Die Prioritäten in der amerikanischen Sicherheitspolitik haben sich unter Donald Trump grundlegend verschoben. Der neue Strategiebericht dokumentiert dies eindrücklich: Washington sieht Europa durch eine widersprüchliche, misstrauische und ethnonationalistische Brille.

Die Prioritäten ändern sich: Im November verlegte das Pentagon den Flugzeugträger «Gerald R. Ford» vom Atlantik in die Karibik.Die Prioritäten ändern sich: Im November verlegte das Pentagon den Flugzeugträger «Gerald R. Ford» vom Atlantik in die Karibik.

Hector Rodriguez / U. S. Navy / Imago

Amerikanische Regierungen sind gegenüber dem Kongress verpflichtet, ihre Sicherheitspolitik in einem Bericht zu definieren. Nun hat auch Präsident Donald Trump am Donnerstag einen 33-seitigen Report zur National Security Strategy veröffentlicht. Und der hat es in sich: Nicht die aggressive Aussenpolitik des Kremls wird darin als Gefahr behandelt, sondern die europäische Migrationspolitik.

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«In wenigen Jahrzehnten werden bestimmte Nato-Staaten mehrheitlich nicht mehr europäisch sein», heisst es in dem Bericht. Es sei deshalb fraglich, ob diese Länder ihre Allianz mit den USA noch gleich verstehen würden wie die einstigen Unterzeichner des Nato-Vertrags. Länder, deren Einwohner nicht mehr überwiegend Weisse sind, wären für Washington gemäss dieser Logik keine europäischen Länder mehr. Der Bericht spricht deshalb von der Gefahr einer «zivilisatorischen Auslöschung». Die Grundlage für die transatlantische Solidarität liegt für die Trump-Regierung offenbar nicht unbedingt in den gemeinsamen, freiheitlichen Werten, sondern in der gemeinsamen Hautfarbe.

Hilfe für «gesunde Nationen»

Gleichzeitig wirft der Bericht nicht dem russischen Diktator Wladimir Putin, sondern den Europäern mangelnden Friedenswillen bezüglich der Ukraine vor. «Die Trump-Regierung ist sich uneins mit europäischen Regierungsvertretern, die unrealistische Erwartungen an den Krieg haben», hält das amerikanische Strategiepapier fest. Der Report behauptet dabei gar, dass die europäischen Regierungen den Friedenswunsch einer Mehrheit in Europa unterdrückten, indem sie Meinungsfreiheit und Demokratie einschränkten.

Insgesamt wirkt die amerikanische Strategie widersprüchlich. Zum einen steht Europa unten in der Prioritätenliste. Der Bericht wendet sich zunächst der lateinamerikanischen Nachbarschaft und Asien zu. Nach vielen Jahren der Vernachlässigung wollten die USA die Monroe-Doktrin wieder hochhalten und «Amerikas Vorherrschaft in der westlichen Hemisphäre durchsetzen», heisst es in dem Bericht. Gleichzeitig hält er aber auch fest: «Europa bleibt strategisch und kulturell wichtig für die Vereinigten Staaten.» Amerika könne den alten Kontinent nicht abschreiben: «Wir brauchen ein starkes Europa, das uns im Wettstreit hilft und mit uns gemeinsam verhindert, dass ein Gegner Europa dominiert.»

Unter einem starken Europa versteht die Trump-Regierung allerdings nicht eine vertiefte Integration der EU etwa in der Form einer Verteidigungsunion. Die USA sollten «Europa befähigen, auf eigenen Füssen zu stehen und als Gruppe souveräner Nationen zu handeln», fordert die amerikanische Sicherheitsstrategie. Um dies zu erreichen, will Washington «in europäischen Nationen den Widerstand gegen Europas gegenwärtigen Entwicklungspfad kultivieren». So soll Europa wieder auf den rechten Weg gebracht werden.

Im Klartext bedeutet dies die Förderung von «patriotischen Parteien» sowie illiberalen und migrationskritischen Regierungen nach Ungarns Vorbild. Die Trump-Regierung will dazu «die gesunden Nationen in Zentral-, Ost- und Südeuropa durch Handel, Waffenlieferungen, politische Zusammenarbeit und kulturellen Austausch aufbauen».

Washington verlangt also von Europa einerseits, dass es selbst für seine Sicherheit sorgt. Anderseits fördert es nationalistische Kräfte auf dem alten Kontinent, die sich bisher oft durch eine Nähe zu Russland auszeichneten und eine verstärkte europäische Zusammenarbeit ablehnten. Gleichzeitig gewährt die Trump-Regierung den bisherigen Verbündeten kaum Zeit, um sich an die neuen Realitäten anzupassen. In den vergangenen Tagen teilten die Amerikaner den europäischen Nato-Partnern mit, dass sie bis 2027 selber für ihre Verteidigungsfähigkeiten verantwortlich sein müssten – von der konventionellen Raketenabwehr bis zur Beschaffung von Aufklärungsdaten.

Frohe Botschaft für Putin

Dies alles dürfte Wladimir Putin nur ermuntern, den Krieg gegen die Ukraine weiterzuführen. Ein möglicher Nato-Beitritt für Kiew scheint bereits jetzt vom Tisch zu sein. Gemäss der neuen Sicherheitsstrategie soll die Nato keine Allianz mehr sein, die sich «ständig erweitert». Im Grunde könnte Trump mit diesen Signalen auch eine Friedenssuche in der Ukraine erschweren. Um Kompromisse bei den Territorialfragen machen zu können, ist Kiew auf glaubwürdige Sicherheitsgarantien der USA angewiesen. Doch auf die amerikanische Schutzmacht scheint sich auch ganz Europa nur noch beschränkt verlassen zu können.

Der Kontrast zu Sicherheitsstrategie der Biden-Regierung könnte kaum grösser sein. Trumps Vorgänger erklärte den verschärften Systemwettbewerb zwischen Demokratien und autoritären Regimen zur historischen Herausforderung. Für Biden gefährdeten China und Russland mit ihrer «revisionistischen Aussenpolitik» den Weltfrieden. Er verstand dabei, dass der Ausgang des Ukraine-Kriegs über Sieg oder Niederlage in diesem globalen Wettstreit entscheiden kann. «Ein Kollaps der internationalen Ordnung in einer Region wird sie am Ende auch in anderen gefährden», steht in Bidens Sicherheitsstrategie von 2022.

Biden sah in der weltweiten Förderung und Verteidigung der Demokratie ein zentrales Ziel und Interesse der USA. In seinen Augen musste Amerika dabei auch als vorbildliche Demokratie ein gutes Beispiel sein. In der Strategie der Trump-Regierung ist davon kaum etwas zu lesen. Washington will Taiwan zwar immer noch vor einer chinesischen Invasion schützen. Doch dabei geht es Amerika nicht in erster Linie um das Überleben der Demokratie auf dem Inselstaat. Der Sicherheitsbericht erwähnt vor allem Taiwans führende Stellung in der Halbleiterproduktion und die wirtschaftliche Bedeutung des Südchinesischen Meers für die Handelsschifffahrt.

Ganz zuoberst auf der Prioritätenliste steht für Trump hingegen auch in der Sicherheitspolitik die Migration. In dem Strategiebericht heisst es: «Die Ära der Massenmigration ist zu Ende. Wen und wie viel ein Land in seine Grenzen lässt, wird unweigerlich die Zukunft dieser Nation bestimmen.»

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