Fünf ausverkaufte Kinosäle, rund 1500 Zuschauer, Standing Ovations, Gespräche, Gratulationen. „Elf Stunden am Stück ging das so“, hat Mechthild Großmann zusammengerechnet. Anstrengend in ihrem Alter sei das gewesen. Wer will ihr da verdenken, dass sie zu Hause sofort aufs Sofa gefallen ist? Viel zu viel Aufhebens um ihre Person sei das gewesen, findet sie. Man feiere sie für die Ankündigung, dass sie aufhöre, sagt sie in leicht ironischem Ton: „Das finde ich irgendwie verdächtig.“
Aus einer kleinen Rolle etwas Großes gemacht
Am 7. Dezember verlässt sie den Münster-„Tatort“: aber die Aufregung um ihren Ausstieg kann sie nicht nachvollziehen. Sie hat die Staatsanwältin „immer gerne gespielt“. Und es sei auch ein wenig traurig, sich von den Kollegen verabschieden zu müssen. „Sie habe ich alle liebgewonnen, nie mit einem Streit gehabt.“ Allerdings habe man sich manchmal kaum gesehen bei den Dreharbeiten. „Ich war immer nur ein paar Tage dabei. Es war ja eine kleine Rolle“, sagt Großmann. Wobei sie das Wort „Nebenrolle“ nicht mag. „Supporting Role“, wie es auf Englisch heißt, gefällt ihr besser. „Eine unterstützende Rolle, das beschreibt es doch viel präziser!“

Ein Foto aus alten Zeiten: Das Tatort-Team Münster im Jahr 2011. Claus D. Clausnitzer (Kommissar Thiels Vater Herbert), Mechthild Großmann (Staatsanwältin Klemm), Axel Prahl (Kommissar Frank Thiel), Friederike Kempter, (Assistentin Nadeshda Krusenstern) und Jan Josef Liefers, (Prof. Karl-Friedrich Boerne)
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Sie hat sich an die Vorgaben der Drehbücher gehalten und trotzdem aus dieser kleinen Rolle etwas Großes gemacht. Heimlich paffend hinter dem Schreibtisch, immer mit scharfer Zunge, ganz eigenem Humor und dieser unverkennbaren, rauchigen Stimme. Die sie übrigens schon immer hatte. Ob sie privat auch raucht, ist eine Frage, die man ihr deshalb nicht mehr stellt. Weil man weiß, dass sie sie nicht beantwortet. „Wenn ich eine Mörderin spiele, fragt mich ja auch keiner, ob ich privat auch gerne morde“, sagt sie nur und stellt noch einmal freundlich klar: „Ich bin nicht Frau Klemm!“
Mechthild Großmann: Nie gedacht, die Rolle so lange zu spielen
Sie hat auch gar nicht damit gerechnet, diese Figur, die sie nun freiwillig aufgibt, so lange zu spielen. 2002 flattert ihr das Angebot zur ersten Folge „Der dunkle Fleck“ ins Haus. „Für einen ,Tatort‘ sehr witzig“, hat sie gedacht und ist davon ausgegangen, dass sie eine „Vier-Tages-Rolle beim WDR“ angenommen hat. Am Ende ist es ein 23-Jahres-Engagement geworden.
