Der Applaus war höflich, nicht überwältigend. Als der Chef des rechtsextremen Rassemblement National (RN), Jordan Bardella, bei der Hauptveranstaltung des größten französischen Arbeitgeberverbandes Medef sprach, gab er sich Mühe, als wirtschaftsfreundlicher Ansprechpartner aufzutreten. Er stehe für Ausgabenkürzungen, die Senkung der Produktionskosten und der Unternehmensabgaben, versicherte der EU-Abgeordnete.
Trotzdem überzeugte er nur mäßig. Diese Versprechen seien schön und gut, betonten später die Unternehmer im Publikum, aber Bardella blieb bei heiklen Themen – von der Rentenreform bis zur Besteuerung der Reichsten – schwammig. „Es ist leicht zu sagen, die Betriebe müssen laufen – das macht ihn noch nicht glaubwürdig“, sagte Sophie de Menthon, Chefin der Unternehmerlobby Ethic. Sie gehörte im Januar 2022 zu den ersten Vertretern der Wirtschaftswelt, die direkt in den Dialog mit den französischen Rechtsextremen traten.
Rassemblement geht auf Distanz zur AfD
Inzwischen folgten viele weitere. Bardellas Einladung zu den Wirtschaftstagen des Medef Ende August galt als selbstverständlich. Während in Deutschland der Verband „Die Familienunternehmer“ nach Protesten eine Kurskorrektur vornahm und von einer Annäherung an die AfD Abstand nahm, ist die Brandmauer in Frankreich nicht nur am Bröckeln, sondern längst eingestürzt. Umfragen zeigen, dass vor allem Kleinunternehmer dem RN mehr und mehr vertrauen.
Der Mitbegründer und langjährige Chef des damaligen Front National, Jean-Marie Le Pen, war noch ein Außenseiter. Doch seine Tochter Marine Le Pen leitete ab der Übernahme der Partei 2011 deren Normalisierung ein. Sie beschloss 2018 die Namens-Änderung, verbot Nazi-Symbole und offen rassistische oder antisemitische Aussagen und brach zeitweise mit ihrem Vater. Auch von der AfD distanzierte sich der RN im Europawahlkampf 2024.
Heute führt die Partei in Frankreich die Umfragen an. Bardella ist der beliebteste Politiker des Landes. Der 30-Jährige hat gute Chancen bei der Präsidentschaftswahl 2027, falls Le Pen, aktuell RN-Fraktionschefin in der Nationalversammlung, aufgrund ihrer Verurteilung wegen der massiven Veruntreuung von EU-Geldern nicht kandidieren darf. Entschieden wird dies beim Berufungsprozess Anfang 2026.
Zwischen beiden Politikern herrscht eine Art Aufteilung. Le Pen bewirbt inzwischen zwar nicht mehr den Austritt Frankreichs aus der EU und der Euro-Zone. Doch ihr haftet der Ruf an, „sozialistisch“ zu sein, da sie als selbst ernannte Verteidigerin der „kleinen Leute“ oft gegen „die Finanz-Oligarchie“ wettert. Bardella hingegen, der durch seine Auftritte auf Tiktok viele jüngere Leute anzieht, soll neue Wählerschichten erschließen, die bislang schwer erreichbar für die Rechtsextremen waren. Neben den Rentnern und der gut gebildeten Oberschicht gehört dazu auch das Wirtschaftsmilieu.
„Brief an die Unternehmer“ verspricht Energie-Paradies
In einem „Brief an die Unternehmer“ versprach er unter anderem, aus Frankreich dank des Baus neuer Atomreaktoren ein „Energie-Paradies“ zu machen und einen „positiven Steuer-Schock“ mit deutlichen Senkungen auszulösen. Hatte die Partei stets EU-Regeln bekämpft, so plant sie erstmals, das Defizit Frankreichs unter das Maastricht-Kriterium von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu drücken. Die RN-Fraktion stimmte zuletzt gegen eine Aussetzung der Rentenreform und eine Sondersteuer für Superreiche, die sie vor Monaten noch bewarb. So wagt die Partei einen weiten Spagat zwischen einer Politik für die Arbeiterklasse, ihrer Kernwählerschaft, und den Versprechen an die Wirtschaftselite. Das Programm sei nicht klar, sondern fluktuiere zwischen zwei Linien, kritisierte der Politologe und Ökonom Nicolas Bouzou. „Der RN versucht, wie eine verantwortungsbewusste Partei aufzutreten, aber die Vorschläge bleiben widersprüchlich zwischen liberalen Reden und sozialen oder identitären Maßnahmen.“
Auch das Wirtschaftsprogramm überzeuge bislang nicht: Es basiere, so kritisierten Ökonomen, auf einem fiktiven „spektakulären Wachstum“ sowie auf rechtlich fragwürdigen Maßnahmen wie der einseitigen Kürzung der französischen Beiträge zum EU-Budget.
Beim RN seien „große Amateure“ am Werk, kritisierte der diesjährige Wirtschaftsnobelpreisträger Philippe Aghion. „Das sind keine seriösen Leute, sie sind unfähig, Frankreich zu verwalten.“ Warum sie dennoch zunehmend Anklang finden, verriet ein Unternehmer anonym bei der Medef-Veranstaltung: Die anderen Parteien seien kaum glaubwürdiger. Nicht der RN sei es, der die schwierige Finanzlage des Landes zu verantworten habe.