Dresden. „Einen Moment bitte, es ist gerade noch sehr emotional“, entschuldigt sich ein Gewerkschafter vor der Gläsernen Manufaktur gegenüber Pressevertretern. Drinnen hat VW-Markenchef Thomas Schäfer gerade der verbleibenden Belegschaft die neuen Pläne für ihre Arbeitsstätte vorgestellt. Die sehen jede Menge vor, aber definitiv keine Fahrzeugfertigung mehr. Nach etwa 23 Jahren endet am Großen Garten eine Ära für Volkswagen in Dresden.
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Die neue soll im Januar mit dem Aufbau eines Innovationscampus der Technischen Universität (TU) Dresden beginnen. Der Freistaat Sachsen, die TU und VW haben etwa zwei Jahre lang über die Kooperation verhandelt und vergangene Woche eine Absichtserklärung unterzeichnet, die den DNN exklusiv vorlag. Am Donnerstag stellten die Partner ihre gemeinsamen Ideen vor. Zuvor kommentierten die Gewerkschaft IG Metall und der Betriebsrat in einer eigenen Pressekonferenz die jüngsten Entwicklungen.
Wie geht es in der Gläsernen Manufaktur weiter?
In genau zwei Wochen wird das letzte Elektroauto ID.3 vom Band rollen. Schließen wird die Manufaktur ab 2026 aber nicht. „Wir werden auch weiterhin das zweitgrößte Auslieferungszentrum von Volkswagen in Deutschland bleiben“, versprach Danny Auerswald, Technik- und Logistikchef bei Volkswagen Sachsen. Auch das Besucherzentrum bleibe erhalten und werde ausgebaut.
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Zunächst wird ab Januar die Fertigungslinie des ID.3 zurückgebaut. Die TU wird dann Stück für Stück auf der Hälfte der Manufakturfläche das Innovationszentrum aufbauen. Mitte des Jahres sollen schon erste Forschungsprojekte in der Gläsernen Manufaktur starten. Das Vorhaben ist laut Absichtserklärung auf zunächst sieben Jahre angesetzt.

Die Gläserne Manufaktur hat das Potenzial, das ‚Stanford des Ostens‘ zu werden.
Thomas Edig
Personalchef VW Sachsen
Was plant die TU Dresden am Standort?
Andreas Pinkwart, der Direktor des TUD Excellence Center for Innovation, Transfer and Entrepreneurship (excite) verkündete, dass zwei Exzellenzgebiete der TU – Mikroelektronik und Materialforschung – in die Manufaktur einziehen werden. „Wir haben jetzt schon die Räume und müssen nicht erst fünf bis sieben Jahre lang planen und bauen“, freute sich Pinkwart. Entstehen soll ein sogenannter Innox Campus, der exzellente Forschung und Praxisnähe in enger Kooperation mit strategischen Unternehmenspartnern bündeln soll. Einziehen soll zudem das Gründungszentrum Boost sowie Abteilungen des Barkhausen-Instituts und des Deutschen Zentrums für Astrophysik (DZA).
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Im Fokus stehen Schlüsseltechnologien wie Mikroelektronik, Künstliche Intelligenz, Robotik, Materialforschung, Chip-Design, nachhaltige Mobilität und Kreislaufwissenschaft. Vor allem das Autonome Fahren soll künftig in Dresden erforscht und zur Anwendung gebracht werden. „Die Gläserne Manufaktur hat das Potenzial, in der zukünftigen Konstellation das ‚Stanford des Ostens‘ zu werden“, frohlockte Thomas Edig, Personalchef von VW Sachsen.
Wer zahlt wie viel Geld?
Vier neue Stiftungsprofessuren will die TU ansiedeln, die VW laut der unterzeichneten Absichtserklärung mit jeweils 900.000 Euro pro Jahr unterstützen will. In dem Papier sicherte VW der TU obendrein 1,5 Millionen Euro pro Jahr für Forschungsaufträge zu. Laut einer Mitteilung aus Wolfsburg investieren VW und TU insgesamt 50 Millionen Euro in den kommenden Jahren. Bis 2032 wird der Freistaat insgesamt 27,5 Millionen Euro aus Steuergeldern für die Miete aufbringen müssen.
Woher soll das Geld vom Freistaat kommen?
Die Frage der Finanzierung ist für den Freistaat Sachsen heikel. Noch liegt kein Kabinettsbeschluss vor, der allerdings nötig wird, um Geld im sächsischen Haushalt umzuwidmen. Wie die DNN aus dem Regierungsviertel erfuhren, sei mit einem derartigen Beschluss der Regierung nicht mehr in diesem Jahr zu rechnen. Woher das Geld angesichts der miserablen Haushaltslage kommen soll, beantwortet die Staatskanzlei derzeit nicht.
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Wir fordern, dass für jeden einzelnen Beschäftigten Klarheit herrscht, was seine Aufgabe ab nächstem Jahr sein wird.
Daniela Cavallo
Konzernbetriebsratsvorsitzende VW
Was wird aus den verbleibenden Mitarbeitern?
Der Innovationscampus hat nichts mehr mit der Grundidee der Gläsernen Manufaktur zu tun. Gewerkschaft und Betriebsrat begrüßen zwar grundsätzlich, dass sich der VW-Konzern zum Standort und der im Tarifvertrag fixierten Beschäftigungssicherung bekennt. „Es geht hier definitiv weiter“, sagte der Betriebsratsvorsitzende Thomas Aehlig. Aber: „Es gibt noch eine Lücke für die Beschäftigung von einer hohen zweistelligen Zahl an Leuten“, merkte Stefan Ehly, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Dresden, an.

Dem Vernehmen nach geht es noch um 60 Mitarbeiter ohne absehbare Tätigkeit. „Wir fordern, dass für jeden einzelnen Beschäftigten Klarheit herrscht, was seine Aufgabe ab nächstem Jahr sein wird“, sagte die Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende von VW, Daniela Cavallo.
Wo können VW-Facharbeiter arbeiten?
Bis 2030 sind betriebsbedingte Kündigungen bei VW ausgeschlossen. Personalchef Edig erklärte, dass die Expertise der Belegschaft auch im Innovationszentrum gebraucht werde, wurde aber nicht konkreter. „Wer weiter Autos bauen will, der setzt sich morgen ins eigene Auto und hilft uns, die Personalbedarfe in Chemnitz zu decken“, schlug Edig vor. Auch in Zwickau könnten Facharbeiter unterkommen. Zudem habe VW-Markenchef Schäfer in der Betriebsversammlung bekräftigt, jeder einzelne Dresdner Mitarbeiter sei in der Wolfsburger Zentrale willkommen. Es lockten unbefristete Arbeitsverträge und Wechselprämien.
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Werden auch neue Jobs entstehen?
Bis zu 1000 Arbeitsplätze könnten durch den Innovationscampus und infolge von Ausgründungen entstehen, schätzte der TU-Professor Pinkwart vor. „Es werden nicht nur Akademiker sein, auch technisches Personal und Facharbeiter werden hier eine Arbeit finden“, sagte Pinkwart. Für den Steuerzahler, die Kommunen und das Land werde sich das Vorhaben auszahlen.
DNN