Ihr Motor ist die Leidenschaft, doch gerade dieser Antrieb braucht besten Kraftstoff. Balletttänzer und vor allem -tänzerinnen sollen auf der Bühne schwerelos aussehen, als würde keine Anstrengung hinter ihrer Kunst stecken. Dabei ist der klassische Bühnentanz Hochleistungssport und will einen Körper, der optimal versorgt ist.
Gute Ernährung spielt da eine zentrale Rolle, ganz besonders, wenn man für den Ballettnachwuchs kocht, wie es Frank Bellmann seit fünf Jahren in der John-Cranko-Schule (JCS) tut. Weil sich viele der jungen Talente noch im Wachstum befinden, sind gesunde Mahlzeiten besonders wichtig. Doch wer selbst zu Hause Kinder zu Tisch bittet, weiß, dass es gar nicht so leicht ist, mit einem gesunden Essen für strahlende Gesichter zu sorgen.
Gekocht wird an sieben Tagen in der Woche
Frank Bellmann, der mit einem insgesamt achtköpfigen Team an sieben Tagen die Woche jeweils drei Mahlzeiten auftischt, wagt dennoch auch mal Neues. „Heute gibt es gebratene Nudeln und zum ersten Mal Ente“, verrät der Koch, als ihm Reporterin und Fotograf in die Töpfe schauen dürfen. Es ist ein Donnerstag. „Das ist unser Asia-Tag“, sagt der Küchenchef, der mit solchen Angeboten darauf reagiert, dass in der weltweit renommierten Ballettschule aktuell 31 Nationalitäten unterrichtet werden, ein Viertel davon kommt aus dem asiatischen Raum.
Seit 6 Uhr steht Frank Bellmann in der schicken Küche des JCS-Neubaus an der Stuttgarter Werastraße. Nach dem Frühstück für die 80 Internatsschülerinnen und -schüler gilt es, rund hundert Mittagessen auf den Tisch zu zaubern. Auch die externen Ballettkinder holen sich in der schlicht, aber schick möblierten Mensa Energie für den bevorstehenden Unterricht am Nachmittag.
Frank Bellmann setzt auf frische Zutaten. Foto: Lichtgut/Julian Rettig
„Wir kochen wie für Sportler, alles muss besonders frisch und abwechslungsreich sein“, bringt der Küchenchef seine Aufgabe auf einen Nenner. Kommt einer der Lieferanten mit Gemüse oder Obst an, das nicht den Qualitätsansprüchen Frank Bellmanns genügt, lässt er die Ware zurückgehen. Möglichst regional und saisonal sollte alles sein. Schließlich schaden lange Wege und Lagerung dem Vitamingehalt. Doch heute hat der Koch eine Kiste mit Paprika vor sich stehen, die alle aussehen, als seien sie gerade eben geerntet worden.
Alles mit Hähnchen kommt gut an
Auf die Frage nach den Tricks der Speiseplan-Gestaltung antwortet Frank Bellmann: „Wir sehen an den Resten, was gut ankommt und was nicht so gut geht.“ Spätestens nach dem Mittagessen, das über einen Zeitraum von zweieinhalb Stunden angeboten wird, weiß er dann auch, ob die Ente eine prima Wahl war. Die Chancen stehen gut. „Alles mit Hähnchen kommt an“, sagt der Küchenchef zu den Vorlieben seiner Gäste. „Das ist praktisch, denn Geflügel enthält viel Eiweiß, und die Eiweißdeckung ist wichtig für den Muskelaufbau“, erklärt Frank Bellmann. Neben hellem Fleisch setzt er auf Kichererbsen, Frischkäse oder Feta als Quelle für den erhöhten Proteinbedarf von Tänzern.
Der 37-jährige Koch, der aus der Gastronomie kommt, hat sich sein Wissen über die beste Ernährung für Ballettschüler selbst erarbeitet. In seine Tätigkeit fließen auch die Erfahrungen ein, die an der JCS über Jahre hinweg in Gesprächen mit Ernährungsberatern gesammelt wurden, wie Direktor Tadeusz Matacz unterstreicht. „Wir haben zwar kein eigenes Fach dafür, aber Ernährungsfragen sind auch im Unterricht ein wichtiges Thema“, sagt Matacz und erläutert, warum er Aufklärung für so wichtig hält: „Kinder werden heute durch die Werbung bombardiert mit Zucker, Farbstoffen, Geschmacksverstärkern. Sie müssen wissen, was ihnen guttut.“
Fertiggerichte sind tabu
Fertiggerichte gehören eher nicht dazu, deshalb sind sie in der Küche von Frank Bellmann tabu. „Es würde viel zu lange dauern, ständig die Zutatenlisten zu studieren. Außerdem sind wir zwei Köche, die gern selbst Hand anlegen“, sagt er. So hat er zudem den besten Überblick über die Zutaten, über Fette zum Beispiel. „Jeder Mensch braucht sie, aber es sollten ungesättigte Fettsäuren sein, wie sie zum Beispiel Lachs hat“, sagt der Koch und ergänzt: „Frittiertes enthält dagegen eher ungesundes Fett, deshalb frittieren wir gar nicht.“
Schuldirektor Tadeusz Matacz Foto: Lichtgut/Julian Rettig
Auf Pommes will Frank Bellmann dennoch nicht komplett verzichten; schließlich kocht er für junge Menschen. Sein Kompromiss: „Wenn, dann gibt es Ofenpommes oder noch besser im Ofen gebackene Kartoffeln, bei denen wir besser steuern können, wie viel Fett wir nehmen.“ Aus demselben Grund ersetzt er Mayonnaise in Wraps durch körnigen Hüttenkäse, der sehr viel Protein enthält. „Das ist gesünder, ohne dass es überhaupt jemand bemerkt“, lautet der Tipp des Küchenchefs.
