„Und nicht vergessen: Das nächste Spiel ist immer das schwerste.“ Klaus Walter sagte das – sehr lakonisch – mehr als 25 Jahre lang als wiederkehrendes Ritual am Ende seiner hr-Radiosendung „Der Ball ist rund“. Was nach Fußball, Kabine und Trainerlogik klingt, charakterisiert vielmehr Walters Liebe zur popkulturellen Welt. Man kann nicht einfach abspulen, was vorher funktioniert hat. Es gibt keinen sicheren Plan, nur den nächsten Schritt. Walter hat Pop und Subkultur nie wie eine abgeschlossene Sammlung betrachtet, sondern wie ein offenes Feld. Jede neue Platte, jede neue Bewegung, jede neue Debatte stellt die Fragen von gestern auf den Kopf. Genau deshalb ist das nächste Spiel das schwerste. Weil es neu zu hören verlangt, neu zu denken, neu zu zweifeln. Walters Motto: „Musik, die ich verstehe, langweilt mich; Musik die mich interessiert, verstehe ich nicht.“

Er ist aber auch der Mann in blauer Jeansjacke, der den Diskurspop als intellektuellen „Konfliktstoff“ nach Frankfurt importiert und ihm zugleich eine unverwechselbare lokale Stimme gegeben hat. Klaus Walter, am 7. Dezember 1955 in Schwanheim geboren, ist so auch Teil des popkulturellen Gedächtnisses der Stadt sowie ein Chronist ihrer Subkulturen, unter anderem als Ko-Autor des vor 20 Jahren erschienenen Buchs „Plattenspieler“, zusammen mit Thomas Mei­necke und Frank Witzel.

Walters Karriere beim Hessischen Rundfunk begann 1984 mit einer Volte. Als Redakteur des Stadtmagazins „Pflasterstrand“ hatte er eine Polemik zum damaligen hr3-Programm geschrieben, gegen jenen „schwitzigen Männerrock“ (Walter), der alles seinerzeit Neue – Punk, New Wave, Reggae – demonstrativ ignorierte. Was folgte, nennt Walter selbst „ein Märchen“: Er wurde von Hanns Verres, seinem Kindheits-Radio-Idol, nach einer Probesendung engagiert. Die neue Show hieß – frei nach Sepp Herberger – „Der Ball ist rund“ und lief bis 2008 wöchentlich bei hr3.

Verres’ Art, die „Frankfurter Schlagerbörse“ zu moderieren, sorgte übrigens im Hause Walter in Schwanheim regelmäßig für Streit zwischen dem konservativen Vater und der Beatles-liebenden Mutter. Das ging bis zum „Tellerschmeißen“ und ließ den zehnjährigen Klaus Walter im Jahr 1965 zum ersten Mal spüren: „An dieser Beatmusik ist irgendwas dran, da gibt es Konfliktstoff.“

Sein Wirken als Chronist der politisch linken Szene speiste sich später auch aus seinen nächtlichen Taxifahrten in den frühen Achtzigerjahren. In den Kellern der besetzten Häuser im Frankfurter Westend dröhnte Musik von The Doors und Ton Steine Scherben, im Taxi lief AFN. Walter beobachtete mit Skepsis nicht nur spätere Politgrößen wie Joschka Fischer, dem er „Kollegen-Verpfeifen“ per Taxifunk attestierte – und beim Kicken im Ostpark den Stil eines „ehrgeizigen Treters“. Er erlebte auch die Präsenz der amerikanischen Soldaten. Stolz spielte er im Taxi schwarzen GIs Kassetten mit frühem Rap von Grandmaster Flash vor.

Gründer des Idiot Ballroom in der Batschkapp

„Zu jung für Hippie, zu alt für Punk“ nennt sich Klaus Walter selbstironisch im eben erschienenen Buch „All das passierte in diesem irrsinnigen Milieu Frankfurt“ (Ventil-Verlag) von Kenneth Hujer. Jazz war nie sein Ding, dafür Reggae und Punk mit der damals üblichen Do-it-yourself-Attitüde. Als DJ gründete er den Idiot Ballroom in der Batschkapp. Draußen stritten die Spontis über Theorie, drinnen kreisten die Vinylplatten mit New Wave und Indie-Rock aus Großbritannien etwa von The Smiths.

Trotz Angeboten von Magazinen wie „Spex“ oder „Tempo“ blieb Walter in Frankfurt (und Offenbach, wo er lange wohnte). Er begründet dies mit einer Mischung aus Bequemlichkeit und einer gewissen Eitelkeit: „Lieber der Erste in der Provinz als einer von vielen in der Großstadt.“ Erst als Walter seine wöchentliche Sendung bei hr3 verlor, richtete er sich zu Hause in Fechenheim ein professionelles Studio ein. Dort produziert er bis heute Sendungen für Byte.FM („Was ist Musik“) und WDR3 („Ex und Pop“), aber auch für hr2 („Doppelkopf“). Es sind sorgfältig zusammengestellte Shows mit Titeln wie „Reibe deine Seele! 60 Jahre Rubber Soul“ oder „Betongeburten, Neonschwäne, nächtlicher Regenbogen“, die über das Internet sowie die Audiothek auch überregional zu hören sind.

Von den Beatles über Cornershop zu Miriam Makeba: Das ist nur ein aktuelles Beispiel für eine musikalische Reise des Radio-DJs Klaus Walter, der sich selbst mehr als „Handwerker einer aussterbenden Kunst“ denn als Kurator sieht. „Popmusik war und ist in meinem Leben sehr relevant und das Sprechen und Schreiben darüber ebenfalls“, sagt er, der nicht nur Radiosendungen produziert, sondern auch für Tageszeitungen und Magazine schreibt. Ob er damit auch noch junge Musikfans erreicht? Oder sind die längst zu algorithmenbasierten Streamingdiensten abgewandert? Klaus Walter sieht das differenziert: „Ich glaube, es wird in jeder Generation immer relevante Minderheiten geben, die sich für auch vermeintlich archaische oder überkommene Formen medialer Praxis interessieren und die darin auch vielleicht das finden, von dem sie gar nicht wissen, dass sie es suchen und es einfach finden.“

Stefan Müller (DJ Eastenders) ist Autor und Radiojournalist, unter anderem für den Hessischen Rundfunk.