Vor der früheren Kirche St. Stefan ist der rote Teppich ausgerollt: Andreas von Brühl (links) und Florian Vornberger haben zur Eröffnungsfeier ihres Vintage-Stores eingeladen. Foto: ubo
Ein roter Teppich führt in die frühere Kirche St. Stefan, in der ein DJ auflegt: Der Sakralraum, zuletzt von „Buch und Spiel“ genutzt, wird zum Design-Hotspot und zur Event-Location.
Vor der ehemaligen Kirche St. Stefan an der Rotenwaldstraße im Stuttgarter Westen ist der rote Teppich ausgerollt. Wo einst Gläubige den Sakralraum zum Beten betraten, strömen am Samstagabend die Gäste zur Eröffnungsfeier eines neuen Vintage-Design-Stores.
Das 1976 geweihte Gotteshaus wurde bereits vor mehr als zehn Jahren entwidmet und diente zuletzt als Standort der Buchhandlung „Buch und Spiel“. Nach dem Tod der langjährigen Inhaberin Marie-Luise Zeuch beginnt nun ein neues Kapitel für den markanten Bau mit seinen raumhohen, farbenprächtigen Kirchenfenster, die mit optischer Wucht faszinieren.
Der Auktionator Andreas von Brühl und Florian Vornberger vom Studio E&F haben die ehemalige Kirche angemietet und sie in einen Ort für Möbelklassiker und exklusive Designobjekte verwandelt. Zur Eröffnung legt DJ Cin auf, bekannt von der Schankstelle – sein DJ-Pult befindet sich dort, wo einst der Altar stand. Auch Werner Laub, leitender Pfarrer der Gesamtkirchengemeinde Stuttgart-West/Botnang, ist unter den Gästen. Viele Jahre predigte er hier vor bis zu 200 Gläubigen – nun zeigt er sich angetan davon, wie der Raum seinen besonderen Charakter bewahrt hat.
So sieht die frühere Kirche St. Stefan nun im Inneren aus. Foto: privat Ausgediente Depot-Buchstaben treffen auf Designklassiker
Der neue Store präsentiert nicht nur bekannte Designklassiker von Vitra, Knoll International, Thonet oder Entwürfe von Ray und Charles Eames, Egon Eiermann und Mart Stam. Zu den ersten Hinguckern gehören große Leuchtbuchstaben von der Stuttgarter Königstraße. Sie waren einst Teil des Schriftzugs des Dekogeschäfts Depot, das kürzlich endgültig schloss. Nun thronen die weißen Lettern zwischen Kirchenwand und Designmöbeln – ein ungewohnter, aber überraschend stimmiger Dialog zwischen Konsumgeschichte und Architektur.
Dass solche Raritäten im Store auftauchen, liegt an Auktionator von Brühl, der bei seiner Arbeit immer wieder auf besondere Stücke stößt: seltene Möbel, außergewöhnliche Fundstücke, ausrangierte Designelemente großer Marken. Viele davon finden nun in St. Stefan ein neues Zuhause – zumindest für eine Weile. Beim Eröffnungsfest geht der Erlös der Tombola an den Frühchenverein in Reutlingen.
Warum immer mehr Kirchen in Stuttgart verschwinden
Die Transformation von St. Stefan steht sinnbildlich für einen Wandel innerhalb der katholischen Kirche. Sinkende Mitgliederzahlen, hohe Energiekosten und ein erheblicher Sanierungsstau setzen die Gemeinden zunehmend unter Druck. Die rund 316 kirchlichen Gebäude im Stadtgebiet verursachen Kosten, die von der Diözese kaum noch zu stemmen sind.
Auktionator Andreas von Brühl vor dem DJ-Pult und Design-Stühlen in der früheren Kirche St. Stefan. Foto: privat
Bereits 2011 beschloss der Stadtdekanatsrat, kirchliche Zweitstandorte aufzugeben – St. Stefan war einer davon. 2014 folgte eine umfassende Analyse aller Immobilien mit weitreichenden Folgen. Zuletzt wurde die Christus-Erlöser-Kirche in Botnang aus Spargründen entwidmet. Auch für sie haben von Brühl und Vornberger einen Mietvertrag zur weiteren Nutzung unterschrieben.
Mancherorts entstanden nach der Profanierung kleinere Neubauten oder Integrationen in Hauptkirchen, andere Gebäude wurden abgerissen. Und einige – wie St. Stefan – haben neue kulturelle oder wirtschaftliche Funktionen gefunden.
Aus einer Kirche kann kein Club werden
Pfarrer Laub betont, dass profanisierte Kirchen grundsätzlich für kommerzielle Zwecke vermietet werden dürfen. „Aber wir prüfen sehr genau, was hineinpasst“, sagt er. Eine Disco wäre ausgeschlossen – der Raum solle seinem Charakter entsprechend respektvoll genutzt werden. Warum es nicht immer leicht ist, Mieter für ein früheres Gotteshaus zu finden: Eine ehemalige Kirche mag eine besondere Location sein, aber die Nebenkosten schlagen ins Gewicht. Denn Heizungskosten für die hohen Gebäuden sind hoch.
Studio E&F plant neben dem Verkauf und Verleih von Designermöbeln auch Events im ehemaligen Gotteshaus: Weinproben, Ausstellungen, stilvolle Präsentationen. Der Raum ist groß, hell, atmosphärisch – ein Sakralbau, der seine Ruhe behalten hat und gleichzeitig offen für neue Ideen ist. Vorerst soll an drei Tagen zum Wochenende hin geöffnet sein.
St. Stefan: Harmonische Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart
Während die katholische Kirche weiterhin Gebäude aufgeben muss, zeigt St. Stefan, welches Potenzial in leerstehenden Kirchen steckt. Zwischen der Pracht bunter Fenstern, Mid-Century-Möbeln und historischen Leuchtbuchstaben entsteht ein Ort, der Vergangenheit und Gegenwart ungewöhnlich harmonisch verbindet.