Große Auswahl am Morgen
Beim Frühstücksbüffet muss Frank Bellmann Rücksicht auf unterschiedlichste Energiebedarfe nehmen. Die Jüngeren werden am Vormittag die Schulbank drücken, die Akademie-Schülerinnen und Schüler sind vielleicht auch körperlich gefordert. „Um 6 Uhr geht’s los. Wir setzen auf eine große Auswahl an Müsli, Brötchen und viel frisches Obst“, sagt der Küchenchef. Bis 20.30 Uhr, wenn das Abendessen beendet ist, wird in seiner Küche Betrieb sein.
Eine gute Balance zu finden zwischen dem, was dem Ballettnachwuchs schmeckt, und dem, was ihm auch guttut, ist der Spagat, den Frank Bellmanns Team beherrschen muss. Der Pasta-Tag am Beginn der Woche ist ein gutes Beispiel; er ist beliebt und liefert schnelle Kohlenhydrate. „Kartoffeln sind da zwar besser, weil sie über einen längeren Zeitraum Energie geben“, sagt der Küchenchef, aber Vielfalt ist ebenfalls wichtig.
Die Verlockungen der Stuttgarter City
Sollte jemand mal nicht nach seinem Gusto satt werden, gibt es im Internatsbereich zwei Küchen, in denen sich Schüler über das Angebot der Kantine hinaus selbst versorgen können. „Ich sehe da viel Nudel-Pakete und die bei Asiaten beliebten Reiskocher“, sagt Tadeusz Matacz.
Und dann gibt es noch die Verlockungen draußen in der City für die Neuankömmlinge aus anderen Kulturen. Wer zum Beispiel Mehl, Milch und viel Zucker nicht gewohnt ist, der wird Gebäck und Kuchen sehr lecker finden. Doch die negativen Gewichtseffekte seien nach wenigen Wochen zu sehen, sagt Direktor Tadeusz Matacz – und dann sei der Moment für ein Gespräch gekommen. Präventive Warnungen hält er für nicht angemessen: „Jede und jeder muss seine eigenen Fehler machen dürfen.“ Die Schule hat aber auch eine Fürsorgepflicht, muss also ihre Schützlinge vor Schaden bewahren.
Im Speisesaal führen Erzieherinnen und Erzieher Aufsicht, und haben einen Blick darauf, ob sich alle gesund ernähren. Auch die Ballettpädagogen erkennen im täglichen Umgang mit ihren Schülerinnen und Schülern rechtzeitig die Warnzeichen von Essstörungen wie der Magersucht. Neben den psychischen Folgen kann eine verminderte Nahrungsaufnahme Mangelerscheinungen bewirken, die Verletzungen zur Folge haben.
Tadeusz Matacz ist froh über die geringe Zahl an Anorexie-Fällen in der JCS, während andere Ballettschulen für Schlagzeilen sorgten. „Aber leider kommen Essstörungen auch bei uns vor“, sagt der Direktor, betont jedoch: „Der Körper ist das Instrument der Tänzer, unser einziges. Das müssen wir entsprechend gut pflegen. Herr Bellmann hilft mit der richtigen Ernährung dabei, das ist sehr wichtig. Denn Tänzer können nicht wie ein Pianist einfach das Instrument wechseln.“
Wo Kalorien zu Spitzenkunst werden
Die Ente kam übrigens sehr gut an. „Die wird es sicher mal wieder geben“, sagt Frank Bellmann. Wie gut sein Team kocht, lässt sich auch bei den Auftritten der JCS im Opernhaus bestaunen. Dann verwandelt der Ballettnachwuchs Kalorien in Spitzenkunst. „Vor allem die Matinee der Schule vor den Sommerferien ist für mich das Highlight des Jahres“, sagt der Küchenchef.
John-Cranko-Schule: Mit Mensa zu Weltruhm
Alles veggie?
Fünf der 80 Cranko-Internatsschüler sind Vegetarier. „Für sie machen wir aus dem Fleischgericht, das wir täglich anbieten, eine vegetarische Variante. Neben der klassischen Lasagne gibt es dann zum Beispiel eine vegetarische mit Linsen oder Tofu“, sagt Frank Bellmann.
Schule
1971 gründete der Stuttgarter Ballettdirektor John Cranko eine Schule, um den eigenen Nachwuchs auszubilden. Die 1974 nach ihm benannte Einrichtung war die erste in Westdeutschland, die einen Berufsabschluss für Bühnentänzer ermöglichte. Heute gehört sie zu den weltweit renommiertesten Ausbildungszentren ihrer Art. Seit 1999 ist Tadeusz Matacz Direktor der Schule, die seit 2020 im Neubau zwischen Wera- und Urbanstraße untergebracht ist. 2026 wird Elisa Carillo Cabrera seine Nachfolgerin.