Liebe Leserin, lieber Leser,
wenn
der Pastor Martin Vetter heute Nachmittag seine Kirche betritt, die
Hauptkirche St. Nikolai am Klosterstern, hat er wenig zu sagen. Auf
seinem Weg durch das Gotteshaus wird er von Kindern begleitet, die
als Bäcker verkleidet sind, als Mönche, Gaukler, Engel. Auch ein
Teufel wird dabei sein. Und die Sechstklässlerinnen Anastasia,
Amilia und Paula. Die Mädchen werden heute zu Kinderbischöfinnen
ernannt.
Das
geht zurück auf einen Brauch, der mindestens seit dem vierten
Jahrhundert belegt ist, und im Mittelalter in ganz Europa verbreitet
war. Ein Rollentausch auf Zeit. Dieser sollte, so steht es in einem
historischen Lexikon, die geistigen Würdenträger erinnern, „sich
der Nichtigkeit und Vergänglichkeit irdischer Macht stets gewärtig
zu sein, Demut zu üben und sich vor Amtsmissbrauch zu hüten“. 1994
belebte die Hauptkirche St. Nikolai die Tradition wieder, seither
werden jedes Jahr drei Schüler oder Schülerinnen der evangelischen
Wichern-Schule ins Amt eingeführt.
Die
neuen Bischöfinnen Anastasia, Amilia und Paula bekommen – von
ihren Vorgängern – einen Mantel verliehen, den bischöflichen
Stab, einen Ring und den Hut, der Mitra genannt wird. „Ich darf das
Kreuz verleihen“, sagt Pastor Vetter. „Freundlicherweise.“ Dann
steigen die neuen Bischöfinnen auf die Kanzel und predigen. Im
Publikum in der St.-Nikolai-Kirche werden rund 350 Kinder sitzen. Da
müsse man etwas gucken, dass man alle im Blick habe, sagt Vetter.
© ZON
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Denn
früher übertrieben es die Kinderbischöfe manchmal. Im 13.
Jahrhundert erstürmten verkleidete, bewaffnete Schüler der
Regensburger Domschule immer wieder ein nahe gelegenes Kloster, wobei
es einer Quelle zufolge unter anderem „zu derben Beschimpfungen der
Mönche“ kam.
Mit
Beschimpfungen rechnet Pastor Vetter nicht. Heute läuft alles etwas
braver ab als früher. Die Kinderbischöfinnen sehen sich als
Botschafter für Kinderrechte. Für ihre fünfmonatige Amtszeit haben
sie sich das Thema Inklusion vorgenommen. Sie besuchen soziale
Einrichtungen, tauschen sich dort über Gleichberechtigung aus,
sammeln und verteilen Lebensmittel für die Tafel und besuchen ihre
Kollegin Kirsten Fehrs, Bischöfin für Hamburg und Lübeck.
Am
Ende der Predigt, sagt Pastor Vetter, gibt es Saft und Kekse.
Ich wünsche Ihnen einen
gesegneten Tag!
Ihr
Yannick Ramsel
WAS HEUTE WICHTIG IST
Hamburg
hat 2024 weniger Strom erzeugt
als im Vorjahr. Knapp 2,2 Millionen Megawattstunden Strom wurden in
der Hansestadt produziert, wie das Statistikamt Nord mitteilte –
ein Rückgang von 2,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der weitaus
überwiegende Anteil der Stromerzeugung stammte mit 1,5 Millionen
Megawattstunden und einem Anteil von 68,8 Prozent aus fossilen
Energieträgern wie Kohle und Erdgas. Rund 0,6 Millionen
Megawattstunden Strom und damit 12,6 Prozent mehr als 2023 wurden aus
erneuerbaren Energien erzeugt. Der Stromverbrauch belief sich im
selben Zeitraum auf rund 10,8 Millionen Megawattstunden.
© picture alliance/dpa/The Canadian Press via AP/Darryl Dyck
Taylor
Swift ist in Hamburg auch in diesem Jahr bei Spotify die meistgehörte
Künstlerin. Auf die US-Sängerin folgt
der in Hamburg geborene Rapper Bonez MC, wie aus dem
„Wrapped“-Jahresrückblick des Musikstreaming-Anbieters hervorgeht.
