Nach dem Ende der Vernehmlassung zieht der Bundesrat eine positive Bilanz, aber es bleiben Probleme. Die Diskussion um den Arbeitsmarkt und die Rolle der Gewerkschaften spitzt sich zu.
Guter Dinge: Der Aussenminister Ignazio Cassis sieht sich im EU-Dossier bestätigt.
Peter Klaunzer / Keystone
Kampfeslustig treibt Aussenminister Ignazio Cassis sein wichtigstes Projekt voran: die neuen Abkommen mit der EU, die im bilateralen Verhältnis wieder für geregelte Beziehungen sorgen sollen. Nach der Bundesratssitzung vom Freitag hat Cassis gemeinsam mit den beteiligten Staatssekretären und Amtschefs das weitere Vorgehen erklärt.
Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen
NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.
Bitte passen Sie die Einstellungen an.
Die wichtigsten Punkte:
Lohnschutz: Gelingt ein Deal mit den Gewerkschaften?
In den vergangenen Wochen stand das Thema Lohnschutz im Schatten der Debatten über die Zuwanderung und die grundsätzlichen Fragen rund um die Rechtsübernahme. Das dürfte sich bald ändern. Denn der vermeintliche Schulterschluss mit den Gewerkschaften, die lange mit Widerstand gedroht hatten, ist in der Schwebe. Sie hatten sich unter Vermittlung des Bundes mit den Arbeitgebern auf einen Kompromiss geeinigt, der 13 Massnahmen umfasst.
Whatsapp-Kanal «EU-Dossier»
Was unterschreibt die Schweiz? Aktuelle News, Einordnungen und Hintergründe zum Vertragspaket mit der EU.
Die Gewerkschaften verlangen aber zusätzlich eine 14. Massnahme, die die Wirtschaft ablehnt: einen Ausbau des Kündigungsschutzes von Arbeitnehmervertretern. In der Vernehmlassung sprach sich eine Mehrheit gegen diesen Vorschlag aus. Trotzdem hält der Bundesrat daran fest, weil er «unentbehrlich» sei. Das dürfte viel mit dem Drohpotenzial der Gewerkschaften zu tun haben: Weil die Verträge von rechts (von der SVP) vehement bekämpft werden, ist es für die Mehrheitsfähigkeit wesentlich, dass die Linke geschlossen dahinter steht.
Nun steht die Staatssekretärin für Wirtschaft, Helene Budliger Artieda, im Fokus. Sie, die soeben beim Zoll-Deal mit Donald Trump eine Schlüsselrolle spielte, muss nun zeigen, dass sie auch mit den inländischen Sozialpartnern eine Einigung erzielen kann. Sie hat Zeit bis Mitte Januar.
Stromabkommen: Sind die Konzessionen sicher?
Der Druck auf das Stromabkommen kommt von vielen Seiten. Die SVP und Teile der Gewerkschaften lehnen es ab, aber auch die Mitte-Partei und die Gebirgskantone haben substanzielle Vorbehalte. Sie bezogen sich in der Vernehmlassung vor allem auf die Rechte von Kantonen und Gemeinden, Konzessionen für die Wasserkraft zu erteilen, daraus anfallende Zinse zu erheben und die Eigentumsrechte an Kraftwerken beizubehalten.
Laut dem Bundesrat sind diese Rechte nicht gefährdet, da sie im Stromabkommen nicht explizit erwähnt werden. Die Mitte zweifelte diese Interpretation allerdings an und verlangte eine «vertragsrechtlich überzeugende Klarstellung».
Nun sagte der Schweizer Chefunterhändler Patric Franzen am Freitag, die Schweiz und die EU hätten ein «gemeinsames Verständnis» des Geltungsbereichs des Abkommens. Er habe eine entsprechende Bestätigung erhalten. Das ist bemerkenswert, denn laut dem Bundesamt für Energie (BfE) hat sich die EU in den Verhandlungen geweigert, «explizit festzuhalten», dass die Frage der Wasserzinse und Konzessionsrechte vom Stromabkommen ausgeschlossen sei. Bis anhin liegt keine schriftliche Bestätigung der EU vor. Eine Anfrage der NZZ in Brüssel blieb unbeantwortet. Die Diskussionen dürften also vorerst weitergehen.
