Mit der Kampagne „Fall of Freedom“ versuchen Künstler wie Dread Scott und Robert Longo in den USA ihren Widerstand gegen Trump zu organisieren. Für viele war das überfällig. Aber es gibt auch Kritik

Banner der Kampagne „Fall of Freedom“

Plakat: Shepard Fairey für „Fall of Freedom“

In den USA, diesem Imperium der Freiheit, geht ein Gespenst um. Manche nennen es bereits Faschismus, andere Kulturkampf oder Zensur. Was alle meinen: die Angst. Und um die endlich überwinden zu können – das heißt, sich aus der ohnmächtigen Starre zu lösen, die viele amerikanische Schriftstellerinnen, Maler und Museumsleiterinnen nach Donald Trumps Wiederwahl überfallen hatte –, wurde Ende November im US-Kulturbetrieb zum „kreativen Widerstand“ aufgerufen. Von wem? Einer neu gegründeten Protestbewegung, die sich „Fall of Freedom“nennt. Kann sie die Angstherrschaft in der Kultur beenden?

„Die Aktionstage waren ein Erfolg für uns“, sagt Dread Scott danach am Telefon. Der Künstler ist Initiator des „Fall of Freedom“. Seinen persönlichen Karrieredurchbruch feierte er 1989, als seine Installation What Is the Proper Way to Display a U.S. Flag wegen des Verdachts auf Entweihung nationaler Symbole erst zum kunstkritischen, dann zum verfassungsrechtlichen Skandal wurde. In dieser Tradition sieht er auch den aktuellen Protest: „Kunst zählt!“, so seine Botschaft. „Ich wusste, alle warteten darauf, dass es auf diese verrückte Zeit endlich auch eine Antwort aus der Kultur geben würde.“

Wie die ausfiel? Landesweit 600 Events firmierten zwischen dem 21. und 23. November unter dem Kampagnen-Banner des „Fall of Freedom“; die meisten davon in den intellektuellen Gravitationszentren an der Ostküste, in Washington, D. C., und New York City. Dort traten unter anderem Musik-Größen wie Sheryl Crow und Mark Ronson auf, sangen und demonstrierten für eine angstfreie Kultur, während ein paar Häuserblocks weiter LED-Trucks des Kunstkollektivs NYC Resistance Salon durch die dicht befahrenen Straßen Manhattans kurvten, satirische Cartoons auf Mega-Screens abspielten und sich damit über den Aggro-Despoten Trump lustig machten. So erzählt es Dread Scott und wirkt dabei erleichtert.

Auch der Künstler Dread Scott spürte die Folgen von Trumps Politik

Ernst klingt er wieder, wenn es um die politischen Hintergründe des Protests geht. Der Künstler spricht von „aufkommendem Faschismus und Zensur in den USA“. Große, beunruhigende Begriffe. Was die konkret für den Kulturbetrieb bedeuteten? Scott listet auf: Trumps Anti-Wokeness-Attacken auf geschichtsvermittelnde Institutionen, wie die Museen und Galerien des Smithsonian, oder auf Medienvertreter wie den TV-Comedian Jimmy Kimmel. Auch ihn persönlich hätten die autokratischen Ambitionen des „Orange Man“ bereits getroffen, erklärt Scott, der Afroamerikaner ist. „Eines meiner Projekte wurde gecancelt, weil dem Skulpturenpark, in dem ich ausstellen sollte, 100.000 Dollar Förderung entzogen wurden.“

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Hari Kunzru, britischer Autor und Ko-Organisator des „Fall of Freedom“, ergänzt per E-Mail: „Die nationalen Fonds für Kulturförderung wurden so gut wie abgeschafft.“ Für seine Disziplin, die Literatur, bedeute dies, dass „jedes Magazin, jeder Verlag, jede Lesereihe die Förderung vom Staat verliert“. Bereits im Oktober widmete der PEN America, dessen Mitglied Kunzru ist, dieser indirekten Form staatlicher Zensur eine Veranstaltungsreihe, in der auch die direkte Zensur, das Verbot ungewollter Bücher an Schulen, zum Thema wurde.

