Mühlendamm-Brücke angebracht, die jede kleinste Veränderung im Bauwerk melden sollen. Schon vor einem Jahr berichteten wir, dass diese Sensoren immer wieder Alarm auslösen.
Weil die Zeit knapp ist, greift der Senat zu „beschleunigten Verfahren“. Die Frist der Ausschreibung wurde verkürzt, kurz nach Erteilung des Auftrags muss mit dem Neubau des südlischen Brückenteils begonnen werden.
Insgesamt kann man hinsichtlich der Mühlendammbrücke allerdings keineswegs von einem „beschleunigten Verfahren“ sprechen. Es wird erst jetzt im Angesicht der höchsten Not etwas beschleunigt. Bisher ließ man sich alle Zeit der Welt, obwohl bereits im August 2018 feststand, dass die Mühlendammbrücke nicht mehr lange hält.
Das ist mehr als sieben Jahre her. Warum wurde so viel wertvolle Zeit mit Untätigkeit vergeudet? Ganz einfach: Weil die damalige Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) den Laden aufhielt. Sie plante im Jahr 2022 den Neubau um, auf Druck der Fahrrad- und Umweltlobby. Die Brücke sollte schmaler werden und eine Fahrradspur pro Richtung bekommen. Dafür sollte je eine Fahrspur für Autos und Lkw entfallen. Der nächste Senat mit dem Regierenden Bürgermeister Wegner (CDU) machte diese Pläne rückgängig.
So ging kostbare Zeit ins Land, so haben wir jetzt an der wichtigsten Verkehrsachse in Mitte eine Teilbrücke, die schwer belastet und einsturzgefährdet ist. Einem solchen Risiko setzt man uns aus! Mir ist es zu hoch. Ich werde diese Brücke nicht mehr befahren.
Hat Gunnar Schupelius recht? Schreiben Sie an: gunnar.schupelius@axelspringer.de