Denn der „Tatort“ aus ihrer Heimatstadt Münster wird zum beliebtesten zwischen Alpen und Nordsee. Bis zu 15 Millionen Zuschauer sind dabei, wenn sie am Ende einer Episode sagt: „Gute Arbeit, Thiel.“ Das bleibt nicht ohne Folgen. Spätestens seit jedes Handy eine brauchbare Kamera hat, kann Großmann nach einer Sendung nicht in die Öffentlichkeit gehen, ohne dass jemand fragt: „Können wir mal ein Selfie zusammen machen?“
Das können die meisten, die fragen. Selbst wenn sie Großmann mit Frau Klemm anreden. „Das stört mich nicht.“ Bei Berührungen aber hört das Verständnis auf. Wenn wildfremde Leute ihr die Wange tätscheln und sagen „Na, Frau Staatsanwältin…“, dann hat Großmann dafür nur ein Wort: „Übergriffig!“ „Habe ich alles erlebt“, erzählt sie. „Mehrfach.“

Vor „echten Menschen“ tritt Mechthild Großmann am liebsten auf
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Ganz verstanden hat sie die durch den „Tatort“ erworbene Popularität ohnehin nie. Weil sie ihrer Meinung nach gar nicht im Verhältnis steht zum Rest ihrer über 56-jährigen Karriere. Vielleicht 0,5 Prozent davon sei sie in der Rolle der Staatsanwältin zu sehen gewesen, habe überhaupt vielleicht fünf Prozent der Zeit vor einer Kamera gestanden – Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“ inklusive. „Ich habe überwiegend vor lebendigen Menschen gespielt. Oder gelesen. Das ist mir viel stärker in Erinnerung geblieben.“
Engagements an vielen großen Bühnen des Landes
Bremen, Stuttgart, Bochum, Kassel, Frankfurt – in vielen großen deutschen Schauspielhäusern und Theatern hat sie gearbeitet. Im Schauspiel Frankfurt gibt sie den „Gerichtsdiener Frosch“ in Johann Strauss‘ Operette „Die Fledermaus“. In Jan Bosses Inszenierung von „Richard III.“ am Schauspiel Frankfurt spielt sie die Doppelrolle der Königin Margaret und der Herzogin von York. Und für ihre Martha in Edward Albees Klassiker „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ bekommt sie den Darstellerpreis der Hessischen Theatertage. Über allem aber steht ein Name: Pina Bausch.
Mitte der 1970er lernen die beiden Frauen sich in Wuppertal kennen. Es ist der Beginn einer künstlerischen Partnerschaft und Freundschaft, die vier Jahrzehnte bis zum Tod der legendären Tänzerin und Choreografin 2009 andauern wird. Großmann wird die Stimme in einer Welt der Bewegung, wird die einzige fest engagierte Schauspielerin in der Company von Bausch, in der ansonsten nur Tänzerinnen und Tänzer aus aller Welt sind. Rund um den Globus ist sie mit ihnen unterwegs. „New York, Moskau, Paris, Rom, Madrid, Tokio“ sind die Städte, die Großmann sofort einfallen.
Zeit mit Pina Bausch war prägend für das Leben
„Aber das waren keine Vergnügungsreisen.“ Im Gegenteil: „Das war das Härteste, was es gab. Wenn ich an Pina Bausch denke, denke ich immer an Arbeit. Und wenn manchmal eine Musik kommt, die in irgendeinem Stück vorkam, bekomme ich sofort Rückenschmerzen, weil wir wirklich Tag und Nacht gearbeitet haben.“ Missen möchte sie dennoch keinen Tag: „Die Zeit mit ihr war sicher die prägendste und für mich auch wichtigste im Leben.“ Aber auch sonst zieht sie eine positive Bilanz ihres bisherigen Berufslebens. „Im Rückblick habe ich gemerkt, wie viel Glück ich gehabt habe, so lange diese Arbeit machen zu dürfen.“
„Ist mir zu nah dran.“
Mechthild Großmann,, die einen Tag vor Heiligabend 77 wird, über den Vorschlag, aus dem „Tatort“ abzutreten, indem ihre Staatsanwältin Klemm stirbt
Sie wird ja auch nicht aufhören zu arbeiten, nur weil sie den „Tatort“ verlässt. Kürzer treten will sie. „Ich tue das, was ich immer tue, nur nicht mehr so viel.“ Theater in Münster („Das Vermächtnis“), Hörspiele, Lesungen mit Puschkin-Texten sind bereits geplant. Mit längeren Pausen zwischendurch. Kurz vor Weihnachten wird sie 77 Jahre alt. „Man muss mit seinem Alter gut umgehen.“
Theoretisch könnte sie sogar gelegentlich mal bei den Münsterschen „Tatort“-Ermittlern vorbeischauen. Etwas überraschend habe man sie vor dem Dreh gefragt, ob ihre Figur im Film sterben soll. „Da habe ich gesagt, können wir machen, aber offen gesagt: nicht so gerne“, erzählt Großmann. „Ist mir zu nah dran.“