„Es ist schlimmer als unter Ronald Reagan“, sagt der Künstler Robert Longo

Selbst Schwergewichte der amerikanischen Gegenwartskultur müssen Einschnitte befürchten. Zum Beispiel Robert Longo, der Bruce Springsteen unter den Pop-Art-Künstlern: Seit den 1960er Jahren kratzen seine bilderstürmerischen Kohlezeichnungen an den Machtmythen der Vereinigten Staaten – Vietnam, Reagan, der „War on Terror“. Neben dem Filmemacher und Schwergewicht der Amerika-Kritik Michael Moore gehörte Longo zu den prominenten Unterstützern des „Fall of Freedom“. „Es ist schlimmer als unter Ronald Reagan“, sagt er. „Und damals dachte ich schon, jemand von der Regierung könnte mir jederzeit verbieten, meine Arbeiten zu zeigen.“ Der Unterschied zwischen damals und heute? „Politik unter Trump ist nur noch organisierter Hass.“

Robert Longo erreicht man via Zoom in seinem Studio im sonnigen Kalifornien. Soeben zeigte er in der renommierten Pace Gallery in New York City seine Ausstellung The Weight of Hope. Ein Erfolg. Genau deshalb fühle er sich jetzt aber schlecht, gesteht er. Sein Leben laufe so gut, während das vieler Menschen in den Vereinigten Staaten nur noch miserabler werde. Scham, Schuld, Ohnmacht: Aus diesen Gefühlen heraus habe er sich dem „Fall of Freedom“angeschlossen.

Wahr oder nicht: Die Paranoia reicht aus, um Kunst zu beschränken

Allerdings spüre auch er die Angst. Und das aus weniger abstrakten Gründen: Die Nationalgalerie in Washington, so erzählt Longo stotternd, habe neulich eine seiner Zeichnungen gekauft, sie bisher aber nicht öffentlich gezeigt. Das Gerücht gehe um, die Museumsleitung fürchte sich vor den Reaktionen des Präsidenten – auf Longos Bild sind die von Trump aufgehetzten Capitol-Hill-Randalierer vom 6. Januar 2021 zu sehen. Ob das Gerücht wahr ist oder nicht, sei eigentlich egal, meint der Künstler. Allein die Paranoia, die Trumps Politik auslöse, reiche, um die Kunstfreiheit effektiv auszuhebeln.

Angst zu machen, liegt im politischen Kalkül des US-Präsidenten. Hinter seinen Maßnahmen gegen die Kulturfreiheit steht der ausgefeilte Plan einer Konterrevolution. So, wie ihn das „Project 2025“ des ultrarechten Think-Tanks Heritage Foundation – Trumps Ideologieflüsterer – seit 2023 öffentlich promotet: der Rückbau eines vermeintlich übermächtigen „Kulturmarxismus“ im Staatsapparat und die Wiederherstellung eines Geschichtsbildes, das sich an den „Gründungswerten Amerikas“ ausrichtet, also Kolonialismus und Sklaverei als moralisch darstellt.

Man muss das bisherige Ergebnis dieses Plans nicht Faschismus nennen, wie Dread Scott das tut, drastisch sind seine Auswirkungen trotzdem: Die Regierung instrumentalisiere „Angst vor finanzieller Vergeltung und vor Gewalt“, sagt Künstler Scott. Und diese Angst sei das Schlimmste, was der Freizügigkeit einer liberalen Kultur, wie sie in den USA eigentlich gelebt wird, geschehen könne, so Hari Kunzru. Für ihn bedeute Freiheit in der Literatur vor allem, „in der Lage zu sein, zu schreiben, ohne darüber nachzudenken, was die möglichen Folgen eines Gedankens sind, den man aufs Papier bringt“.

