Schauspieldirektorin Lene Grösch und ihr Team haben es sich für ihre erste Spielzeit auf die Fahnen geschrieben, eine enge Verbindung zur Stadt aufzubauen. So wurden bereits die Tiefen und Untiefen des Themas Spielzeug verhandelt. Hier und da in den Inszenierungen auf Nürnbergs NS-Vergangenheit angespielt. Und jetzt mit „Druck!“ von Arad Dabiri ein Stück auf die Bühne geholt, das nicht besser zur multiethnischen Stadtgesellschaft passen könnte.

Das Werk, das im vergangenen Jahr den „Autor:innenpreis“ des Heidelberger Stückemarkts gewann und Anfang 2025 in Mannheim uraufgeführt wurde, spielt zwar in Wien, doch seine Themen Identität, Migration und Herkunft besitzen auch in Nürnberg eine ähnliche Relevanz. Nach der überflüssigen Stadtbild-Debatte mehr denn je. Der gebürtige Wiener Dabiri, Jahrgang 1997, erzählt darin die Geschichte der Geschwister Hassan und Shirin und ihrer Freunde Omar, Freddie und Murat. Die fünf treffen aufeinander, als sie das Urteil gegen Hassans und Shirins Bruder wegen Drogenhandel erwarten.

Dieser Bruder ist der Katalysator des gut gebauten Stücks, das in den Kammerspielen, der kleinen Spielstätte des Staatstheaters, bestens aufgehoben ist. Selbst nicht anwesend, bringt er die Freunde in wechselnden Konstellationen zum Sprechen über ihr Leben und den Druck, dem sie ausgesetzt sind. Für sie gehört Diskriminierung von klein auf zum Alltag, sei es ein Blick hier, eine Geste dort. Hassan und Shirin, iranische Eltern, sind in Wien geboren, doch was nützt das? „Da steht es, Schwarz auf Weiß: Die Namen – fremd! Oh, schon wieder Kanaken?“, herrscht der unter dem Broken-Heart-Syndrom leidende Hassan seine Schwester an und fährt, einmal in Rage, fort: „Egal, was du machst. Egal, was ich mache. Wir bleiben immer anders, Schwester. Und bei Anderssein: geht der Alarm so richtig los und alle haben Angst.“

Ioachim-Wilhelm Zarculea und Valentina Schüler sind Hassan und Shirin in der zwischen chorisch laut gesprochenen und intimen Momenten genau austarierten Inszenierung von Tuğsal Moğul. Wie die drei anderen Darsteller, Davíd Felipe Gavíria Malagón als Omar, Leon Wieferich als Freddie und Kinan Hmeidan als Murat, bringen sie den Erwartungs- und Anpassungsdruck durch ihre Körpersprache zum Ausdruck. Allein ihre Blicke erzählen von Angst und Wut, Entschlossenheit und Sehnsucht.

Oft stehen sie frontal zum Publikum, die Körper angespannt. Gehen auch mal durch die Reihen. Doch meist sitzen beziehungsweise kauern sie in jener Schießscharten ähnlichen Öffnung, die Bühnenbildnerin Ariane Salzbrunn in die die ganze Bühnenbreite einnehmende hölzerne Mauer eingelassen hat.

Der Spalt wird immer enger. Das Enseble ist verkabelt. Der Herzschlag steigt kontinuierlich. Hier zu sehen: Ioachim-Wilhelm Zarculea, Valentina Schüler Ioachim-Wilhelm Zarculea und Valentina Schüler.Der Spalt wird immer enger. Das Enseble ist verkabelt. Der Herzschlag steigt kontinuierlich. Hier zu sehen: Ioachim-Wilhelm Zarculea, Valentina Schüler Ioachim-Wilhelm Zarculea und Valentina Schüler. (Foto: Ludwig Olah)

Ist der hell erleuchtete Spalt anfangs noch groß, wird er im Verlauf des Abends immer kleiner. Die Holzquader links und rechts davon bewegen sich zum harten Beat des Songs „Depressionen im Ghetto“ von Haftbefehl auf die Mitte zu und nehmen so den Darstellern den Raum zum Agieren, die Luft zum Atmen. Da hilft es auch wenig, dass sie sich mit aller Kraft dagegen stemmen. Der zum eindrücklichen Sinnbild geronnene Druck ist stärker.

Bis er sich in einer Demonstration für den angeklagten Freund entlädt, die zerrieben wird zwischen Antifa auf der einen und rechten Gegendemonstranten auf der anderen Seite und Hassan endgültig ausrasten lässt. Regisseur Tuğsal Moğul nutzt die Darstellung der Demo, um auf Schildern an die drei einst vom NSU in Nürnberg ermordeten Opfer Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğro und Ismail Yaşar zu erinnern.

Arad Dabiris Stück ist vielschichtig, seine Sätze sind allerdings direkt und schnörkellos. In den streitlustigen Dialogen zwischen Shirin und Hassan kommen diametral entgegengesetzte Ansichten zur Sprache. Für die toughe, von Valentina Schüler mit großer Entschlossenheit gespielte Shirin, machen die Jungs schlicht zu wenig aus ihrem Leben, „heulen“ nur rum. Sie hat ihr BWL-Studium mit Bravour abgeschlossen und verweigert jeden Opferdiskurs: „Ich wehr mich gegen Klischees, nichts und niemand definiert mich: Nur ich definier mich!“ Dass ihr Bruder nun als Drogendealer auf der Anklagebank sitzt, sei daher für sie keine wie auch immer geartete Systemfrage, sondern schlicht auf dessen Unwillen zurückzuführen, sich zu integrieren.

Mit „Druck!“ ist das Staatstheater am Puls der Zeit. Das ist hier auch wörtlich zu nehmen. Denn Tuğsal Moğul verkabelte das Ensemble mit Geräten zur Messung des Herzschlags. Die Ergebnisse werden konstant eingeblendet: 86, 102, 147. Der Druck auf den Kessel steigt konstant.