„Schwer ruht das Haupt, das die Krone trägt.“ Das Zitat aus „Heinrich IV.“ von William Shakespeare scheinen die Entwickler von „Paradox Tinto“ verinnerlicht zu haben. Denn ihr Spiel „Europa Universalis V“, das Anfang November erschienen ist, zeigt vor allem eins. Es ist nicht leicht, sein Reich zu regieren.

Wir beginnen im Jahr 1337, also im Spätmittelalter. Der 100-jährige Krieg zwischen England und Frankreich bricht gerade aus. Und im Südosten wächst langsam die Macht des Osmanischen Reiches. Spanien als Land existiert noch nicht. Teile sind von den Mauren besetzt, während Portugal, Kastilien und Aragon mal miteinander, mal gegeneinander agieren. In dieser verworrenen politischen Lage können wir uns ein Land aussuchen, dessen Herrschaft wir übernehmen und das wir bis ins 19. Jahrhundert führen können. Doch der Einstieg in Europa Universalis V ist nicht gerade leicht.

Schon der 2013 erschienene Vorgänger ist insbesondere über DLC-Pakete immer umfangreicher und komplexer geworden. Und dennoch wirkt er im Vergleich zu EU5, wie Fans es nennen, geradezu simpel.

Der schwedische Kopf hinter dem Spiel, Johan Andersson, wollte sehr ambitioniert mehr schaffen als nur ein weiteres Strategiespiel oder einen Abklatsch des Bekannten. Und das ist ihm gelungen. Als König unsers Reiches kümmern wir uns um die Wirtschaft. Wir bauen Ressourcen ab. In unseren wenigen Städten fertigen unsere Bewohner daraus dann Güter. Schmuck, feine Stoffe, Papier, Waffen – die Liste ist lang. Die gehen dann in einen Markt. Das allein ist schon schwierig genug. Und es macht tatsächlich auch ein wenig süchtig, die eigene Wirtschaft und die Preise auszutarieren. Zumal es unterschiedliche Produktionsmethoden gibt. Welche vorteilhaft ist, hängt wiederum von den zur Verfügung stehenden Ressourcen ab.

Und wir benötigen Arbeitskräfte. Das Mittelalter beruhte auf einer Agrarwirtschaft. Bauen müssen also erst einmal aufsteigen, um Handwerker zu werden. Das wiederum hängt von der Bildung ab. Und der Migration in die Städte. Da kommen wir zum nächsten Punkt: dem sozialen Gefüge. Es gibt „Kleriker“. Die genaue Bezeichnung hängt von der Religion und dem Land ab, das wir spielen. Tatsächlich hat man sich die Mühe gemacht, regionale Begriffe zu verwenden. Zumindest bei vielen Ländern. Wir konnten nicht alle Reiche testen.

Aber zurück zum Stand der Kleriker. Die betreiben Kirchen, Klöster, Krankenhäuser, Skriptorien und später auch Universitäten. Und damit haben sie Macht und verfolgen eigene Ziele. Ebenso wie der Adel, die Bürger, die Arbeiter und die Bauern.

Es ist die Aufgabe des Königs, das alles auszutarieren und gleichzeitig nicht zu viel Macht einzubüßen. Dafür vergeben wir Privilegien, erlassen Gesetze und geben Forderungen nach. Entweder über die Ständeversammlungen oder über Events, von denen ebenfalls viele wieder auf das jeweilige Reich zugeschnitten sind – oder auf historischen Ereignissen beruhen.

Noch komplizierter wird es, weil wir dadurch die langfristige Entwicklung unseres Reichs beeinflussen. Tendieren wir mehr in Richtung Aristokratie oder Plutokratie? Entfernen wir uns von der traditionellen Agrarwirtschaft? Möchten wir innovativ sein?

Am Anfang sind wir etwas erschlagen von den Möglichkeiten. Zumal wir viele Mechaniken nicht durchblicken oder wie sie zusammenwirken. Aber das finden wir gar nicht schlimm. Versetzen wir uns in die Lage eines Monarchen im 14. Jahrhundert oder später. Der wusste auch nicht, was Entscheidungen kurz-, mittel- oder langfristig brachten. Er musste sie aber treffen – und seine Nachkommen mussten mit den Folgen leben. Und das ist die große Stärke von „Europa Universalis V“. Es ist mehr als ein Strategie- oder Aufbauspiel. Es ist ein Geschichtssimulator. Wir lernen dabei nicht unbedingt historische Fakten, aber wie Geschichte sich entwickelt.

In unserem Spielverlauf nahm die Macht des Adels schleichend ab. Ebenso der Einfluss der Kleriker, weil wir unsere Städte und die Wirtschaft stärkten. Das brachte aber andere Probleme. Schließlich wollten beide Stände das nicht akzeptieren. Unser Reich wurde immer autokratischer, was dann wieder zu Problemen mit den Bürgern führte.

Für alles gibt es Lösungen im Spiel, die aber wiederum neue Herausforderungen bedeuten. Wir hatten es sogar einmal geschafft, dass ein zumindest für uns besonderes Event startete. Unser erster Herrscher hatte drei Söhne, von denen zwei bei mysteriösen Jagdunfällen starben. Unser dritter Sohn wurde darum König. Nach mehreren Jahren waren die Adligen so unzufrieden, dass er abdanken und sein Neffe die Krone tragen sollte. Oder es würde zum Bürgerkrieg kommen – und er würde gewaltsam abgesetzt. Unsere Bevölkerung reagiert auf unsere Entscheidungen. Und das nicht immer positiv.