Der Künstlerin Hilde Helphenstein aka „Jerry Gogosian“ macht etwas anderes Angst

Nicht alle im US-Kulturbetrieb teilen Kunzrus Meinung, dass allein Trumps Kahlschlag diese Freiheit bedrohe. Etwa Hilde Helphenstein. Die Künstlerin betreibt den bekannten Satire-Account „Jerry Gogosian“ und ist in den letzten Jahren mit ihren Popkultur-Memes und ihren 140.000 Followern auf Instagram zu einer bedeutenden, subversiven Stimme der Kunstweltkritik geworden. Sie kann die Perspektive der „Fall of Freedom“-Organisatoren nur ansatzweise teilen. „Was mir Angst macht“, sagt sie, „ist die Polarisierung, das Herdendenken – rechts wie links.“

Neulich, so erzählt sie, nachdem sie in einem Posting „Mamdani ist schlecht für die Kunstwelt“ geschrieben und ein paar aufgeregte, sozialismusskeptische Beiträge nachgelegt habe, habe sich über ihr der Zorn eines eigentlich als links und moralisch geltenden Szenemobs entladen. „Ich habe Morddrohungen erhalten“, sagt sie, „verletzende Beleidigungen“, und liest einige davon vor: „Zionisten-Hure“, „Nazi-Bastard“, „Islamhasserin“. Ihre Erklärung für diese enthemmten Reaktionen? Helphenstein hadert lange mit den Worten, antwortet dann aber doch: „Cancel Culture.“

Zwei Buzzwords, die auch der US-Präsident verwendet, um seine harten Attacken auf die ihm verhasste linksliberale Kulturszene zu begründen. Denn eigentlich, so Trumps Logik, seien es ja deren ideologische Zwänge gewesen, die die Kultur erst unfrei gemacht hätten. Helphenstein teilt die rechtsautoritären Implikationen dieser Sichtweise trotzdem nicht. Überhaupt sei sie politisch „radikal moderat“. Ihr gehe es vielmehr um die Kritik an einer Grundstimmung im Kulturbetrieb: „Die Angst, der Konformismus, die finanzielle Not von Künstlern“, so meint sie, „das war alles schon vor Trump da.“ Was sie damit erklären will? Dass Trumps Schreckgespenst-Politik nur deshalb ihre verunsichernden Ziele erreiche, weil das krass polarisierte Vorfeld in der Kultur bereits seit Jahren von Angst und Alarmismus geprägt sei.

Klingen diese Forumulierungen nicht etwas abgedroschen?

Aber was heißt das für den „Fall of Freedom“, der übersetzt sowohl „Herbst der Freiheit“ als auch „Niedergang der Freiheit“ bedeutet? Kann die Bewegung mit ihrem Hyperfokus auf Trumps Regierungspolitik die Resilienz des Betriebs wirklich stärken, oder betreibt sie nur Symptombehandlung? Scott und Kunzru – die beiden Organisatoren – sind sich sicher: Der gemeinsame Protest helfe ihren Kollegen, sich von der Angst zu lösen. Das Signet der Kampagne, das sich an den beiden Aktionstagen jedes Varieté-Theater und jeder Buchclub überstülpen konnte, diente dabei vor allem der gegenseitigen Selbstvergewisserung: Wir stehen zusammen – als „kreativer Widerstand“.

Nur klingt nicht genau diese Formulierung, mit der der Kampagnentext wirbt, Misstrauen erweckend abgedroschen? Nach den gleichen Stichwortkarten, mit denen der westliche Kulturbetrieb seit ein paar Jahren erfolglos versucht, zwischen hohler Pop-Politik und aktivistischem Deutungsstress zu bestehen?

