Die Operette gilt als verstaubt. Doch Philipp Amelungsen und dem Team des Staatstheaters Wiesbaden gelingt es, mit „Alles Liebe! Eine queere Landoperette“ ein politisches Statement für Vielfalt zu setzen und gleichzeitig wunderbar zu unterhalten. Ein Probenbesuch.

Szene aus "Alles Liebe! Eine queere Landoperette"

„Alles Liebe!“ ist die erste Operette, die eine Frau für das Staatstheater Wiesbaden komponiert hat: Misha Cvijović.
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03:25 Min.|Tim-Tih Kost

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Noch sitzt Fausto Israel im Bademantel in der Maske des Staatstheaters Wiesbaden. Aber gerade ist er dabei, sich mit spektakulärer Kleidung und Schminkpinseln in die bekannte hessische Dragqueen Kelly Heelton zu verwandeln. Die spielt nämlich in der queeren Land-Operette „Alles Liebe!“ mit, die am Samstag Premiere auf der Großen Bühne feiert.

Es ist ein Ereignis mit insgesamt 58 Menschen auf der Bühne, ein großer Chor, Tänzer und Tänzerinnen, Solisten. Dazu ein 15-köpfiges Orchester und ein Jazz-Trio, die eine Mischung aus klassischen Operettenbögen, Jazz- und Pop-Einflüssen beisteuern.

Auch auf dem Land ist Vielfalt möglich

Ausgedacht hat sich die Operette Philipp Amelungsen. Der Autor lebt seit 20 Jahren in Sachsen und erzählt vor dem Besuch der Hauptprobe, er bekomme mit, „wie eigentlich Unsagbares gerade wieder sagbar wird“. Als queerer Mann habe er immer schon für Sichtbarkeit von queeren Menschen auf dem Land kämpfen wollen.  

„Gerade sind wir als LGBTQIA+Community so bedroht wie schon seit Jahren nicht mehr. Deswegen müssen wir besonders für unsere Rechte zusammenstehen“, findet der der 39-Jährige. Gleichzeitig möchte er zeigen, dass auf dem Land auch Vielfalt und buntes Miteinander möglich ist.

Misha Cvijović und Philipp Amelungsen

Komponistin Misha Cvijović und Autor Philipp Amelungsen
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Eine hessische Bürgermeisterin will an Millionen kommen

So ist die Operette „Alles Liebe!“ zustande gekommen, die jetzt auf der Bühne zu sehen ist. Ort des Geschehens ist ein kleines hessisches Dorf, das pleite ist. Die tatkräftige Bürgermeisterin will deswegen irgendwie Geld ranschaffen und ruft einen Christopher Street Day aus, um an das Preisgeld von hundert Millionen Euro zur Förderung von Diversität zu kommen.

Sie schickt ihren schwulen Verwaltungsleiter los, um die anderen queeren Menschen im Dorf zu finden. Die sind aber ganz anders, als sie sich das vorgestellt hat. Und einen populistischen Gegenspieler hat die Bürgermeisterin natürlich auch, damit die Geschichte ihren Gang gehen kann.

Szene aus "Alles Liebe! Eine queere Landoperette"

Szene aus „Alles Liebe!“ Der rechtspopulistische Bürgermeister versucht die Regenbogen-Fahne herunterzureißen.
Bild © Max Borchardt

Dragqueen Kelly Heelton fühlt sich total akzeptiert in Bad Schwalbach

Es ist ein Libretto über mühsame Kommunalpolitik, eine kleine Liebeserklärung an ländliche Regionen, aber auch ein Plädoyer, eigene Vorurteile zu überdenken. Dragqueen Kelly Heelton kommt ursprünglich aus der Millionenmetropole São Paulo in Brasilien. In der Maske erzählt sie, dass sie sich in der beschaulichen Kurstadt Bad Schwalbach, wo sie inzwischen lebt, absolut akzeptiert fühlt.

Trotzdem war sie glücklich, als sie die Anfrage für das Stück bekam: „Mir liegt es schon lange am Herzen, etwas mehr queere Kultur ins Theater zu bringen und warum nicht in ein so schönes Haus wie Wiesbaden, von dem alle denken, dass es ultra-konservativ ist?“

Dragqueen Kelly Heelton

Dragqueen Kelly Heelton will mehr queere Kultur ins Theater bringen.
Bild © hr / Tim-Tih Kost

Preis für zeitgenössisches, komisches Musiktheater

Möglich geworden ist die Produktion durch einen mit 50.000 Euro dotierten Preis der Reinhold Otto Mayer Stiftung, die nach zeitgenössischem, komischem Musiktheater gesucht hat. Philipp Amelungsen hat für seine Idee die Komponistin Misha Cvijović begeistern können, und als Team haben sie sich für den Preis beworben. 

Die Produktion tritt auch dafür ein, der Operette als verstaubt geltende Kunstform wieder mehr Coolness zu verleihen. Immer schon habe sie politische wie gesellschaftliche Themen verhandelt und mit Geschlechterrollen gespielt, sagt Amelungsen.

„Alles Liebe!“ ist also auch ein Versuch, die Operette ins 21. Jahrhundert zu überführen, eine Produktion zu zeigen, die zeitgenössisch ist und trotzdem Traditionen respektiert.

Ein leidenschaftliches Team

Das gelingt durch ein Team, dem man die Leidenschaft für die Sache an jeder Stelle anmerkt. Danai Simantiri etwa verkörpert als Tochter der Bürgermeisterin die inneren Kämpfe einer heranwachsenden Person um die eigene Identität so glaubwürdig, dass es einfach berührend ist.

Trotz schwerer Themen ist „Alles Liebe!“ aber auch ein leichter und musikalisch wundervoller Abend, durch den hoffentlich auch noch andere Leute ins Theater finden als gewöhnlich.

Weitere Informationen

„Alles Liebe! Eine queere Landoperette“ feiert am 6. Dezember um 19.30 Uhr am Staatstheater Wiesbaden Premiere.
Alle weiteren Termine finden Sie hier.

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Redaktion:
Lars Schmidt

Sendung:
hr2 Kultur,

05.12.25, 16:45 Uhr

Quelle: hessenschau.de