Auf Platz drei steht der Berliner Musiker Jazeek. Der am häufigsten
gestreamte Song ist demnach Tau mich auf
von Zartmann, bei den Alben liegt in der Hansestadt der Soundtrack
zum Musical-Animationsfilm KPop Demon
Hunters ganz vorne. Der meistgehörte
Podcast ist Gemischtes Hack
mit Felix Lobrecht und Tommi Schmidt.
Trotz
Hunderter Verdachtsfälle und einem vom rot-grünen Senat im Februar
eingerichteten Mietenmelder hat die Stadt bislang keinen
einzigen möglichen Mietwucherfall bearbeitet.
Aufgrund der starken Belastung der Beschäftigten und der komplexen
Bearbeitung der Meldungen sei dies aktuell nicht umsetzbar, heißt es
in einer Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion
in der Hamburgischen Bürgerschaft. Bei der Mietwucher-App der Linken
wurden demnach seit November vergangenen Jahres 969
Mietpreisüberhöhungen gemeldet, über den Mietenmelder des Senats
waren es seit Februar dieses Jahres 344 Fälle.
In aller Kürze
• Die Naturschutzorganisation Nabu bittet alle
Hamburgerinnen und Hamburger, auf privates
Silvesterfeuerwerk zu verzichten. Die
Beeinträchtigungen für Wild- und Haustiere seien erheblich, Vögel
etwa flüchteten aus ihren Schlaf- und Rastplätzen und verlören
dabei Energie, die sie im Winter anderweitig bräuchten •
Rund 3.900 Frauen und Männer mit Behinderung suchen in Hamburg einen
Job, das sind mehr als vor einem Jahr. Im dritten Jahr der
Konjunkturschwäche falle es diesen Menschen schwerer
als anderen, wieder Fuß zu fassen im
Arbeitsmarkt, sagt Sönke Fock, Chef der Hamburger Agentur für
Arbeit •
Ein 17-jähriger Radfahrer ist bei einem Unfall in Hamburg-Bergedorf
lebensgefährlich verletzt
THEMA DES TAGES
© Jewgeni Roppel für DIE ZEIT
„Einen habe ich mal in der Sauna getroffen“
Eckehard Schweppe war
33 Jahre Amtsrichter in Hamburg-Blankenese: ein Gespräch über
Schwamm-drüber-Tage, aussterbende Jugendgangs und kuriose
Begegnungen mit Verurteilten. Die Fragen stellte ZEIT-Autor Arno
Makowsky; lesen Sie hier einen Auszug aus dem Interview.
DIE
ZEIT: Sie waren 33 Jahre lang Richter
am Amtsgericht Hamburg-Blankenese. Schildern Sie mal einen Fall, der
gut in diesen Stadtteil passt.
Eckehard
Schweppe: Einmal ging es um einen
Streit um eine Dunstabzugshaube in einem Haus hier in der Gegend. Der
Eigentümer einer Villa neben dem Haus hat sich beschwert, dass es
immer nach Essen riecht, wenn da gekocht wird. Der Mieter sagte: Von
wegen, wir haben ja eine Dunstabzugshaube. Ich bin also mit einem
Referendar zum Ortstermin. Der Referendar musste ein Steak anbraten,
ich stand in der Villa. Es gab noch keine Handys, wir haben uns mit
einem Walkie-Talkie verständigt. Ich: Jetzt Stufe 1 der Haube
einschalten! Jetzt Stufe 2! Das war witzig, weil der Anwalt vom
Villenbesitzer immer gesagt hat: Es stinkt total. Und der Anwalt vom
Hausmieter: Ich rieche nichts. Letztendlich ging es nicht allein um
die Frage, ob es stinkt oder nicht, das ist ja auch subjektiv,
sondern darum, ob der Betrieb einer Dunstabzugshaube dem üblichen
Standard entspricht. Da dies vorliegend der Fall war, habe ich die
Klage auf Entfernung der Dunstabzugshaube abgewiesen. Solche Fälle
gibt es hier öfter mal.
ZEIT:
Klingt eher idyllisch.