Hari Kunzru erwidert: „Wir tun nicht so, als ob wir einen magischen Schild hätten.“ Die Rolle von Künstlern sei es nicht, sagt er, „Gegenpropaganda“ zu produzieren, das sei klar, „sondern Menschen mit einer neuen Art des Sehens und Verstehens auszustatten“. Die solle dabei helfen, „den spektakulären Schleier einer jeden Propaganda zu durchschauen“. Weniger zweideutig argumentiert da Dread Scott: „Was Propaganda angeht“, so sagt der Künstler, „ist die größere Gefahr immer noch die, dass wir den Faschismus nicht rechtzeitig besiegen und irgendwann nur noch die Kunst gezeigt werden kann, die MAGA für richtig hält.“

Nach einer richtungsweisenden Wende im Kampf der Kulturszene gegen Trumps Angstherrschaft klingt auch das nicht. Eher nach einer moralisch-strategischen Sackgasse: Hier stehen wir und können nicht anders.

ennt. Kann sie die Angstherrschaft in der Kultur beenden?„Die Aktionstage waren ein Erfolg für uns“, sagt Dread Scott danach am Telefon. Der Künstler ist Initiator des „Fall of Freedom“. Seinen persönlichen Karrieredurchbruch feierte er 1989, als seine Installation What Is the Proper Way to Display a U.S. Flag wegen des Verdachts auf Entweihung nationaler Symbole erst zum kunstkritischen, dann zum verfassungsrechtlichen Skandal wurde. In dieser Tradition sieht er auch den aktuellen Protest: „Kunst zählt!“, so seine Botschaft. „Ich wusste, alle warteten darauf, dass es auf diese verrückte Zeit endlich auch eine Antwort aus der Kultur geben würde.“Wie die ausfiel? Landesweit 600 Events firmierten zwischen dem 21. und 23. November unter dem Kampagnen-Banner des „Fall of Freedom“; die meisten davon in den intellektuellen Gravitationszentren an der Ostküste, in Washington, D. C., und New York City. Dort traten unter anderem Musik-Größen wie Sheryl Crow und Mark Ronson auf, sangen und demonstrierten für eine angstfreie Kultur, während ein paar Häuserblocks weiter LED-Trucks des Kunstkollektivs NYC Resistance Salon durch die dicht befahrenen Straßen Manhattans kurvten, satirische Cartoons auf Mega-Screens abspielten und sich damit über den Aggro-Despoten Trump lustig machten. So erzählt es Dread Scott und wirkt dabei erleichtert.Auch der Künstler Dread Scott spürte die Folgen von Trumps PolitikErnst klingt er wieder, wenn es um die politischen Hintergründe des Protests geht. Der Künstler spricht von „aufkommendem Faschismus und Zensur in den USA“. Große, beunruhigende Begriffe. Was die konkret für den Kulturbetrieb bedeuteten? Scott listet auf: Trumps Anti-Wokeness-Attacken auf geschichtsvermittelnde Institutionen, wie die Museen und Galerien des Smithsonian, oder auf Medienvertreter wie den TV-Comedian Jimmy Kimmel. Auch ihn persönlich hätten die autokratischen Ambitionen des „Orange Man“ bereits getroffen, erklärt Scott, der Afroamerikaner ist. „Eines meiner Projekte wurde gecancelt, weil dem Skulpturenpark, in dem ich ausstellen sollte, 100.000 Dollar Förderung entzogen wurden.“Placeholder image-1Hari Kunzru, britischer Autor und Ko-Organisator des „Fall of Freedom“, ergänzt per E-Mail: „Die nationalen Fonds für Kulturförderung wurden so gut wie abgeschafft.“ Für seine Disziplin, die Literatur, bedeute dies, dass „jedes Magazin, jeder Verlag, jede Lesereihe die Förderung vom Staat verliert“. Bereits im Oktober widmete der PEN America, dessen Mitglied Kunzru ist, dieser indirekten Form staatlicher Zensur eine Veranstaltungsreihe, in der auch die direkte Zensur, das Verbot ungewollter Bücher an Schulen, zum Thema wurde.