Die EU macht Ernst: Ab 2027 soll kein russisches Gas mehr fließen. Ersatz soll aus den USA kommen – über einen neuen Korridor quer durch den Balkan. Ob das klappt, ist alles andere als sicher.

US LNG Unloaded At Revithoussa Terminal Near Athens

Die EU will bis 2027 raus aus russischen Gasimporten. Damit das klappt , braucht es neue Leitungskapazitäten, wie den vertikalen Korridor auf dem Balkan. Der beginnt in Griechenland. Dort könnte LNG aus den USA, wie im Bild vom LNG-Tanker Geneva , am Hafenterminal Revithoussa bei Athens gelöscht und dann bis in die Ukraine treansportiert werden.

Foto: picture alliance / NurPhoto | Nicolas Koutsokostas

Um Südosteuropa und die Ukraine mit Gas zu versorgen, soll der sogenannte vertikale Gaskorridor von Griechenland über Bulgarien bis in die Ukraine zum Highway für LNG aus den USA werden. Damit dieser bis zum geplanten Komplettausstieg der EU aus russischen Gasimporten 2027 den nötigen Transportumfang abdecken kann, sind auf der Trasse aber noch Ausbauarbeiten nötig.

EU beendet Abhängigkeit von russischem Gas

Die Mitgliedsstaaten der EU und das Europaparlament erzielten am 3. Dezember eine vorläufige Einigung zum Komplettausstieg aus russischen Gasimporten. Diese Regelung gehört zum EU-Ausstiegsfahrplan REPowerEU aus allen russischen Energieträgern. Sie sieht ein rechtsverbindliches und stufenweises Komplettverbot von Flüssigerdgas (Liquified Petroleum Gas: LNG) und Pipelinegasimporten aus Russland ab Ende 2026 bzw. Herbst 2027 vor.

„Das ist ein großer Erfolg für uns und für ganz Europa. Wir müssen die Abhängigkeit der EU von russischem Gas beenden, und ein dauerhaftes Verbot in der EU ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung“, erklärte der dänische Umwelt- und Energieminister Lars Aagaard. Die schnelle Einigung mit dem Europäischen Parlament zeige den Einsatz für eine sichere Energieversorgung.

USA will russisches Gas ersetzen

Auf dem Ministertreffen der transatlantischen Energiekooperation in Athen hatte der US-amerikanische Energieminister Chris Wright am 6. November erklärt, dass die USA „bereit sind, russisches Gas vollständig zu ersetzen.“ Dieses aus Europa zu verbannen, sei unerlässlich. Jeder Kubikmeter, der Europa nicht erreiche, bleibe im Boden, da die Pipeline nach China bereits voll sei. „Wir wollen ein Europa mit reichlich vorhandenen und günstigen Energiequellen. Lasst uns gemeinsam darauf hinarbeiten“, erklärte Wright.

Genau das taten jetzt die Ratsvertreter und Parlamentarier der EU mit ihrem Beschluss zum Ende der russischen Gasimporte:

  • Für kurzfristige Lieferverträge, die vor dem 17. Juni 2025 abgeschlossen wurden, soll demnach das Importverbot für russisches LNG ab 25. April 2026 gültig sein. Pipelinegas kann noch bis zum 17. Juni 2026 importiert werden.
  • Für langfristige LNG-Verträge tritt das Importverbot laut dem 19. Sanktionspaket indes ab Anfang 2027 in Kraft.
  • Sowohl in Polen als auch in Griechenland kam es bereits zu Vertragsabschlüssen, um mehr LNG aus den USA nach Europa zu bringen.
  • Auch die ukrainischen Gasversorger Naftogaz und DTEK schlossen im November Lieferverträge für US-amerikanisches LNG ab, um für den Winter vorzusorgen.
  • Selbst Ungarn erklärte sich im Rahmen der Gespräche zwischen Premier Viktor Orban und US-Präsident Donald Trump am 7. November bereit, LNG im Wert von 600 Mio. US-Dollar aus den USA zu beziehen.

