Ob München endgültig zur nördlichsten Stadt Italiens wird? Der Eindruck könnte bald am Münchner Hauptbahnhof entstehen: Ab 2026 rollen dort italienische Schnellzüge ein. Dort, wo die Deutsche Bahn immer später ankommt – oder gar nicht: Im Oktober bestätigte der Konzern einen Tiefstwert bei der Pünktlichkeit. Die italienischen Staatsbahnen FS („Ferrovie dello Stato Italiane“) nutzen diese günstige Stunde und setzen den Schnellzug „Frecciarossa“ aufs Gleis zwischen Mailand bzw. Rom und München. Damit nicht genug: „Genusszüge“ einer FS-Tochter bringen italienische Touristen seit dem Oktoberfest nach München. Und die „Frecce“ wollen bald sogar deutsche Städte miteinander verbinden. Damit bekäme die DB erstmals auf deutschem Boden Konkurrenz im Schnellzug-Segment.
Bahnreisende zwischen Rom und München werden mit den Frecce, den „roten Pfeilen“, viel Zeit gewinnen. Achteinhalb Stunden soll eine Zugfahrt auf dieser Strecke dauern, mit Haltestellen etwa in Florenz, Bologna und Bozen. Bisher ließ sich diese Verbindung mit Umstieg in neun bis 13 Stunden bewältigen. Zwischen Mailand und München wird der Fernzug sechseinhalb Stunden benötigen, bisher waren es ebenfalls mit Umstieg sieben bis zehn. Mit dem Brennerbasistunnel, der frühestens 2032 öffnen soll, wird sich die Fahrtzeit um etwa eine Stunde verkürzen. 2028 wollen die FS die Verbindungen bis Berlin und Neapel verlängern.
Frecciarossa in Deutschland: Erste Station ist München
In einem anderen Bereich dockten die FS jüngst in Bayern an: Die Unternehmenstochter Treni Turistici Italiani schickt gewöhnlicherweise Retrozüge über italienische Panoramastrecken. Etwa von Cuneo nach Ventimiglia, über den Apennin oder nach Siena. An Bord gibt es Kulinarik und Komfort, Zugreisen soll ein Gesamterlebnis werden. Dieses Jahr kam so ein Zug namens „Espresso Monaco“ erstmals in München an und brachte Fahrgäste über Nacht von Rom aufs Oktoberfest. Im Dezember startet der Espresso Monaco wieder von Rom über die Alpen. Diesmal peilt er den Münchner Weihnachtsmarkt an.
Die weiteren Pläne, die italienischen Schnellzüge auch innerhalb Deutschlands auf Schiene zu setzen, äußerte der Generaldirektor der FS, Stefano Antonio Donnarumma, kürzlich im Gespräch mit dem Handelsblatt: Man prüfe den Einstieg ins deutsche Hochgeschwindigkeitsnetz mit 50 Zügen und habe Kontakt mit Infrastrukturbetreibern und Behörden aufgenommen, sagte er.

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Die Frecciarossa fährt bis zu 300 Kilometer pro Stunde schnell. Geht es nach Stefano Antonio Donnarumma, Geschäftsführer der FS-Gruppe, bald auch auf deutschen Schienen.
Foto: Tiziana Fabi, Afp
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Die Frecciarossa fährt bis zu 300 Kilometer pro Stunde schnell. Geht es nach Stefano Antonio Donnarumma, Geschäftsführer der FS-Gruppe, bald auch auf deutschen Schienen.
Foto: Tiziana Fabi, Afp
Transport-Ökonom Andrea Giuricin von der Universität Mailand-Bicocca nannte das Vorhaben, gleich mit 50 Zügen einzudringen, einen „ganz großen Wurf.“ Im Gespräch mit dem Medium „Affari Italiani“ erklärte er: „Wenn man nur wenige Züge auf Routen wie Berlin-München oder Berlin-Hamburg einsetzt, drückt die Deutsche Bahn die Preise und zerquetscht einen.“ Die einzige Möglichkeit sei deshalb, der DB mit vielen Zügen echte Konkurrenz zu machen.
Allianz Pro Schiene begrüßt die Pläne der Italiener: „Mehr Wettbewerb im europäischen Schienenverkehr ist erstmal eine gute Nachricht“, schreibt die Organisation auf Nachfrage. Ein Branchenkenner bestätigt, dass die Bahnreisenden von der Konkurrenzsituation profitieren könnten, mit mehr Angeboten und günstigen Zugpreisen. Andererseits bleibe die Infrastruktur dieselbe. Unter den Baustellen würden ausländische Anbieter ebenso leiden wie die DB-Züge: „An Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit wird sich nichts ändern.“ Ein weiterer Punkt: Das Streckennetz ist auf viel befahrenen Trassen zwischen großen Städten bereits ausgelastet. Gibt es mehr Betreiber, könnte ein Wettbewerb um die attraktiveren Trassen entstehen. Unterlegene Unternehmen würden dann nicht mehr Hauptbahnhöfe ansteuern, sondern Nebenbahnhöfe wie München-Pasing.
Europaweite Ambitionen der italienischen Staatsbahnen
Schon seit einigen Jahren greifen die italienischen Staatsbahnen nach den europäischen Schienen. Mit Schnellzügen zirkulieren sie in Frankreich und in Spanien. So verbindet die spanische Tochter Iryo elf spanische Städte und hat dort einen Marktanteil bei Schnellzügen von 25 Prozent. In Frankreich rollen die Frecce von Trenitalia France zwischen Mailand und Paris sowie Paris und Marseille hin und her. In Bayern ist der italienische Konzern bisher über die Tochter TX Logistik im Güterverkehr tätig.
Mit ihren Expansionsplänen möchten sich die FS zum Vorreiter bei den europäischen Schnellzügen aufschwingen. Im Konzern kursiert die Vision „U-Bahn Europas“. Schnellzüge sollen in Zukunft Metropolen auf dem ganzen Kontinent miteinander verbinden. Da passt es, dass die neue Generation der Frecciarossa gleich technologisch für europäische Schienen gerüstet wurde. Die 36 Züge sind an die Stromnetze von Ländern wie Spanien, Niederlande und Deutschland angepasst. Der deutsche Markt könnte zum Sprungbrett für die FS werden, sagte Donnarumma dem Handelsblatt. Wenn sich die roten Pfeile dort durchsetzen, könnten sie Richtungsweiser für eine „europäische U-Bahn“ werden.

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Veronika Ellecosta
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