Szene aus dem Film "Sentimental Value": Ein älterer Mann und eine jüngere Frau mit gestikulierenden Armen stehen nebeneinander

AUDIO: Film „Sentimental Value“ – Ingmar-Bergman-Tiefgang mit Ironie (4 Min)

Stand: 05.12.2025 00:42 Uhr

In Cannes wurde der neue Film von Regisseur Joachim Trier („Der schlimmste Mensch der Welt“) mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. Nun startet „Sentimental Value“, das auf den Spuren Ingmar Bergmans wandelt, im Kino.

von Bettina Dunkel, BR

Ob es ein Haus ist oder eine Wohnung: Der Ort, an dem man aufgewachsen ist, ist eine Art persönlicher Datenspeicher – vollgestopft mit Kindheitserinnerungen. Im Falle von Nora, der Hauptfigur des norwegischen Dramas „Sentimental Value“, ist diese familiäre Festplatte eine im sogenannten Drachenstil erbaute Stadtvilla in Oslo.

Video:
Trailer zum Film: „Sentimental Value“ (2 Min)

Seit Generationen befindet sich die altmodische Trutzburg mit der rot-braunen Holzfassade und den imposanten Ziergiebeln in Familienbesitz. Jeder Raum erzählt tausend Geschichten; einzelne Gegenstände lassen die gerade erst verstorbene Mutter lebendig werden. Als zur Trauerfeier plötzlich Noras Vater im Flur steht, werden auch schmerzhafte Erinnerungen wach:

„Ihr zwei seid das Beste, was mir je passiert ist.“
„Das Beste, sagst du? Wieso warst du nie da?“

Filmszene

Schwestern im Schatten der Scheidung

„Sentimental Value“ erzählt die Geschichte der Familie Berg. Der von Stellan Skarsgård mit süffisantem Altherren-Charme gespielte Patriarch ist ein berühmter Filmregisseur. Der Lebemann hat die Familie verlassen, als seine zwei Töchter noch klein waren. Nora, die ältere der beiden, ist Schauspielerin geworden.

Szene aus dem Film "Sentimental Value": Zwei Frauen liegen eng umarmt auf einem Bett

Zwei unterschiedliche Schwestern: Nora (links) und Agnes.

Nicht, um dem Vater nachzueifern, sondern um in immer neuen Rollen der eigenen Existenz zu entfliehen. Denn die Scheidung der Eltern hat sie traumatisiert. Entsprechend brüsk lehnt sie ab, als der Vater ihr die Hauptrolle in seinem neuen Film anbietet – obwohl die Rolle extra für sie geschrieben wurde.

„Ich kann nicht mit ihm arbeiten. Es fällt uns schwer zu reden. Er ist ein – ein sehr schwieriger Mensch.“

Filmszene

Dass sie selbst nicht der einfachste Mensch der Welt ist, wird im Zusammenspiel mit ihrer Schwester deutlich. Während Agnes ein beschauliches Familienleben führt, ist Nora beziehungsunfähig. Sie lebt allein in einem Hochhausapartment, dessen triste Einrichtung ihr Innenleben widerspiegelt.

Joachim Triers Blick auf vererbte Traumata

Dass der autobiografisch gefärbte Film ihres Vaters im alten Familienanwesen gedreht werden soll, macht Nora noch wütender, als sie ohnehin schon ist – auch wenn sie es so nie sagt. Denn genau darum geht es in „Sentimental Value“: um die Unfähigkeit zur Kommunikation innerhalb der Familie. Und um generationsübergreifende Traumata, mit deren Wirkung auch Drehbuchautor und Regisseur Joachim Trier vertraut ist. Sein Großvater sei ein Widerstandskämpfer im Zweiten Weltkrieg gewesen, sagt Trier. Über gewisse Sachen habe er nie sprechen können. Wohl auch deswegen interessiere er sich so für Dinge, die ungesagt bleiben und trotzdem irgendwie da sind.

Auch Noras Vater verbindet mit dem Haus Kindheitserinnerungen, die ihn unbewusst geprägt haben – wie tief sie reichen, wie sehr sie das Familiengefüge unterwandert haben und wie es trotz aller Verletzungen Hoffnung auf einen Neuanfang geben kann, arbeitet der Film meisterhaft heraus.

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„Sentimental Value“: Vielschichtiges Familiendrama

Mit „Sentimental Value“ zementiert Joachim Trier seinen Ruf als Filmemacher, dessen psychologische Werke das Publikum in der eigenen Lebenswelt abholen – mit einer Mischung aus Ingmar-Bergman-ähnlicher Tiefgründigkeit und slapstickhafter Leichtigkeit. In Teilen erinnert das an Triers Oscar-nominierte Tragikomödie „Der schlimmste Mensch der Welt“ – auch, weil Renate Reinsve erneut eine herrlich verkorkste Hauptfigur spielt. Hier allerdings sind Figurenkonstellation und Handlungsaufbau sehr viel komplexer. Das macht „Sentimental Value“ zu einem Film, der in der kommenden Award-Saison unter Garantie eine tragende Rolle spielen wird.

Acht Nominierungen beim Europäischen Filmpreis

Unter anderem ist er achtmal für den Europäischen Filmpreis nominiert: für das beste Drehbuch, den besten Film und das beste Produktionsdesign. Außerdem sind Stellan Skarsgård als bester Hauptdarsteller und Renate Reinvse als beste Hauptdarstellerin nominiert. Die Preise werden am 17. Januar verliehen. Außerdem ist er Norwegens Oscarvorschlag in der Kategorie „bester internationaler Film“.

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Sentimental Value

Genre:
Drama
Produktionsjahr:
2025
Produktionsland:
Norwegen, Dänemark, Schweden, Deutschland, Frankreich
Zusatzinfo:
mit Renate Reinsve, Stellan Skarsgård, Inga Ibsdotter Lilleaas und anderen
Regie:
Joachim Trier
Länge:
135 Minuten
Altersempfehlung:
ab 12 Jahren
Kinostart:
4. Dezember 2025