06. Dezember 2025
Matthias Lindner

(Bild: imageBROKER.com / Shutterstock.com)
Europas Strategie basiert auf einer riskanten Wette: Trotz jahrelanger Fehlprognosen geht man davon aus, dass Russlands Wirtschaft 2026 kollabieren könnte .
Wer die Verhandlungen über einen Frieden in der Ukraine beobachtet, kann die Kluft zwischen den USA und Europa nicht übersehen. Während man in Washington auf ein schnelles Ende des Krieges (zu weitgehend russischen Konditionen) setzt, stemmen sich die Europäer noch mit aller Kraft dagegen.
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Wie jetzt aus einem Bericht von Bloomberg hervorgeht, könnte die europäische Haltung Kalkül haben. Man geht demnach davon aus, dass sich die Probleme der russischen Wirtschaft im kommenden Jahr verschärfen werden, „wodurch Putin seine Verhandlungsmacht verlieren würde“.
Wirtschaft nahe der Stagnation
Diese Strategie wirkt gewagt, zumal auch in den zurückliegenden Jahren immer wieder die Hoffnung zum Ausdruck gebracht wurde, die zahlreichen Sanktionspakete könnten die russische Wirtschaft zum Stillstand bringen. Bislang ist dieser Fall aber nicht eingetreten, zwischendurch erlebte die russische Wirtschaft sogar einen Aufschwung.
Jetzt will man in Europa aber deutliche Zeichen der Schwäche in der russischen Wirtschaft erkannt haben. So wuchs das russische Bruttoinlandsprodukt im ersten Halbjahr 2025 nur um 1,2 Prozent. Für die kommenden Jahre prognostiziert die finnische Zentralbank Wachstumsraten für die russische Volkswirtschaft von zwischen 0,8 und 1,3 Prozent.
Maßgeblich verantwortlich für dieses schwache Wachstum seien all jene Industrien, die vom Krieg profitieren. Dagegen seien Investitionen rückläufig und viele Unternehmen würden an Kapazitätsgrößen stoßen.
Der Arbeitsmarkt bleibt angespannt, doch die Zahl offener Stellen sank im September um rund ein Viertel im Jahresvergleich. Einkommenszuwächse sind zudem ungleich verteilt: Während einige Gruppen profitieren, stagnieren Löhne und Renten inflationsbereinigt. Die Leitzinsen liegen im Bereich von 16,5 bis 17 Prozent, was die Finanzierungskosten in die Höhe treibt, berichtete Reuters.
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Haushaltsdefizit steigt drastisch
Der neue Haushaltsrahmen für die kommenden Jahre sieht nominal steigende Ausgaben vor, die jedoch real einer Kürzung gleichkommen. Die Mehrwertsteuer wird auf 22 Prozent erhöht, was laut Associated Press Mehreinnahmen von bis zu einer Billion Rubel bringen soll.
Trotzdem wird das Haushaltsdefizit 2025 voraussichtlich auf 3,2 Prozent des BIP steigen – der höchste Stand seit Kriegsbeginn. Offiziell fließen mindestens 40 Prozent aller Mittel in Verteidigung und innere Sicherheit, tatsächlich dürften die kriegsbezogenen Ausgaben noch höher liegen.
Die Schuldendienstkosten steigen laut den Prognosen im 2026 stark und werden 8,8 Prozent der Gesamtausgaben beanspruchen. Der Nationale Wohlfahrtsfonds ist auf etwa 51 Milliarden US-Dollar geschrumpft – die Hälfte des Bestands vor Kriegsbeginn.
Energiesektor unter massivem Druck
Auch der Energiesektor gerät zunehmend unter Druck. Die Förderung von Öl, Gas und Kohle stagniert oder sinkt im Vergleich zum Vorkriegsniveau. Exportprobleme verschärfen sich: Europa als Hauptmarkt ist weitgehend verloren, asiatische Märkte kompensieren dies nicht vollständig, schreibt das polnische Centre for Eastern Studies.
Russisches Rohöl wird demnach mit einem dauerhaften Preisnachlass von zehn bis 14 US-Dollar pro Barrel verkauft. Im September lag der durchschnittliche Exportpreis bei 57,6 US-Dollar – deutlich unter dem Haushaltsbasispreis. Die Gewinne führender Konzerne sind stark gesunken; im ersten Halbjahr erzielten sie zur Hälfte weniger Einnahmen als im Vorjahr.
Zusätzlich belasten ukrainische Angriffe auf Raffinerien die Branche. Sie zwingen Moskau, mehr Rohöl statt verarbeiteter Produkte zu exportieren, was die Einnahmen des Kremls schmälert. Auch die jüngsten Angriffe auf Tanker, die vermeintlich zur russischen Schattenflotte gehören, dürften die Öleinnahmen weiter reduzieren.
US-Sanktionen verschärfen die Lage
Im Oktober setzte das US-Finanzministerium Rosneft und Lukoil auf die Sanktionsliste. Diese Maßnahme trifft rund drei Viertel der russischen Ölproduktion und vier Fünftel der Exporte. Indische und chinesische Abnehmer reduzieren bereits ihre Bestellungen.
Die Sanktionen betreffen auch europäische Vermögenswerte. Rosneft hält formal Anteile an deutschen Raffinerien, die jedoch unter Treuhandverwaltung stehen. Lukoil besitzt Raffinerien in Rumänien und Bulgarien sowie über 750 Tankstellen auf dem Balkan.
Das Unternehmen kündigte Ende Oktober an, seine Auslandsvermögen an das Genfer Unternehmen Gunvor zu verkaufen. Dessen Mitbegründer unterliegt jedoch selbst Sanktionen wegen seiner engen Beziehung zu Putin. Die Transaktion wirft deshalb die Frage auf, ob es sich wirklich um eine echte Entflechtung handelt oder nur um eine Umgehungsstrategie handelt.
Zivile Wirtschaft bricht ein
Während kriegsnahe Branchen wachsen, leiden zivile Sektoren. Die Automobilindustrie erlebt einen Absatzeinbruch: Die Verkäufe sanken den Berichten zufolge teils um ein Fünftel, viele Hersteller mussten auf eine Vier-Tage-Woche umstellen.
Der Wohnungsbau bricht ein, nachdem die Regierung vergünstigte Hypothekenprogramme zurückgefahren hat. Etwa ein Fünftel der Bauträger ist von Insolvenz bedroht. Der Schienenverkehr verzeichnet Rückgänge beim Transport von Massengütern.
Die Landwirtschaft kämpft mit steigenden Kosten und sinkenden Exporten. Russland wurde erneut zum Nettoimporteur von Agrar- und Lebensmitteln.