Leipzig. An diesem Freitagmorgen geht es im Leipziger Amtsgericht um Kipppunkte, Plastikspielzeug und das Ende der Welt: Drei Klima-Aktivisten sind angeklagt wegen des aufsehenerregenden Farbanschlags auf den Weihnachtsbaum in der Mädler-Passage. Vor zwei Jahren besprühten Kim S. (28) und Melanie G. (30) den stadtbekannten Kunststoffbaum mit Feuerlöschern, in denen sich orange Farbe befand. Mittäterin Lina S. (24) entrollte im Anschluss ein Transparent: „Besinnlich in die Katastrophe? Nächstenliebe = Klimaschutz“. Vor Gericht gestehen sie die Aktion. Staatsanwaltschaft und Gericht äußern Verständnis.
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Es war am 13. Dezember 2023 gegen 10 Uhr, als das sendungsbewusste Trio in der Passage zur Tat schritt. „Wir wollten den Baum symbolisch färben, um zu zeigen, wie die Klimakrise in den Alltag eingreift“, sagt Jura-Student Kim S., der vor Gericht auch von seiner Lateinamerika-Reise berichtet. „Mir war aber nicht klar, dass dieser Baum aus Plastik ist.“ Eigentlich habe er noch eine Woche als „Mahnmal für Klimaschutz“ stehenbleiben sollen, bevor er nach Weihnachten ohnehin weggeworfen würde.
Hoher Schaden an bekanntem Weihnachtsbaum
Doch da irrte der Einser-Abiturient. Denn die Gewerbetreibenden hatten sich bewusst für eine wiederverwendbare Variante entschieden, die seit 2011 jedes Jahr aufs Neue vorweihnachtliche Stimmung verbreitet. Mithin musste der Baum für rund 10.000 Euro aufwendig gereinigt und instandgesetzt werden. „Unser schöner Baum war erstmal hin“, sagt eine Zeugin.
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Ich verstehe ihre Wut. Sie wollten mit ihrer Tat aufrütteln.
Richterin Uwe Fritsch
Aber was sei schon ein bisschen Farbe an einem Weihnachtsbaum gegen Todesopfer der Klimakrise? Diese Rechnung macht Bürgergeldempfängerin Melanie G. auf. „Die Welt wird unbewohnbar, das ist nicht mehr aufzuhalten“, erklärt sie. „Ich bin es leid, über die Klimakrise und ihre Folgen zu reden.“ Gerade zur Weihnachtszeit müsse man sich klarmachen: „Wenn wir Plastikspielzeug für unsere Kinder kaufen, werden wir ihre Zukunft zerstören.“ Und Soziologie-Studentin Lina S. fragt: „Was soll ich tun, wenn die Welt zu kollabieren droht? Es gibt eine Diskrepanz zwischen exzessivem Konsum und ökologischer Dringlichkeit.“
Professionelle Klima-Kleber mit vielen Vorstrafen
Eine Zeit lang waren die drei Angeklagten als professionelle Klima-Kleber der „Letzten Generation“ unterwegs. Zwischen 2022 und 2024 haben sie jeder zwischen drei und sechs Verurteilungen auf ihrem Konto – vor allem wegen Nötigung und Sachbeschädigung. Zwei von ihnen wurden zudem in Berlin wegen der Farbattacke auf das Brandenburger Tor angeklagt. Allein dort war ein Schaden von über 110.000 Euro entstanden.
Mittlerweile seien sie nicht mehr aktivistisch, erzählen sie vor Gericht. „Das Ding ist durch“, gibt Melanie G. resigniert zu Protokoll. Ihre früheren Taten bereuen sie indes nicht. Zum Jahrestag ihres Farbanschlags hatte Kim S. in der Mädler-Passage sogar eine Demo angemeldet. Allenfalls bedauern sie die persönlichen Konsequenzen für sich selbst: die vielen Strafverfahren, die Geldstrafen. „Ich kann mich gar nicht aufs Studium konzentrieren“, konstatiert Lina S. aufgewühlt.
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Verteidigerin: Motivation strafmildernd berücksichtigen
Normalerweise sehen es Staatsanwälte und Richter nicht so gern, wenn Angeklagte uneinsichtig sind. Den drei Klima-Aktivisten wird fehlende Reue jedoch als konsequente Haltung positiv angerechnet. „Ich unterstütze ihre Sache“, sagt Staatsanwalt Benjamin von Renner, „aber ich vertrete Recht und Gesetz.“ Er fordert Geldstrafen mit jeweils 120 Tagessätzen. Zu viel, findet Verteidigerin Regina Götz. Man müsse die Motivation strafmildernd berücksichtigen. „Es war keine eigennützige Aktion, unter Einsatz eines hohen persönlichen Risikos auf die Klimakrise aufmerksam zu machen“, findet sie.
Richterin Ute Fritsch verurteilt die Angeklagten schließlich wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung zu Geldstrafen. Kim S. und Melanie G. müssen 90 Tagessätze zahlen, er jeweils acht, sie zehn Euro. Bei Lina S. sind es 80 Tagessätze á acht Euro. „Ich verstehe ihre Wut“, sagt die Richterin. „Sie wollten mit ihrer Tat aufrütteln.“
LVZ