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Ein buntes Völkchen steht, ein Man im Anzug greift an  die Regenbogenflagge. Aktualisierte Operettenakteure in Darmstadt. © Max Borchardt

Die Operette „Alles Liebe!“ in Wiesbaden.

Eine zeitgenössische Operette, eine „Landoperette“ zudem und zugleich eine „queere“. Da durfte man in Wiesbaden bei der Uraufführung des Staatstheaters gespannt sein vor allem auf die Musik. 41 Jahre alt ist die gebürtige serbische Komponistin Misha Cvijović, die in Berlin lebt und ein Talent für das Adaptieren von Genres und Idiomen hat. Ebenso für Klangwelten szenischer Provenienz. Sie bewegt sich im Bereich aktueller, neutönerischer Werke, die sich klassisch-avantgardistisch darstellen und die genau so positioniert sind, dass sie etwa bei einem mythologischen Stoff für großes Orchester eine andere Klanglichkeit haben als bei einem bläser- oder schlagzeuglastigen Ensemble: mal zerklüftet, mal kompakt dissonant-tonal oder im performativen Bereich aktionistisch-akklamatorisch.

Ein bisschen kennt man das alles, aber so, wie es gebildet wird, ist da ein solides Gestaltungsvermögen am Werk, das man auch im Großen Haus bei der Operetten-Uraufführung „Alles Liebe!“ zu erleben hoffte. Nur war das jetzt bis zur Selbstverleugnung unwahrnehmbar, aber genau das war, um ein geflügeltes Wort aus berufenem Munde der Wahlheimat Cvijovićs zu gebrauchen, „auch gut so“. Denn eine neutönerische Operette wäre ein schwarzer Schimmel. Nicht echt und nicht fesch, steifleinern und ein pseudo-animiertes Ornament.

Es blieb also und klang alles wie beim Alten bzw. beim neuen Alten, denn natürlich werden hier keine Schmalzlocken gedreht, saccharinhaltige Sentimentalitäten oder schnarrende Herr-Offizier-Attitüden ausgebreitet. Der Ton hat, um nochmals Berliner Diktion zu gebrauchen, „ordentlich Bums“, vermittelt aber auch manch sentimentale Floskel in trockenen Tüchern und sitzt auch gut im Ohr. Die Komponistin weiß, was eine Operette braucht, selbst wenn das Ganze im Verein mit dem Libretto Philipp Amelsungsens und der Inszenierung durch Anna Weber dann doch eher den Gattungsbegriff verblassen lässt.

Vielfalt ist eigentlich ein Kostümball

Vielleicht könnte man von einem Operettical sprechen, trotz der putzigen Bühne von Stella Lehnert mit ihren drei Fachwerk-Hausfrontgerippen. Hinter deren einem ist die Amtsstube des schrankschwulen Bürohengsts Friedrich Hemmschuh. Hinter dem anderen das Heim der Bürgermeisterin Carola Weissgut, die vor der Abwahl steht und keine Zeit für ihre unter Identitätsschwankungen leidende Tochter hat. Das dritte Haus, wie ein Stern dazwischen, ist ein herziges Klohäusl, das später zur Freude des Amtsschimmels Hemmschuh eine kleine Gay-Community entlässt.

Soweit die aktualisierten Operettenakteure: Minister, Kammerdiener, Lieferanten und Eintänzer, das nette und hilflose Liebespaar. Und dazu kommt als reiche Erbtante noch Vater Staat, der Fördermittel für Vielfalt usw. parat hält, was einen Christopher-Street-Day-Umzug nahelegt und Geld in die leeren Dorf-Kassen spülen soll. Den Fördermittelgrund besorgt eine veritable Dragqueen, die in ihrer Coming-Out-School den insgeheimen LGBTQ-Dörflern und Dörflerinnen auf die Sprünge hilft, was zuletzt in fried-freundlicher „Blauer Bock“-, respektive „Bunter Bock“-Stimmung endet.

Der natürlich cis-männliche, von seinen muffigen Reaktionären und Reaktionärinnen bestimmte Wahlsieger wickelt sich zuletzt doch noch in von ihm heruntergerissenene Pride-Draperien, und das Publikum kann zum Fahnen-Appell die buntgestreiften Papierfähnchen schwenken, die vor der Aufführung verteilt wurden. Statt der Operettenherrlichkeit alter Art mit ihrer Glück bringenden List der Vernunft und Verwechslungskomik, gibt es in der neuesten Operette mehr moralisierende Diskurs- und Klageweisen.

Also sei hiermit nach der einstmalig goldenen und dann silbernen, die bronzene Operetten-Ära eingeläutet. Immerhin entfielen die üblichen tagesaktuellen Anspielungs-Slots und gab es auch kein naheliegendes subkulturelles Blasen-Geblubber. Kostümlich (Alexander Djurkov Hotter) läuft die Queer-Operette spätestens nach dem Auftritt der Dragqueen (souverän Kelly Heelton) auf klassische Travestie hinaus, in die auch das sauertöpfische Lesben-Paar integriert ist: „Alles Liebe!“ – Vielfalt ist eigentlich Kostümball.

Musikalisch war der Abend gelungen. Das Orchester unter Paul Taubitz spielte mit Verve differenziert, der Chor sang die teils ohrwurmartigen kollektiven Partien bestens. Die Mikrofonverstärkung der Stimmen war tadellos, die Dialogverständlichkeit nicht. Die beste Figur in Wort, Geste und Ton machte der Amtsschimmel von Fabian-Jakob Balkhausen, der in seiner trocken-aufgeräumten und doch alerten Art vom Chargieren meilenweit entfernt war. Die Tanztruppe hatte Pfiff und war sexy.

Staatstheater Wiesbaden:
12. Dezember, 10., 25., 29. Januar. www.staatstheater-wiesbaden.de