Schweppe:
Blankenese war immer ein besonderes Gericht – klein, menschlich,
familiär. Die Fälle spiegeln die Leute wider, die hier leben. Oft
wollten meine Kinder von mir einen spannenden Fall hören. Aber
ehrlich gesagt ist das meistens ja nicht so richtig spannend wie die
True-Crime-Storys in den Podcasts. Dafür gibt es spannende
menschliche Hintergründe. Ich kannte viele Angeklagte persönlich,
weil sie um die Ecke wohnen.
ZEIT:
Und wenn eine Verhandlung anstand, haben Sie mit den Leuten vorher
darüber geredet?
Schweppe:
Ja, ab und zu, wenn es gerade passte. Ich erinnere mich an den Fall
eines Quartalssäufers. Der ist ein ganz vernünftiger Mensch, aber
wenn er getrunken hat, begeht er Straftaten. Irgendwann war er wieder
fällig vor Gericht, mit mir als Richter. Ich wusste, wenn ich das
nicht vorbespreche, dann dauert der Prozess ewig.
ZEIT:
Was hat er gemacht?
Schweppe:
Er hat in einer Gaststätte jemanden beleidigt, bedroht und dann im
Weggehen eine Handtasche mitgenommen. Also Diebstahl, Beleidigung,
Bedrohung. Ich habe ihn getroffen und gesagt: Hör mal, wir brauchen
jetzt eine wahrhaftige Geschichte. Räume das ein, erzähle den
Hintergrund. So kam es dann auch. Er sagte, dass er sich beleidigt
gefühlt hat und betrunken war. Es ging auch deshalb gut, weil der
Staatsanwalt vernünftig war. Das ist ja auch nicht immer der Fall.
Aber oft arbeitet man bei so etwas auf eine Einstellung hin, gegen
eine kleine Geldbuße. Damit ist der Rechtsfrieden wiederhergestellt.
Es gab hier einmal einen Oberstaatsanwalt, mit dem habe ich bei
kleinen Delikten von Jugendlichen immer mal wieder einen
„Schwamm-drüber-Tag“ gemacht. Astrid Lindgren lässt grüßen. Das
heißt: Die Verfahren wurden eingestellt. Und der Staatsanwalt und
ich haben zu den Angeklagten gesagt: Wir wollen euch hier nicht
wiedersehen!
Wie
sich Eckehard Schweppe den Status als Dorfrichter in Blankenese
erarbeitet hat, lesen
Sie weiter in der ungekürzten Fassung auf zeit.de.
DER SATZ
© Marc Rehbeck/ARD
„Vor
20 Jahren konnten die Kollegen schärfer, süffisanter und härter
urteilen, ohne sich zu sorgen, dass sie damit zu einer
Delegitimierung des Parlamentarismus beitragen. Sie durften überzeugt
sein, dass es nichts gab, was unsere Gesellschaft kaputtmachen
könnte.“
Im
Interview spricht „tagesthemen“-Moderatorin Jessy Wellmer über
Krisen, die uns umzingeln, über die Frage, was konservativ ist, und
Themen, bei
denen sie sich vor der Kamera auf die Zunge beißt.
DARAUF KÖNNEN SIE SICH FREUEN
Das
inklusive Ensemble des Klabauter-Theaters zeigt im Dezember sein
neues Stück Neumond. Seltsame Wesen zwischen Mensch und Monster sind nachtaktiv, und
die Bewohner des Dorfes machen sich auf die Suche nach dem
Unerklärlichen. Was macht uns böse – und was menschlich? Was ist
„anders“ oder „unheimlich“? Das Ensemble entwickelt seine Stücke
selbst oder erarbeitet bekannte Stoffe neu.
„Neumond“,
5.12., 19.30 Uhr, Jungestraße 7a;
Kartenreservierung karten-klabauter@rauheshaus.de oder telefonisch
040-63 30 76 44
MEINE STADT
Wintermorgenlicht (Osdorfer Feldmark) © Astrid Diers
HAMBURGER SCHNACK
Neulich
im Restaurant: Ein Gast lobt nach dem Essen die hervorragende Küche
mit den Worten: „Es war wieder megalecker heute!“ Der Kellner
antwortet: „Ich weiß, ich komme jeden Tag hierher!“
Gehört
von Lisa Gehrke
Das war
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