
Die USA warnen in ihrer neuen Sicherheitsstrategie vor einem Demokratieverlust in Europa.
Julia Demaree Nikhinson/AP/dpa
Die neue US-Sicherheitsstrategie sorgt für Spannungen in den transatlantischen Beziehungen. Derweil warnen Politologen vor grossen Herausforderungen für Europa und die Nato.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Die neue US-Sicherheitsstrategie sorgt für Spannungen im transatlantischen Verhältnis.
- In dem Strategiepapier wird ein düsteres Bild von Europas Zukunft gezeichnet, zudem rechtsextremistische Narrative vom «grossen Austausch» bedient.
- Politiker aus der EU weisen die Kritik zurück. EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas versucht indessen, die Wogen zu glätten.
Steht Europa vor dem Niedergang? Diesen Eindruck erhält, wer die am Freitag veröffentlichte nationale Sicherheitsstrategie der USA liest. Darin wird in scharfer Sprache gegenüber den Verbündeten die America-First-Agenda (Amerika zuerst) von Präsident Donald Trump festgeschrieben.
Kein Wunder, dass das Dokument mit ihrer düsteren Kritik an Europa für Spannungen in den transatlantischen Beziehungen sorgt. Aus europäischen Staaten kam an der neuen Strategie umgehend scharfe Kritik. Der deutsche Aussenminister Johann Wadephul sagte zu den kritischen Äusserungen zur Meinungsfreiheit, er glaube «nicht, dass irgendjemand uns dazu Ratschläge geben muss». Auch die EU-Kommission von Ursula von der Leyen wies die Vorwürfe gegen die EU zurück.
Während die Attacken aus Washington andauerten, bemühte sich die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas, die Wogen zu glätten. «Die USA sind immer noch unser grösster Verbündeter», sagte Kallas beim Doha Forum, einer jährlich stattfindenden diplomatischen Konferenz in Katar. Trotz Differenzen bei verschiedenen Themen zwischen den USA und Europa gelte das «allgemeine Prinzip» weiterhin: «Wir sind die engsten Verbündeten und sollten zusammenhalten.»

EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas versucht, die Wogen zu glätten.
Geert Vanden Wijngaert/AP/dpa
Neue Attacken aus den USA
Aus den USA rissen die Attacken gegen Europa indessen nicht ab. Anlässlich einer Entscheidung der EU, eine Millionenstrafe gegen Elon Musks Online-Plattform X wegen Transparenzmängeln zu verhängen, äusserte sich der Vize-Aussenminister der USA, Christopher Landau, erneut kritisch. In einem X-Beitrag beschwerte er sich über die Doppelrolle der Staaten, die sowohl der Nato, als auch der EU angehörten.
Hätten diese Staaten ihren «Nato-Hut» auf, pochten sie auf die Bedeutung der transatlantischen Zusammenarbeit, schrieb Landau. Mit ihrem «EU-Hut» verfolgten sie gleichzeitig aber politische Agenden, «die oft den Interessen und der Sicherheit der USA völlig zuwiderlaufen». Als Beispiele nannte er unter anderem «Zensur, wirtschaftlichen Selbstmord/Klimafanatismus, offene Grenzen». Die USA könnten diesen Widerspruch nicht länger ignorieren, schrieb Landau weiter. «Wir können nicht so tun, als wären wir Partner, während diese Nationen zulassen, dass die ungewählte, undemokratische und nicht repräsentative Bürokratie der EU in Brüssel eine Politik des zivilisatorischen Selbstmords verfolgt.»
My recent trip to Brussels for the @NATO Ministerial meeting left me with one overriding impression: the US has long failed to address the glaring inconsistency between its relations with NATO and the EU. These are almost all the same countries in both organizations. When these…
— Christopher Landau (@DeputySecState) December 6, 2025
Landau hatte in der vergangenen Woche als Vertretung für US-Aussenminister Marco Rubio am Treffen der Nato-Aussenminister in Brüssel teilgenommen. Ein triftiger Grund für die Absage Rubios wurde zunächst nicht genannt. Dass ein US-Aussenminister nicht persönlich an einem formellen Nato-Aussenministertreffen teilnimmt, ist höchst ungewöhnlich.
Papier greift Narrativ vom «grossen Austausch» auf
Das Weisse Haus beschwört in dem Strategiepapier eine «zivilisatorische Auslöschung» Europas herauf. Sollte sich die aktuelle Entwicklung fortsetzen, werde der Kontinent «in 20 Jahren oder weniger nicht mehr wiederzuerkennen sein», heisst es darin. «Es ist mehr als plausibel, dass spätestens innerhalb weniger Jahrzehnte bestimmte Nato-Mitglieder mehrheitlich nicht-europäisch werden», heisst es an anderer Stelle.
Damit greift die Trump-Regierung die Behauptung von Rechtsextremen auf, durch Migration finde gezielt ein «grosser Austausch» der europäischen Bevölkerung statt, dem nur durch sogenannte Remigration begegnet werden könne, also eine scharfe Grenz- und Abschiebepolitik.
Die USA betonten dazu in ihrer Strategie: «Die Ära der Masseneinwanderung muss enden.» Trump hat der irregulären Migration in die USA den Kampf angesagt und betreibt eine Abschiebepolitik, die Kritikern zufolge Grundrechte missachtet.
«Zensur» und «Unterdrückung»
Die US-Regierung prangert in ihrem Papier zudem eine angebliche «Zensur der Meinungsfreiheit und Unterdrückung der politischen Opposition» in Europa an. Ähnliche Argumente hatte Trumps Vizepräsident JD Vance bereits im Februar bei der Münchner Sicherheitskonferenz vorgebracht. Hintergrund ist, dass die US-Regierung Rechtspopulisten wie die AfD unterstützt, um der Maga-Bewegung Trumps (Make America Great Again, dt. «Macht Amerika wieder grossartig») in Europa einen grösseren Einfluss zu verschaffen.
Keine Nato-Erweiterung und Russland-Nähe
Das Papier aus dem Weissen Haus erteilt einer Nato-Erweiterung zudem eine Absage. Damit enttäuscht Washington erneut die Hoffnungen der Ukraine auf eine Aufnahme in das transatlantische Bündnis.
Zugleich ist die Strategie ein Indiz dafür, dass sich die Trump-Regierung Russland angenähert hat, das sich seit Jahren gegen die Nato-Osterweiterung wehrt. Die Regierung von Trumps Vorgänger Joe Biden wollte Russland in seinem Machtanspruch noch «einschränken», wie die «Washington Post» hervorhebt – solche Formulierungen finden sich in dem neuen Papier nicht.
Das sagen Experten
Der Politologe Evan Feigenbaum vom Carnegie Endowment for International Peace, der unter Präsident George W. Bush für die Regierung arbeitete, nennt die neue Strategie äusserst «konfliktträchtig». Sie stelle «die Vereinigten Staaten klar gegen das gesamte europäische Projekt».
Ähnlich sieht es Kristine Berzina vom German Marshall Fund. Die Trump-Regierung mache deutlich, «dass sie ein völlig anderes Europa sehen möchte», sagte sie der Nachrichtenagentur AFP. Indem die USA die Legitimität europäischer Regierungen infrage stellten, griffen sie viele europäische Verbündete frontal an.