Griechenland als Hub für US-LNG nach Osteuropa

„Russisches Erdgas darf nicht auf Umwegen über die Türkei nach Europa gelangen. Wir müssen mit dem Vertikalen Korridor bereit sein, der in Griechenland beginnt und in der Ukraine endet“, mahnte der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis am 7. November. Laut seinen Angaben „entwickelt sich Griechenland zu einem Umschlagplatz für Gaslieferungen, die russisches Erdgas ersetzen werden.“

Für US-Energieminister Wright ist „Griechenland der ideale Importpunkt für amerikanisches LNG“. Damit der vertikale Gaskorridor jedoch nennenswerte Mengen russischer Gaslieferungen in den südosteuropäischen Raum ersetzen kann, sind Ausbauarbeiten an Engstellen nötig. Dies betrifft in Griechenland zum Beispiel die Durchleitungskapazitäten an der Grenze zu Bulgarien, die aktuell rund 5 Mrd. m3 Erdgas im Jahr umfassen. Davon entfallen 3 Mrd. m3 auf die Verbindungsgasleitung IGB, über die Bulgarien 1 Mrd. m3 Gas im Jahr aus Aserbaidschan bezieht.

Der Pipeline-Betreiber ICGB ließ daher im November wissen, dass er beim Ausbau der IGB auf 5 Mrd. m3 Gas auf die Hilfe US-amerikanischer Geldgeber setzt. So würde die Durchleitungskapazität von LNG-Terminals in Griechenland zur Transbalkan-Pipeline nach Bulgarien auf 8 Mrd. m3 Gas steigen. Eine Engstelle an der Trasse ist zudem die Kapazität, um Gas von Moldau in die Ukraine zu transportieren. Die Transportnetzbetreiber der Ukraine und Moldau arbeiten daran, sie zu erhöhen.

Die Türkei könnte das Zünglein an der Waage werden

Auf der Transbalkan-Route importierte die Türkei bis zur Inbetriebnahme von Turkstream über die Ukraine Gas aus Russland. Die Kapazität der Transbalkan-Pipeline bemisst sich in südlicher Auslegung auf 25 Mrd. m3 Gas im Jahr. Am Gasübergabepunkt Strandzha-Malkoclar 1 lassen sich Entsog zufolge jährlich rund 18 Mrd. m3 Gas von Bulgarien in die Türkei durchleiten. In umgekehrter Richtung sind es über 4 Mrd. m3 Gas. Zusammen mit den griechischen Kapazitäten ließen sich im Jahr mehr als 12 Mrd. m3 Gas über Bulgarien nach Norden in den südosteuropäischen Raum durchpumpen.

Enden 2027 die russischen Gastransporte von Turkstream in die EU-Staaten, werden Kapazitäten frei, um über Strandzha-Malkoclar 2 mehr Gas von türkischen LNG-Terminals nach Südosteuropa durchzuleiten. Herkunftsnachweis und technische Fragen sind allerdings zu klären, solange die Türkei Gas aus Russland einführt. Zwei auslaufende Gaslieferverträge mit einem Jahresumfang von insgesamt 22 Mrd. m3 Gas verlängerte der türkische Gasimporteur Botas mit dem russischen Gaskonzern Gazprom nur um ein Jahr, berichteten Medien am 4. Dezember.

Die Türkei erwäge, in die US-amerikanische Gasproduktion zu investieren und Gasquellen zu diversifizieren, erklärte der türkische Energieminister Alparslan Bayraktar. Mit günstigen Kampfpreisen dürfte Putin die Türkei und Ungarn als Abnehmer halten wollen, um Verluste in Europa einzudämmen und LNG aus den USA abzuwehren.

Ungarn und die Slowakei: Klage gegen EU-Beschluss

Das meiste Gas aus Russland kommt in Ungarn bisher nach wie vor über die Schwarzmeergasleitung Turkstream und die Türkei an. Diese Lieferungen aus Langfristverträgen sollen dem jüngsten Ausstiegsbeschluss der EU zufolge je nach Speicherfüllstand spätestens am 1. November 2027 enden. Dagegen wollen ungarische und slowakische Behörden klagen, gab der ungarische Außenminister Péter Szijjártó bei einem Treffen der Nato-Außenminister in Brüssel bekannt. Er erklärte, der vereinbarte EU-Plan stelle eine Bedrohung für die Energiesicherheit und die Wirtschaftstätigkeit beider Länder dar.

Nach Zahlen des Brüsseler Think Tank Bruegel sind die russischen LNG-Importe der EU in diesem Jahr von Januar bis November um 8 % auf 17,5 Mrd. m3 gesunken. Gleichzeitig legten die europäischen Gasbezüge über Turkstream in diesem Zeitraum nach Daten der europäischen Gastransportnetzbetreiber Entsog um knapp 8 % zu. Damit betrugen sie über 16 Mrd. m3 Erdgas. Ungarn importierte davon knapp die Hälfte. Jüngst besuchte Orban Präsident Wladimir Putin in Moskau, um sich die Abnahme von Öl und Gas zu sichern.