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In Hochgeschwindigkeit entwickelt die Ukraine neue Drohnen – schon, um gegen Russlands Angriffe zu bestehen. Ein Unternehmer gibt Einblick in den Prozess.
Vilnius – Der „neue“ Krieg läuft bereits, jeden Tag: An den Frontlinien im Ukraine-Krieg geht es kaum noch um Panzerschlachten – die wahre Gefahr kommt oft nicht auf Ketten, sondern sirrt in der Luft. Es sind Drohnen. Längst hat sich entlang der Front eine kilometerbreite „Todeszone“ ausgebildet. Teils fliegen Drohnen am Glasfaserkabel, um gegen elektronische Störfeuer immun zu sein. Teils tragen sie Wärmebildkameras, um im Dunklen menschliche Wärme oder Motoren aufzuspüren – und zuzuschlagen. Und die Lage ändert sich teils wöchentlich, wie eine ukrainische Verbandsvertreterin unserer Redaktion sagt. Der nächste Schritt dürften von einer einzelnen Person gesteuerte Geschwader sein.
Stanislaw Gryschyn und Lilia Slobodian bei der German-Baltic Defence Industry Conference in Vilnius © Florian Naumann
Die Ukraine ist gezwungenermaßen zur wohl innovativsten Rüstungs- und Drohnenschmiede Europas geworden, „auf Augenhöhe mit dem Feind“, wie Lilia Slobodian sagt. Slobodian, beim Verband „TechForce in UA“ zuständig für internationale Kooperation, meint damit den Angreifer Russland. Die Frankfurter Rundschau von Ippen.Media hat sie und den früheren Soldaten und jetzigen Drohnenunternehmer Stanislaw Gryschyn am Rande der „German-Baltic Defence Industry Conference“ in Litauens Hauptstadt Vilnius getroffen. Beide deuten an: Die Arbeit an Drohnen ist aufreibend – und nicht ohne Gefahr.
Drohnenbau in der Ukraine: Zu Besuch beim Militär fallen auch harte Worte
Die Unternehmertätigkeit des drahtigen jungen Manns – ausgebildeter Jurist – hat ihre Wurzeln indirekt bei der ukrainischen Armee. Gryschyn hat selbst gedient. Und als Teil seiner Arbeit verschiedene Militäreinheiten mit Drohnen und dem Drohnenkampf vertraut gemacht. Später hat er das Unternehmen General Cherry mitgegründet. Die alten Verbindungen und Erfahrungen seien unersetzlich für den Drohnenbau, sagt er: „Der Großteil unseres Teams besteht aus Menschen mit Militärerfahrung.“ Dennoch sei der Start alles andere als einfach gewesen – tatsächlich sogar „äußerst kompliziert“. Und das, obwohl etwa Slobodian in der EU wesentlich schärfere Regulierungen als in der Ukraine sieht.
„Wir dachten, wir bringen etwas Geld aus dem Freundes- und Kollegenkreis, aus eigener Tasche, und bauen Drohnen“, erinnert sich Gryschyn. Doch vom Start an benötige man einen „Helikopterblick“. Jedes Detail des Drohnenbaus berge organisatorische Engstellen und „enorme Risiken“ – etwa in Sachen Sicherheit. Schnell habe man externe Experten hinzugeholt. Und aus einer Freiwilligenorganisation ein Unternehmen gemacht. Ein anderer wichtiger Faktor sei die ständige Zusammenarbeit mit dem Militär. Dabei könnten auch mal harte Worte fallen.