„Es ist schlimmer als unter Ronald Reagan“, sagt der Künstler Robert LongoSelbst Schwergewichte der amerikanischen Gegenwartskultur müssen Einschnitte befürchten. Zum Beispiel Robert Longo, der Bruce Springsteen unter den Pop-Art-Künstlern: Seit den 1960er Jahren kratzen seine bilderstürmerischen Kohlezeichnungen an den Machtmythen der Vereinigten Staaten – Vietnam, Reagan, der „War on Terror“. Neben dem Filmemacher und Schwergewicht der Amerika-Kritik Michael Moore gehörte Longo zu den prominenten Unterstützern des „Fall of Freedom“. „Es ist schlimmer als unter Ronald Reagan“, sagt er. „Und damals dachte ich schon, jemand von der Regierung könnte mir jederzeit verbieten, meine Arbeiten zu zeigen.“ Der Unterschied zwischen damals und heute? „Politik unter Trump ist nur noch organisierter Hass.“Robert Longo erreicht man via Zoom in seinem Studio im sonnigen Kalifornien. Soeben zeigte er in der renommierten Pace Gallery in New York City seine Ausstellung The Weight of Hope. Ein Erfolg. Genau deshalb fühle er sich jetzt aber schlecht, gesteht er. Sein Leben laufe so gut, während das vieler Menschen in den Vereinigten Staaten nur noch miserabler werde. Scham, Schuld, Ohnmacht: Aus diesen Gefühlen heraus habe er sich dem „Fall of Freedom“angeschlossen.Wahr oder nicht: Die Paranoia reicht aus, um Kunst zu beschränkenAllerdings spüre auch er die Angst. Und das aus weniger abstrakten Gründen: Die Nationalgalerie in Washington, so erzählt Longo stotternd, habe neulich eine seiner Zeichnungen gekauft, sie bisher aber nicht öffentlich gezeigt. Das Gerücht gehe um, die Museumsleitung fürchte sich vor den Reaktionen des Präsidenten – auf Longos Bild sind die von Trump aufgehetzten Capitol-Hill-Randalierer vom 6. Januar 2021 zu sehen. Ob das Gerücht wahr ist oder nicht, sei eigentlich egal, meint der Künstler. Allein die Paranoia, die Trumps Politik auslöse, reiche, um die Kunstfreiheit effektiv auszuhebeln.Angst zu machen, liegt im politischen Kalkül des US-Präsidenten. Hinter seinen Maßnahmen gegen die Kulturfreiheit steht der ausgefeilte Plan einer Konterrevolution. So, wie ihn das „Project 2025“ des ultrarechten Think-Tanks Heritage Foundation – Trumps Ideologieflüsterer – seit 2023 öffentlich promotet: der Rückbau eines vermeintlich übermächtigen „Kulturmarxismus“ im Staatsapparat und die Wiederherstellung eines Geschichtsbildes, das sich an den „Gründungswerten Amerikas“ ausrichtet, also Kolonialismus und Sklaverei als moralisch darstellt.Man muss das bisherige Ergebnis dieses Plans nicht Faschismus nennen, wie Dread Scott das tut, drastisch sind seine Auswirkungen trotzdem: Die Regierung instrumentalisiere „Angst vor finanzieller Vergeltung und vor Gewalt“, sagt Künstler Scott. Und diese Angst sei das Schlimmste, was der Freizügigkeit einer liberalen Kultur, wie sie in den USA eigentlich gelebt wird, geschehen könne, so Hari Kunzru. Für ihn bedeute Freiheit in der Literatur vor allem, „in der Lage zu sein, zu schreiben, ohne darüber nachzudenken, was die möglichen Folgen eines Gedankens sind, den man aufs Papier bringt“.Der Künstlerin Hilde Helphenstein aka „Jerry Gogosian“ macht etwas anderes AngstNicht alle im US-Kulturbetrieb teilen Kunzrus Meinung, dass allein Trumps Kahlschlag diese Freiheit bedrohe. Etwa Hilde Helphenstein. Die Künstlerin betreibt den bekannten Satire-Account „Jerry Gogosian“ und ist in den letzten Jahren mit ihren Popkultur-Memes und ihren 140.000 Followern auf Instagram zu einer bedeutenden, subversiven Stimme der Kunstweltkritik geworden. Sie kann die Perspektive der „Fall of Freedom“-Organisatoren nur ansatzweise teilen. „Was mir Angst macht“, sagt sie, „ist die Polarisierung, das Herdendenken – rechts wie links.