Hannah Arendt blickt in die Kamera

AUDIO: Denkerin ohne Geländer. Zum 50. Todestag von Hannah Arendt (54 Min)

Stand: 04.12.2025 06:00 Uhr

Am 4. Dezember vor 50 Jahren starb Hannah Arendt. Geboren wurde die politische Theoretikerin und Publizistin 1906 in Hannover – hier erinnert das Schauspiel mit einem vierteiligen Theaterabend an sie.

von Agnes Bührig

Die Dramaturgin Mira Gebhardt hat die Graphic Novel „Die drei Leben der Hannah Arendt“ aus dem Jahr 2019 aufgeschlagen. Der US-amerikanische Cartoonist Ken Krimstein hat eine Frau gezeichnet, die sich durch die Erkrankung des Vaters und die Flucht vor den Nationalsozialisten immer wieder neu erfinden musste. Auf einer Seite ist sie beim Denken zu sehen. Hannah Arendt einmal links, einmal rechts, im Dialog mit sich selbst in neun Bildern.

Für Mira Gebhardt vom Schauspiel Hannover ist diese Szene eine symptomatische Situation: „Auch nach der Beschäftigung habe ich mehr verstanden, dass sie so vielfältig war, unbequem und gleichzeitig unmittelbar dann wieder denkerisch tätig. Dass sie sich nicht hat vereinnahmen lassen von gegenwärtigen und politischen Denkströmungen, sondern unbequem ihren Weg gegangen ist – so ehrlich und mutig.“

Hannah Arendt

Nach der NS-Zeit löste ihr Begriff kontroverse Debatten aus. Am 4. Dezember 1975 starb die jüdische Politologin aus Hannover in New York.

Ist Versöhnung möglich?

„arendt forever“ hat das Schauspiel Hannover seinen Abend zu Ehren der großen Denkerin genannt. Geplant ist eine szenische Lesung des Theatertextes „Niemandes Schwester“. Die Soziologen Heinz Bude und Natan Sznaider sowie die Autorin Karin Wieland nehmen darin Bezug auf die Verleihung des Lessing-Preises an Hannah Arendt 1959 in Hamburg. Ob sie ihn annehmen soll oder nicht, diskutiert sie dabei mit ihrem Ehemann Heinrich Blücher, der sie von der Reise nach Deutschland abhalten will. Die Entscheidung dafür oder dagegen fällt ihr schwer.

Ich kann diesen Preis als Jüdin nicht ablehnen, kann ihn als Deutsche nicht annehmen. Glaubst du, ich weiß nicht um die gebieterische Geste dieses Preises? Die, die mich vertrieben haben, maßen sich an, mich zu beurteilen. Sie glauben, sie können etwas von der „lessingschen Kraft“ meiner Texte faseln und bilden sich dann auch noch ein, ich sei von ihrem Lob geschmeichelt.

Briefauszug

Ist Versöhnung möglich? Und wie erinnern wir uns an das Verbrechen? Das sind für Friedrich Weißbach, der den Abend im Schauspiel Hannover moderiert, zentrale Fragen im Theatertext.

Corinna Harfouch als Hannah Arendt auf der Bühne

Kann ein Theaterstück dem Mythos der Philosophin Hannah Arendt gerecht werden? Die Antwort ist: Ja und Nein.

Wie Autoritarismus auch heute wieder entstehen kann

Aus Hannah Arendts Analysen über Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft könne man zudem lernen, wie Autoritarismus auch heute wieder entstehen kann, so Weißbach. Eine Situation, die sie selbst erlebte. Mehr als zehn Jahre war Hannah Arendt staatenlos, aller Rechte beraubt und ohne Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft, sagt Friedrich Weißbach: „Ich lese ihr philosophisches Denken und Mahnen darüber, dass es eine Sorge um die Öffentlichkeit ist. Es ist eine Sorge um die Welt, dass die Pluralität der Perspektiven aufgenommen wird, dass alle Menschen in den öffentlichen Raum gelassen werden und dass es einen Streit um das gemeinsame Miteinander-Leben gibt, im positiven Sinne. Denn in dem Streit erscheint man sich gegenseitig als gleiche und freie Menschen.“

Blutfarben ist der Schlamm, den Ken Krimstein in seiner Graphic Novel aus dem Jahr 2019 im französischen Internierungslager Gurs von oben nach unten über ein Bild kriechen lässt. Er symbolisiert die Lebensgefahr im Lager. Dann zeigt der Zeichner, wie Hannah Arendt mutig die Situation eines Tumults nutzt, um zu fliehen. Der Diskurs mit sich selbst und anderen, das mutige Handeln in einer aussichtslos scheinenden Lage – das sind Facetten von Hannah Arendts Leben und Werk, die der geplante Theaterabend in Hannover aufgreifen wird.

Ein Schild vor dem Uwe-Johnson-Literaturhaus in Klütz

Alle anderen Veranstaltungen wurden abgesagt, nachdem die Stadt Klütz den Publizisten Michel Friedman für die Kulturwoche im kommenden Jahr ausgeladen hatte.

In ihrer Rolle als Hannah Arendt sitzt Barbara Sukowa mit einer Zigarette in der Hand vor einer Bücherwand.

Die Schauspielerin („Hannah Arendt“, „Rosa Luxemburg“) erhält im Mai den Goldenen Ochsen des Filmkunstfestes Mecklenburg-Vorpommern.

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