Benoît Revaz, Direktor des BfE, sicherte zu, dass der Bundesrat die Rechte der Kantone und Gemeinden auch in Zukunft wahren werde. Sollte die EU den Geltungsbereich künftig ausdehnen wollen, würde der Bundesrat dies ablehnen. «Auch wenn die EU Ausgleichsmassnahmen verhängen könnte.» Das werde der Bundesrat in der Botschaft festhalten.
Weitere Kritikpunkte betreffen die Teilliberalisierung des Strommarktes. Indem der Bundesrat Bedenken der Linken aufnahm, zog er sich scharfe Kritik der Branche zu («absurd bürokratisch»). Nun will er versuchen, Regulierungen für die Grundversorger «wo sinnvoll» abzubauen.
Personenfreizügigkeit: Was bringt die Schutzklausel?
Für viele Stimmbürger dürfte die Zuwanderung beim Entscheid über die neuen Abkommen das wichtigste Thema sein. Der Staatssekretär für Migration, Vincenzo Mascioli, betonte, die Zuwanderung an sich werde nur geringfügig erleichtert. Es seien vor allem die Bleiberechte, die ausgebaut würden. Der Bundesrat will im Gesetz explizit festhalten, dass der neue Daueraufenthalt nur Erwerbstätigen und deren Familien offensteht. Gegner befürchten dennoch Probleme, weil Personen mit Daueraufenthalt später auch im Land bleiben können, wenn sie Sozialhilfe beziehen.
Nachbessern will der Bundesrat auch bei der Schutzklausel, die bei schwerwiegenden Problemen eine temporäre Einschränkung der Personenfreizügigkeit erlauben soll. Neu sollen die Kantone mehr Mitsprache bei der Festlegung der Massnahmen erhalten. Zudem hat der Bundesrat alle Indikatoren definiert, die bei der Aktivierung der Klausel relevant sein sollen: Zuwanderung, Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug, Leerwohnungsziffer, Staustunden und Lohnentwicklung.
Rechtsübernahme: Wird das dem Parlament genügen?
Es war und ist eine grosse Streitfrage: Wie wird die dynamische Rechtsübernahme im Inland organisiert? Die Schweiz kennt sie zwar bereits vom Schengen-Abkommen. Aber nun sollen die Kompetenzen und Abläufe klarer geregelt werden, zumal mehr Themen betroffen sind und neues EU-Recht teilweise direkt gelten wird.
Der Bundesrat hat dem Druck nachgegeben: Er will die Mitsprache des Parlaments gesetzlich verankern. Damit reagiert er auf Bedenken, Bundesräte oder Amtschefs könnten eigenmächtige Entscheide fällen. Cassis versprach maximale Transparenz: Alle Dokumente zu geplanten Rechtsänderungen der EU, die für die Schweiz relevant sein können, sollen veröffentlicht werden. Die EU will die Schweiz neu bei der Erarbeitung neuer Regeln anhören. Auch hier gelobt der Bundesrat, Parlament und Kantone einzubeziehen.
Weitere Änderungen betreffen Fragen von Staatsbeihilfen bis zur Finanzierung der Hochschulen. Wie breit die Palette ist, illustrierte das Votum von Michael Beer vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit: Trotz dem geplanten Abkommen mit der EU sei es weiterhin möglich, an Vereinsfesten private Kuchenbuffets zu betreiben. Auch dazu plant der Bundesrat eine Präzisierung.
Die finale Botschaft will der Bundesrat im März an das Parlament überweisen. Die abschliessende Volksabstimmung kann frühestens im Juni 2027 stattfinden.