“Neulich, so erzählt sie, nachdem sie in einem Posting „Mamdani ist schlecht für die Kunstwelt“ geschrieben und ein paar aufgeregte, sozialismusskeptische Beiträge nachgelegt habe, habe sich über ihr der Zorn eines eigentlich als links und moralisch geltenden Szenemobs entladen. „Ich habe Morddrohungen erhalten“, sagt sie, „verletzende Beleidigungen“, und liest einige davon vor: „Zionisten-Hure“, „Nazi-Bastard“, „Islamhasserin“. Ihre Erklärung für diese enthemmten Reaktionen? Helphenstein hadert lange mit den Worten, antwortet dann aber doch: „Cancel Culture.“Zwei Buzzwords, die auch der US-Präsident verwendet, um seine harten Attacken auf die ihm verhasste linksliberale Kulturszene zu begründen. Denn eigentlich, so Trumps Logik, seien es ja deren ideologische Zwänge gewesen, die die Kultur erst unfrei gemacht hätten. Helphenstein teilt die rechtsautoritären Implikationen dieser Sichtweise trotzdem nicht. Überhaupt sei sie politisch „radikal moderat“. Ihr gehe es vielmehr um die Kritik an einer Grundstimmung im Kulturbetrieb: „Die Angst, der Konformismus, die finanzielle Not von Künstlern“, so meint sie, „das war alles schon vor Trump da.“ Was sie damit erklären will? Dass Trumps Schreckgespenst-Politik nur deshalb ihre verunsichernden Ziele erreiche, weil das krass polarisierte Vorfeld in der Kultur bereits seit Jahren von Angst und Alarmismus geprägt sei.Klingen diese Forumulierungen nicht etwas abgedroschen?Aber was heißt das für den „Fall of Freedom“, der übersetzt sowohl „Herbst der Freiheit“ als auch „Niedergang der Freiheit“ bedeutet? Kann die Bewegung mit ihrem Hyperfokus auf Trumps Regierungspolitik die Resilienz des Betriebs wirklich stärken, oder betreibt sie nur Symptombehandlung? Scott und Kunzru – die beiden Organisatoren – sind sich sicher: Der gemeinsame Protest helfe ihren Kollegen, sich von der Angst zu lösen. Das Signet der Kampagne, das sich an den beiden Aktionstagen jedes Varieté-Theater und jeder Buchclub überstülpen konnte, diente dabei vor allem der gegenseitigen Selbstvergewisserung: Wir stehen zusammen – als „kreativer Widerstand“.Nur klingt nicht genau diese Formulierung, mit der der Kampagnentext wirbt, Misstrauen erweckend abgedroschen? Nach den gleichen Stichwortkarten, mit denen der westliche Kulturbetrieb seit ein paar Jahren erfolglos versucht, zwischen hohler Pop-Politik und aktivistischem Deutungsstress zu bestehen?Hari Kunzru erwidert: „Wir tun nicht so, als ob wir einen magischen Schild hätten.“ Die Rolle von Künstlern sei es nicht, sagt er, „Gegenpropaganda“ zu produzieren, das sei klar, „sondern Menschen mit einer neuen Art des Sehens und Verstehens auszustatten“. Die solle dabei helfen, „den spektakulären Schleier einer jeden Propaganda zu durchschauen“. Weniger zweideutig argumentiert da Dread Scott: „Was Propaganda angeht“, so sagt der Künstler, „ist die größere Gefahr immer noch die, dass wir den Faschismus nicht rechtzeitig besiegen und irgendwann nur noch die Kunst gezeigt werden kann, die MAGA für richtig hält.“Nach einer richtungsweisenden Wende im Kampf der Kulturszene gegen Trumps Angstherrschaft klingt auch das nicht. Eher nach einer moralisch-strategischen Sackgasse: Hier stehen wir und können nicht anders.