Der lichtdurchflutete Veranstaltungssaal der Volkswagen-Fabrik in Dresden bildet das Herz des Standorts. Ringsherum fahren Autokarossen über eine Produktionslinie, die unteren Etagen des Fahrzeugturms sind zu sehen – ein vollautomatisches Hochregal, ähnlich den berühmten Autotürmen in Wolfsburg, in denen Neuwagen geparkt und für die Auslieferung bereitgestellt werden. Seit einem knappen Vierteljahrhundert produziert VW in Dresden Fahrzeuge und übergibt sie an Kunden.

Konzernpatriarch Ferdinand Piëch und Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hatten die „Gläserne Manufaktur“ einst persönlich eingeweiht. Doch das Luxusmodell Phaeton, für das die Fabrik konzipiert war, setzte sich nie durch, und für die später dort gebauten Massenmodelle war das Werk eigentlich zu klein. Am Donnerstag hat das Management den 230 Beschäftigten nun inmitten des hellen Saals vorgestellt, wie die Produktion enden und künftig Forschung stattfinden soll. VW will Aufbruchsstimmung verbreiten – doch zugleich wird spürbar: Hier endet eine Ära.

Entscheidung „nicht leicht gemacht“

Man habe sich die Entscheidung, künftig keine Autos mehr in Dresden zu bauen, „nicht leicht gemacht“, sagte der Wolfsburger VW-Manager Thomas Schäfer am Vormittag auf einer Betriebsversammlung am Standort. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sei der Beschluss jedoch „zwingend erforderlich“ gewesen, fügte er hinzu, soll heißen: In der aktuell angespannten Finanzlage kann sich der Konzern nicht mehr leisten, Werke weiterzubetreiben, die eigentlich nicht gebraucht werden.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) bezeichnete die Umbrüche in Dresden als „Einschnitt“, betonte aber gleichzeitig, dass nun die Grundlage für etwas Neues gelegt werde. Die Arbeitnehmer wiederum scheinen sich mehr oder weniger zerknirscht in ihr Schicksal zu fügen.

Eigentlich hätte VW den Standort am liebsten ganz geschlossen. Insofern dürfte der jetzt geplante Weg mit Forschungskooperation, Museum und Auslieferung von Autos nicht die schlechteste Lösung sein. Der Unmut ist aber weiter mit Händen zu greifen. Die am Donnerstag verkündete Allianz mit der Technischen Universität sei nur ein „Letter of Intent“, eine Absichtserklärung, die mit Leben gefüllt werden müsse, betonte die IG Metall am Donnerstag. Für die geplante Kooperation seien noch „keinerlei finanzielle Punkte geklärt“, und es gebe weiter eine Ungewissheit, die viele Beschäftigte „wütend“ mache. Die Gewerkschaft, so viel ist klar, will den Druck hochhalten, bis alle aus ihrer Sicht offenen Punkte geklärt sind.

Zentrale Technologiefelder jetzt im Fokus

Wie VW im Anschluss an die nicht öffentliche Betriebsversammlung mitteilte, gibt es nach langem Ringen ein Konzept für die künftige Nutzung der Gebäude und der Anlagen. Gemeinsam mit dem Freistaat Sachsen und der TU Dresden wolle das Unternehmen dort vom kommenden Jahr an einen „Innovationscampus für zentrale Technologiefelder“ aufbauen, darunter Künstliche Intelligenz, Robotik, Mikroelektronik und Chip-Design. Über die nächsten sieben Jahre würden 50 Millionen Euro in Forschung, Technologieentwicklung und in vier neue Stiftungsprofessuren investiert, heißt es. Darüber hinaus bleibe die Manufaktur als Auslieferungsstandort und „Erlebniswelt von Volkswagen“ erhalten.

Die TU Dresden zeigt sich erfreut über die neuen Perspektiven und kündigt an, die Flächen nach dem Vorbild der „Station F“ in Paris neu zu gestalten, einem berühmten Gründerzentrum für junge Unternehmen, das dort in einer ehemaligen Güterumschlagshalle entstanden ist. Autos werden in Dresden künftig nicht mehr gebaut, allenfalls eine kleine Showfertigung bleibt erhalten, in der ein einzelnes Fahrzeug hinter der Glasscheibe entsteht, um Besuchern die Arbeit in der Autobranche nahezubringen. 550 Beschäftigte hatten in der Spitze an dem Standort gearbeitet, jetzt sind es weniger als die Hälfte. Für etwa 60 Mitarbeiter würden noch Aufgaben gesucht, hieß es am Donnerstag vom Unternehmen.

Das Ende der Produktion in Dresden ist Teil eines Sparpakets, auf das sich die IG Metall und das VW-Management um Konzernchef Oliver Blume im vergangenen Jahr nach hartem Machtkampf geeinigt hatten. 35.000 Stellen fallen an Standorten in Niedersachsen, Hessen und Sachsen bis 2030 weg, die Kapazität der Werke wird reduziert. Im Konzern gab es sogar Bestrebungen, ein komplettes Großwerk dichtzumachen, etwa Emden oder Zwickau. Doch am Ende kam der Kompromiss heraus, laut dem alle Standorte die Kosten senken müssen, aber keiner ganz schließt. Der Konzern betont, eine gute Lösung gefunden zu haben. Doch in der Branche geht die Sorge um, dass das Paket zu klein war und spätestens in ein paar Jahren wieder eine Schließungsdebatte um Zwickau oder Emden entbrennt.

Betriebsratschefin Daniela Cavallo betonte am Donnerstag in Dresden, dass niemand gezwungen werde, das Unternehmen zu verlassen. Jeglicher Stellenabbau müsse sozialverträglich über Altersteilzeit oder Aufhebungsverträge laufen. Auch in Sachsen gelte die Beschäftigungssicherung bis 2030. Beschäftigte in Dresden könnten zudem nach Zwickau, Chemnitz oder an andere Standorte wechseln. Wer freiwillig nach Wolfsburg gehe, könne sogar eine Wechselprämie von 30.000 Euro erhalten.

Cavallo steht ihrerseits unter Druck, nächstes Jahr stehen die Betriebsratswahlen an. Und die Stimmung in der Belegschaft ist alles andere als gut, wie auch eine in dieser Woche bekanntgewordene Umfrage in der Belegschaft zeigt. In Dresden geht nun alles schnell. Übernächste Woche soll das letzte Auto vom Band laufen, ein ID.3, der seit einigen Jahren in kleiner Stückzahl hier hergestellt wird. Nächstes Jahr beginnt die Kooperation mit der Uni.