Leipzig. Er habe Fragen gehabt damals im Ariowitsch-Haus, das schon, sagt Bundeswehrsoldat Stefan S. am Freitag vor dem Landgericht Leipzig. Woher denn die Zahl von sechs Millionen im Holocaust getöteter Juden stamme, habe er wissen wollen, er habe im Internet von 5,5 Millionen gelesen. Und bei einem Einsatz im Libanon habe man ihm nun einmal erzählt, Adolf Hitler habe auch Gutes bewirkt in Deutschland.

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Dass das nicht alles gewesen sei, davon erzählt vor Gericht Clara Bergfeld (Name geändert). Sie hat im Oktober 2022 ein Seminar im jüdischen Kulturzentrum Ariowitsch-Haus geleitet, bei dem Stefan S. dabei war, bei dem passiert sein soll, was ihn wegen des Verdachts der Volksverhetzung vor Gericht gebracht hat. Die Juden, habe Stefan S. damals gesagt, seien „selbst schuld“, es habe damals gar nicht sechs Millionen von ihnen gegeben, und heute brauche Israel die Holocaust-Story zur Selbstlegitimierung.

Kameraden drucksen vor Gericht herum

Nachfragen, das müsse gerade im Ariowitsch-Haus erlaubt sein, wird der Staatsanwalt am Ende des Prozesses in seinem Plädoyer sagen. Aber, wenn es so gewesen sei, wie Bergfeld es schildere, „dann ist das einfach eine Relativierung des Holocausts“.

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Was ist geschehen, damals im Ariowitsch-Haus?

Zunächst etwas, das rund 20 Mal im Jahr passiert: Bundeswehrsoldaten kamen während einer Weiterbildung an der Unteroffiziersschule Delitzsch für einen Tag nach Leipzig, Thema: Antisemitismus und Extremismus. In einem Workshop saß Stefan S., heute 52 Jahre alt, mit fünf anderen Soldaten zusammen, die meisten Stabsfeldwebel wie er. Dann, soweit unstreitig: das Wortgefecht zwischen ihm und der Seminarleiterin.

Das Wort Hitler kam nicht einmal, definitiv nicht. Das hätte ich melden müssen.

Bundeswehrsoldat als Zeuge vor Gericht

Und die fünf anderen Soldaten? Die drucksen herum vor Gericht: Stefan S. habe mit Bergfeld über die im Holocaust getöteten Juden gestritten. Aber was genau er sagte? Abgeschaltet habe man, nicht hingehört. Eingreifen hätte man müssen, „gerade als Soldat“, wenn von Hitler die Rede gewesen sei, wie es sogar Stefan S. selbst sagt. Aber nein, da sei man sich ganz sicher: kein Hitler.

875 rechtsextreme Verdachtsfälle in der Bundeswehr

Nur einer der Soldaten ist in seiner Vernehmung bei der Polizei etwas deutlicher geworden. Seine Nackenhaare hätten sich aufgestellt, als Stefan S. gesprochen habe. „In dem Moment hab ich gedacht: Was für ein Idiot!“

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Oft bewacht, hier nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel: das Ariowitsch-Haus in Leipzig (Archiv).

Bei den meisten Extremismus-Fällen, die der Militärische Abschirmdienst in der Bundeswehr bearbeitetet, geht es um Rechtsextremismus. 875 waren es 2024, Tendenz leicht steigend. Ist Stefan S. so ein Fall?

Sein Facebook-Profil jedenfalls lässt keinen Zweifel daran, wo er politisch steht – oder wenigstens: Wo er stand, inzwischen bespielt er das Profil nicht mehr. Davor aber eindeutig. Um 2017 herum, als noch voll im Dienst stehender Soldat, teilte er manchmal eine zweistellige Zahl von Beiträgen am Tag, vor allem von: Björn Höcke, Alice Weidel, anderen AfD-Politikern. Dazwischen auch mal einen Beitrag dazu, wie viele Menschen bei den Angriffen auf Dresden im Zweiten Weltkrieg wirklich gestorben seien (20 Mal so viele, wie Wissenschaftler sagen).

Die Erde eine Scheibe, die Mondlandung eine Lüge?

Die Bundeswehr untersucht den Fall Stefan S. noch, vertröstet mit einer Stellungnahme dazu. Aktuell darf Stefan S. keine Uniform tragen, seine Kaserne nicht betreten und bekommt nur noch die Hälfte seiner Bezüge.

Was Stefan S. für einer ist, dazu sollen am Landgericht zwei Kameraden aus seiner Erfurter Kaserne aussagen. Manchmal habe er laut über die wahre Ursache von Kondensstreifen nachgedacht oder gesagt, dass die Erde eine Scheibe sei, die Mondlandung eine Lüge. „Dann ist man vielleicht ein Spinner“, sagte seine Anwältin vor Gericht, „aber das ist nicht strafbar.“ Sie forderte Freispruch.

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Dem war das Amtsgericht Leipzig bei einem ersten Prozess im April gefolgt, die Staatsanwaltschaft ging in Berufung. Das Landgericht verurteilte Stefan S. am Freitag nun wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen zu je 60 Euro. Denn das, was Seminarleiterin Bergfeld berichte, sei glaubhaft. Und was Stefan S. zum Holocaust gesagt habe, enthalte eine Täter-Opfer-Umkehr, gehe sogar „in Richtung Billigung“. Stefan S. kann gegen das Urteil noch Revision einlegen.

LVZ