06. Dezember 2025

(Bild: Bild: Shutterstock.com)
Die neue US-Strategie attackiert Europas Identität, Militär und Märkte – und kündigt politische Einmischung an. Warum Brüssel trotzdem Coolness simuliert.
Die Trump-Regierung veröffentlicht eine radikal neue Sicherheitsstrategie, die Europa scharf kritisiert. Die EU-Außenbeauftragte Kallas reagiert betont gelassen. Für Europa bedeutet die National Security Strategy, die kürzlich aus dem von 51 Weihnachtsbäumen illuminierten Weißen Haus vorgelegt wurde, höhere Militärausgaben, weitreichende wirtschaftliche Forderungen, eine schonungslose Diagnose europäischer Schwächen.
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Gesehen aus dem Panoptikum der derzeitig amtierenden US-Entscheider mit der MAGA-Vorgabe, sowie eine Strategie der Spaltung, die der von Putin nicht unähnlich ist.
Doch während die einen von einem historischen Bruch sprechen, beschwört EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas die Partnerschaft.
Das markiert einen historischen Wendepunkt in den transatlantischen Beziehungen, so der Washingtoner Korrespondent der französischen Tageszeitung Le Monde. Er spricht von einer „Scheidung“ und einem „Begräbnis“ der traditionellen Rolle Europas.
Ziemlich unbeeindruckt vom Ton und Inhalt der neuen US-Sicherheitsdoktrin hob Kaja Kallas die Bedeutung des Bündnisses zwischen Europa und den USA hervor. Die USA seien „immer noch unser größter Verbündeter“, sagte sie.
Düstere Diagnose für den Kontinent
Washington diagnostiziert Europa fundamentale Probleme, die weit über wirtschaftliche Stagnation hinausgehen. Die Strategie warnt vor einer „zivilisatorischen Auslöschung“ des Kontinents. Das Dokument prognostiziert laut Tagesschau:
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„Sollten die gegenwärtigen Trends anhalten, wird der Kontinent in 20 Jahren oder weniger nicht wiederzuerkennen sein.“
Im Papier heißt es präzise:
„Europa leidet nicht nur unter niedrigen Verteidigungsausgaben und wirtschaftlicher Stagnation, sondern unter einem kulturellen und demografischen Niedergang: EU‑Überregulierung, Migrationspolitik, Einschränkungen der Meinungsfreiheit, politische Repression, sinkende Geburtenraten und Verlust nationaler Identität.
Wenn dieser Kurs anhält, wird Europa in 20 Jahren unkenntlich sein und möglicherweise nicht mehr fähig, ein starker Verbündeter zu bleiben.“
National Security Strategy, November 2025
Die Trump-Regierung bezweifelt offen, ob bestimmte europäische Länder in Zukunft über ausreichend starke Wirtschaften und Streitkräfte verfügen werden, um verlässliche Verbündete zu bleiben.
Das Dokument, wie hier zu sehen, nennt als Gründe für den Niedergang Programmpunkte, die maßgeschneidert zur Agenda der Neuen Rechten in Europa passen: „Masseneinwanderung“, die Unterdrückung der politischen Opposition und die Zensur der Meinungsfreiheit. Die Strategie prognostiziert, dass einige Nato-Mitglieder in wenigen Jahrzehnten mehrheitlich nicht-europäisch sein könnten, was die Bündnistreue, die in den Nachkriegsjahren als Selbstverständlichkeit galt, nun auf unsicheres Terrain schleift.
Und die eifrige EU-Außenbeauftragte Kallas zur Beteuerungsmeldung anstiftet?
Fünf Prozent für die Verteidigung
Das zentrale Element der US-Strategie für Europa ist eine drastische Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Die Trump-Regierung fordert mit dem sogenannten „Hague Commitment“ eine neue Norm: Nato-Staaten sollen künftig fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben. Das bisherige Zwei-Prozent-Ziel wird damit mehr als verdoppelt.
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Das Strategiepapier erklärt, dass die Tage vorbei seien, in denen die Vereinigten Staaten „wie Atlas die gesamte Weltordnung“ stützten. Europa soll die primäre Verantwortung für die eigene regionale Sicherheit übernehmen.
Die Strategie stellt zudem klar, dass die Nato-Erweiterung beendet wird.
Ein weiteres Kerninteresse der USA ist laut Papier die rasche Beendigung des Ukraine-Kriegs. Das Dokument nennt als Grund die Stabilisierung der europäischen Wirtschaften, die Verhinderung unbeabsichtigter Eskalation und die Wiederherstellung strategischer Stabilität mit Russland.
Das US-Papier kritisiert zudem, dass europäische Regierungen unrealistische Erwartungen an den Krieg hätten. Für diese Kritik dürfte es viel Zustimmung auch außerhalb der Neuen Rechten geben, von den Realisten, die das Kriegsgeschehen und die öffentlichen Kassen beobachten.
Politische Einmischung angekündigt
Washington verlangt von Europa die Öffnung seiner Märkte für US-Produkte und einen ausgeglichenen Handel – nach dem Verständnis und Gutdünken von Trump. Die Strategie lehnt die europäische Klimapolitik explizit ab: „Wir lehnen die katastrophalen Ideologien des ‚Klimawandels‘ und ‚Net Zero‘ ab.“
Die Administration kündigt an, „patriotische“, sprich rechtsgerichtete, europäische Parteien strategisch zu unterstützen – um die „nationale Souveränität in Europa“ wiederherzustellen. Was man unschwer als Interesse der USA an einem gespalteten Europa erkennen kann.
Die US-amerikanische Diplomatie solle den „Widerstand“ gegen den aktuellen politischen Kurs Europas kultivieren. Was damit genau gemeint ist, wird sich noch zeigen. Erste Impulse, wie die Gewichtungen aussehen, setzte schon die programmatische Rede von Vize-Präsident Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz.
Zugleich proklamiert das Paper aber auch das Prinzip der „Nicht-Intervention“ und des Respekts vor der Souveränität anderer Nationen.
Die New York Times analysiert in ihrer typischen harten Sicht auf Trump und seine Regierung, dass die neue US-Außenpolitik vor allem als profitorientiert – nicht zuletzt auch zum Vorteil des Hauses Trump – beschrieben werden kann.
Die Demokratie werde nicht mehr als Wert verteidigt. Man ziele, wie Beispiele in Südamerika deutlich zeigen würden, grundsätzlich darauf ab, anderen Ländern Aufträge ohne Ausschreibung für US-Unternehmen aufzuzwingen.
Gelassenheit statt Empörung
EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas räumte ein, dass Teile der US-Kritik „wahr“ seien. „Natürlich gibt es da viel Kritik, aber ich denke, etwas davon ist auch wahr“, sagte Kallas. Die Sichtweisen beider Seiten stimmten nicht immer überein, „aber ich denke, das übergreifende Prinzip ist immer noch da“.
Der deutsche Außenminister Johann Wadephul betonte ebenfalls die Bündnistreue, verbittet sich aber „externe Ratschläge“ zur Meinungsfreiheit und Organisation der Gesellschaft. Wadephul erklärte, Deutschland brauche „keine externen Ratschläge“ zu Fragen der freien Meinungsäußerung.
Le Monde bewertet das Dokument als „historischen Bruch“ mit der Nachkriegszeit. Der Washingtoner Korrespondent der Zeitung schreibt, Europa werde von den USA härter behandelt als deren Gegner. Der ehemalige schwedische Premierminister Carl Bildt schrieb in sozialen Medien, die Nationale Sicherheitsstrategie „positioniert sich rechts von der extremen Rechten in Europa“.