Hannover. Poller sind nur Placebos: Diese These vertreten Christian Buschhoff und Christian Weicht. Sie treten vielmehr für eine Kultur ohne Angst ein. Als Experten für den Schutz von Veranstaltungen im öffentlichen Raum beraten sie Städte, unter anderem in Workshops kommunaler Spitzenverbände. Die wachsende Zahl an Zufahrtssperren sehen sie kritisch, stattdessen fordern sie eine fundierte Risikobewertung und langfristige Lösungen als Bestandteil der Stadtentwicklung. Versenkbare Poller, wie sie auch in Stadthagen einmal diskutiert wurden, halten sie allerdings durchaus für sinnvoll.
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Wer in diesem Jahr einen Weihnachtsmarkt besucht, passiert ganz unterschiedliche Sperren. Mal aus Beton, mal aus Stahl. Einige sind im Boden verankert, andere dienen als Blockade. Haben Sie noch einen Überblick?
Christian Weicht: Auf dem Markt gibt es aktuell etwa 250 verschiedene Produkte, die in Deutschland getestet wurden und hier vertrieben werden. Und ja: Wir kennen sie alle.

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Welche davon empfehlen Sie den Kommunen?
Christian Buschhoff: Wir sprechen bei unseren Workshops keine Empfehlung für einzelne Produkte aus. Vielmehr stellen wir den Vertretern der Polizei, vom Veranstalter, Rettungsdienst, Handel, Rathaus und Politik die wichtigste aller Fragen: Wogegen wollt ihr euch eigentlich schützen? Und wenn wir dann in die Tiefe gehen, stellen wir gemeinsam schnell fest, dass der urbane öffentliche Raum für das Zusammentreffen von vielen Menschen oft schon sehr sicher ist. Auch vor Amokfahrten mit einem Auto oder einem Lastwagen.
Und doch wächst nach Anschlägen wie in Magdeburg im vergangenen Jahr die Sorge vor Nachahmern bei allen Beteiligten. Können Sie das nachvollziehen?
Weicht: Diese Sorge kann ich emotional gut nachvollziehen. Gerade nach so einschneidenden Ereignissen wie in Magdeburg. Gleichwohl hilft ein nüchterner Blick auf die Gesamtsituation: In Deutschland finden jedes Jahr sehr viele Wochenmärkte, Weihnachtsmärkte, Volksfeste, Schützenfeste und andere Zusammenkünfte statt, und schwere Überfahrtaten sind im Verhältnis dazu zum Glück äußerst selten. Aus fachlicher Sicht spricht vieles dafür, dass die Gefahr auf dem Markt selbst durch die bestehenden Sicherheitsmaßnahmen oft geringer ist als auf dem ungeschützten Heimweg. Verkehrsunfälle oder andere Unglücksfälle im Umfeld von diesen Orten fordern regelmäßig Opfer, ohne dass dies eine vergleichbare öffentliche Aufmerksamkeit erhält wie eine gezielte Überfahrt. Das soll die Betroffenheit nach solchen Taten nicht relativieren, sondern eher dafür werben, Gefahren angemessen einzuordnen und Sicherheitskonzepte ganzheitlich zu denken. Auf dem Platz und darüber hinaus.
Buschhoff: Wir schaffen Orte, an denen Menschen ausgelassen feiern wollen und sollen. Diese Räume lassen sich nicht zu 100 Prozent überwachen, das möchte am Ende auch niemand. Und deshalb muss die Politik auch klar kommunizieren, dass es keinen 100-prozentigen Schutz vor solchen Taten gibt. Stattdessen setzen die Verantwortlichen mit den Pollern auf einen Placebo-Effekt.

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Gleichwohl wäre es aus Sicht der Gäste und der Veranstalter doch gleichermaßen fatal, wenn die Kommunen untätig blieben. Was schlagen Sie stattdessen vor?
Buschhoff: Wenn eine Stadtgesellschaft solche Veranstaltungen wie Weihnachtsmärkte möglichst umfassend vor Überfahrttaten schützen möchte, dann müsste sie in einem Umkreis von zwei, drei Kilometern eine autofreie Zone einrichten. Das lässt sich aber in den seltensten Fällen realisieren, weil es politisch viel zu aufgeladen ist. Wir empfehlen deshalb eine fundierte Risikoanalyse und ein Sicherheitskonzept, das den Namen auch verdient.
Weicht: Es gibt gute Beispiele in der Historie, an denen wir uns orientieren können. Die Amokläufe an Schulen, auch die Androhungen, sind deutlich zurückgegangen, weil die Akteure aus den Schulen, Polizei und Bauverwaltungen leise, aber sehr zielgerichtet zusammengearbeitet haben. Es geht um sinnvolle Prävention und um langfristige Lösungen.
Buschhoff: Und dazu gehört auch klar zu benennen, dass einige Unternehmen die Sicherung der Gesellschaft als Geschäftsmodell entdeckt haben. Als eine Empfehlung für Kommunen haben wir zum Beispiel im Jahr 2018 mit dem Deutschen Forum Kriminalprävention zwei Standards für das Thema Zufahrtsschutz entwickelt. Einer betrifft die mobilen Barrieren für Fahrzeuge, die andere die Fachkräfte, die die Standards auch umsetzen können.
Nun setzen Kommunen wie Hannover nicht nur auf Poller, die Weihnachtsmarktbesucher schützen, sondern auf versenkbare Hindernisse, die dauerhaft installiert werden. Wie beurteilen Sie diese Planungen?
Weicht: Aus unserer Sicht ist das eine absolut sinnvolle Lösung, wenn eine Kommune sich für Stadtmobiliar entscheidet, das für die nächsten 25 Jahre im Einsatz ist. Das gilt nicht nur für Poller, sondern auch für Sitzbänke oder Blumenbeete. Wichtig ist, dass die Zufahrt fürs Be- und Entladen und für den Rettungsdienst möglich ist.
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Buschhoff: Letztlich gehören Elemente für den Zufahrtsschutz mit in die städtebauliche Perspektive, auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit.
Besuchen Sie dieses Jahr einen Weihnachtsmarkt?
Weicht: Ich besuche ihn sogar mit meinen Enkelkindern. Aus meiner Erfahrung geht eine viel höhere Gefahr auf solchen Märkten übrigens von Taschendieben aus.
Zur Person: Christian Buschhoff
Christian Buschhoff hat eine Prüfung als Meister für Veranstaltungstechnik abgelegt, der 51-Jährige arbeitet als technischer Projektleiter. Der Verleger und Fachautor hat zudem die Arbeitsgruppe Veranstaltungssicherheit gegründet, zu seinen Fachgebieten gehört seit gut zehn Jahren auch der Zufahrtsschutz bei Veranstaltungen im öffentlichen urbanen Raum.
Zur Person: Christian Weicht
Christian Weicht ist pensionierter Kriminalhauptkommissar, er hat mehr als 20 Jahre als Fachberater für städtebauliche Kriminalprävention gearbeitet. Der 70-Jährige arbeitet außerdem in europäischen Gremien und Ausschüssen, in denen Regeln, Empfehlungen und Standards für Sicherheit entwickelt werden. Zusätzlich setzt er sein Wissen auch ganz praktisch bei Konzepten vor Ort um, direkt bei der Umsetzung von Maßnahmen, die Städte sicherer machen sollen.
SN