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„Man kommt zum Beispiel zu einer Brigade und es heißt: ‚Deine Drohne ist Mist, ein echtes Stück Mist‘ – dann akzeptiert man das und hört zu“, schildert der Unternehmer. Ein „offenes Herz für Feedback“ sei der Ausgangspunkt: „So wird man besser, man wächst mit den Anforderungen.“ Gryschyn meint: Die Drohne sei das wichtigste Kriegswerkzeug der Zukunft – gerade, wenn man Menschenleben in eigenen Reihen wertschätze. „Die sind der größte Wert von allen.“
Das verlange aber Einsatz über die geregelten Arbeitszeit hinaus: „Wir nennen es ‚War-Life-Balance‘“, sagt Gryschyn, „Work-Life-Balance ist kein Konzept für uns“ – nicht in Kriegszeiten. „Wenn man nur fürs Geld arbeitet, wird es ebenfalls nicht funktionieren. Dich muss die Vorstellung treiben, Teil unseres Verteidigungssystems zu sein. Das hilft uns mental. Das hält auch Mitarbeiter bei der Stange.“ Denn gerade Drohnen seien entscheidend bei der Verteidigung gegen Russlands Angriff. „Die normalen Taktiken und Technologien funktionieren nicht mehr“, betont Gryschyn. „Wenn man ein Produkt findet, muss man es skalieren und mit anderen Zweigen des Systems teilen. In dieser Ära befinden wir uns bereits.“
Ukraine rankt im Krieg Drohnen-Effizienz – aber die Hersteller stehen in Russlands Fadenkreuz
Einen weiteren, aus Sicht westlicher Armeen möglicherweise futuristisch anmutenden Aspekt schilderte Gryschyn in Vilnius ebenfalls. Die Erfolge ihrer unterschiedlichen Drohnen erfasse die Ukraine in Tabellen und Rankings. Diese Informationen befänden sich bislang weitgehend unter Verschluss. Teils veröffentlichten leitende Militärs sie aber auch – und als Produzent bekomme man bisweilen Einblick. „Diese Daten sind für uns sehr wertvoll, sehr entscheidend“, sagt Gryschyn. „Und ich weiß, dass NATO-Armeen und die Europäer sehr interessiert an diesem System sind.“ „Gamification“ nennt er das – ein Wettbewerbsaspekt im Kampf um Leben und Tod.
General Cherry, Tech Force in UA und die German-Baltic Defence Industry Conference
„General Cherry“ um seinen Strategie-Direktor Stanislaw Gryschyn hat sich auf Drohnenproduktion spezialisiert – sowohl Angriffs- als auch Abfangdrohnen gehören zum Programm. Der Name leitet sich von einem Telegram-Kanal ab, der in Melitopol Partisanen organisierte. Wie viele Mitarbeiter das Unternehmen hat, kann Gryschyn aus Sicherheitsgründen nicht offenlegen, wie er erklärt. Er sagt aber: „Wir sind gemessen an ukrainischen Maßstäben relativ groß.“
Tech Force in UA („Technologie-Macht in der Ukraine“) ist ein Verband, der Rüstungsunternehmen in der Ukraine vertritt – darunter aber etwa auch der im Land vertretene deutsche Drohnenhersteller Quantum. Hauptfokus liegt auf Robotik, KI und unbemannten Vehikeln.
Beide waren bei der German-Baltic Defence Industry Conference in Vilnius vertreten. Das Treffen hat die Deutsch-Baltische Außenhandelskammer zum zweiten Mal veranstaltet. Neben gut 90 Unternehmen aus Deutschland war eine vergleichbare Zahl Firmen aus Litauen, Estland, Lettland und der Ukraine dabei. Die Frankfurter Rundschau war auf Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung vor Ort.
In der EU gefragt sein müssten auch die militärischen Produkte der Ukraine, meint Slobodian. „Wir haben kampferprobte Innovationen, die skalierbar sind, die kosteneffizient sind“, sagt sie unserer Redaktion. Es sei die Kreativität, die die Ukraine im Verteidigungskampf „über Wasser halte“. In der Ukraine präsent zu sein – auch um zu lernen – könne jedem Unternehmen helfen, wirbt sie. Gerade, weil die Entwicklungen wochenaktuell mit dem Bedarf an der Front Schritt halten müssen. Teils lieferten ukrainische Unternehmen deshalb (auch mit dem Geld westeuropäischer Spender oder Staaten) direkt an einzelne Militäreinheiten.
Die Kreativität (nicht nur) der Drohnen-Produzenten steht aber auch unter Beschuss – buchstäblich. „Wir sprechen nicht so laut darüber, aber Russland sieht die Verteidigungsindustrie als eines der wichtigsten Angriffsziele“, sagt Slobodian. Allerdings sei die Widerstandskraft auch in dieser Hinsicht groß. Beim Besuch einer hochrangigen EU-Delegation habe ein Unternehmen zuletzt erklärt, jederzeit binnen 72 Stunden neue Produktionsstätten eröffnen zu können: „Sie haben das Rezept, den ‚Algorithmus‘ dafür gefunden“, sagt die Verbandsvertreterin. „Die Gefahr ist real. Aber sie ist auch eine Motivation, Auswege zu finden.“ (Aus Vilnius berichtet Florian Naumann)