Ebenso wie die anderen Reiche. Die diplomatischen Optionen erschlagen einen wie das gesamte Spiel. Und eins ist klar: Die ständigen Eroberungen, die in vielen Paradox-Spielen mit der Zeit zu einfach waren, gibt es nicht mehr. Die Armeen sind meist kleiner. Kriege dauern länger und das eigene Volk ist schneller unzufrieden. Es will nicht ständig in Konflikte verwickelt sein. Und selbst bei einem Erfolg: Eroberte Gebiete sollten eingegliedert werden. Wir haben kaum Kontrolle über sie. Und sollte dort dann noch eine andere Kultur oder Religion vertreten sein, kann das zu Aufständen führen.

Als König haben wir vor allem anfangs das Gefühl, dass wir gar nicht so genau wissen, was wir tun. Und jeden Glutherd, den wir austreten, führt zu neuen potenziellen Brandherden. Aber das macht tatsächlich Spaß. Auch wenn das Spiel sehr langsam voranschreitet. Selbst nach mehr als 40 oder 60 Stunden sind wir nur wenige Jahrzehnte vorangekommen. Zu viele Entscheidungen müssen getroffen werden und zu oft muss die Wirtschaft nachjustiert werden. Wir können zwar einiges automatisieren, aber wo bleibt dann der Spaß? Das Scheitern ist ein Teil des Erlebnisses von „Europa Universalis V“.

Nutzeroberfläche ist gewöhnungsbedürftig

Ist es also ein grandioses Spiel? Kommen wir zu den Problemen. Die grafische Oberfläche scheint einer optischen Hölle der 1990er entsprungen zu sein. Es gibt viele Menüs. Und nicht immer ist offensichtlich, wo genau wir etwas finden. Tatsächlich ist unser wahrer Gegner oft das User Interface. Wenn wir Einfluss auf unsere Kirche nehmen wollen, haben wir schon einmal gesehen, wie wir das schaffen können. Wir finden das nur nicht wieder. Es gibt einen Reiter für „Gesetze“. Aber darüber ändern wir sie nicht, sondern über die Ständeversammlungen (allgemein Parlament genannt). Dort können wir dann ein Gesetz ersetzen, was uns aber oft Zugeständnisse kostet.

Manches spielt sich mit der Zeit wortwörtlich ein. Aktionen jedoch, die nicht ständig durchgeführt werden, arten oft in einer Klickorgie aus. War es jetzt da? Oder ist es unter dem Punkt versteckt? Zumal nicht immer klar ersichtlich ist, was ein Button zu einem Untermenü ist oder nur eine Textzeile.

Und wer sich im Fortschrittsmenü auf Anhieb zurechtfindet, muss einer der Entwickler sein. Das finden wir aber nicht so schlimm. Nach jeder absolvierten Forschung kann man auch einfach aus den nächsten Optionen wählen. Es scheint realistisch, dass kein langer Fortschrittsweg vorgegeben wird – um dann den vorteilhaften Zweig zu erwischen. Wer es dennoch tun möchte, hat Arbeit vor sich – um sich durch den Baum zu kämpfen. Auch da gilt: Es ist nicht sofort erkennbar, was bereits erforscht worden ist. Mit der Zeit gewöhnt man sich aber an die oft nur dezenten Farbveränderungen. Und bei vielen optischen Problemen helfen mittlerweile Mods, die sich über Steam herunterladen lassen. Zudem wird das Spiel beständig gepatcht. Aber ist das jetzt der große Kritikpunkt?

Es ist gewöhnungsbedürftig und viel zu oft hält die Oberfläche eher auf, als dass sie uns unterstützt. Und trotzdem: Von „Europa Universalis V“ geht eine Faszination aus. Wir wollen unser Reich ausbauen. Wir wollen vor Problemen stehen und die lösen. Oder wir scheitern und lernen daraus. Auch das hat seinen Reiz. Wenn wir erst einmal EU5 gestartet haben, ist es schwer, nach einer Stunde aufzuhören – weil wir tatsächlich in die Welt eintauchen. Und das gelingt nicht vielen Spielen.

Jeder setzt sich seine eigenen Ziele

Es ist aber nichts für Leute, die gerne Trophäen sammeln – weil man ein Sieger ist. Der Spieler definiert selbst, was für ihn ein Erfolg ist. Und es gibt mehrere Wege, sie zu erreichen. Will ich mich vor dem Osmanischen Reich wappnen? Dann baue ich mein Militär aus. Das ist in EU5 deutlich komplexer geworden. Aber es ist nur ein Weg. Es geht auch über eine kluge Außenpolitik. Als Serbien haben wir es geschafft, den Dauerkonflikt zwischen der Walachei und Bulgarien zu beenden. Am Ende waren beide Bündnispartner. Österreich konnten wir über eine Staatsehe und sehr viel Meinungsverbesserung mit ins Boot holen. Ebenso wie Georgien. So haben wir es über Jahrzehnte geschafft, ein Bollwerk aufzubauen. Unhistorisch? Auf jeden Fall. Aber es zeigt, wie sehr Kleinigkeiten den Verlauf unserer Geschichte geprägt haben. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass wir Schulden übernommen, in Bürgerkriege eingegriffen und auf Land verzichtet haben. Nur um das Vertrauen unserer Partner zu gewinnen.

Europa Universalis V, erschienen am 4. November, Preis derzeit ca. Preis ca. 60 Euro. Die Testversion wurde uns von Paradox Interactive zur Verfügung gestellt.