Interview
Standdatum: 8. Dezember 2025.
Autorinnen und Autoren:
Kalina Bunk
Axel Petermann hat jahrzehntelange Erfahrung bei den Ermittlungen in Kriminalfällen. (Archivbild)
Bild: dpa | picture alliance / Sven Simon | Anke Waelischmiller/SVEN SIMON
Im Fall des Ende November tot aufgefundenen Säuglings sind noch immer viele Fragen offen. Der Bremer Profiler Axel Petermann erklärt, wie Ermittler in solchen Fällen vorgehen.
Das Mädchen war am 25. November von Müllmännern beim Sortieren von Bauschutt und Gewerbeabfällen entdeckt worden. Bei dem Fundort handelte es sich laut Polizei um eine Sortieranlage für Abfall auf dem Gelände eines Entsorgungsunternehmens im Ortsteil Industriehäfen.
Der Fall hat große Betroffenheit ausgelöst. Laut Obduktionsergebnis war das Mädchen etwa zwei Tage alt, kam also lebend zur Welt. Es war schwer verletzt und laut Staatsanwaltschaft auch an diesen Verletzungen gestorben. Als das Kind abgelegt wurde, habe es aber noch gelebt.
Wie die Ermittler in solchen Fällen vorgehen, darüber haben wir mit Axel Petermann gesprochen – ein in ganz Deutschland bekannter Profiler aus Bremen.
Information zum Thema
Profiler Axel Petermann
Der Bremer Axel Petermann (geboren 1952) arbeitete von 1975 bis 2014 bei der Kriminalpolizei und baute die Dienststelle Operative Fallanalyse auf. Diese setzt bei der Aufklärung von Tötungsdelikten stark auf Spuren am Tatort und versucht, den Tathergang zu rekonstruieren. Zudem wird die Persönlichkeit des Opfers analysiert, um sich dem Motiv des Täters und damit seinem Profil besser nähern zu können.
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Wie häufig kommen Funde toter Säuglinge in Bremen und Umgebung vor, wie war die Entwicklung in den vergangenen Jahren?
In den 50er-, aber auch in den 70er-, 80er-Jahren gab es dieses Phänomen der Kindestötungen häufig. Das hing mit der gesellschaftlichen Stellung der Frau zusammen, wenn unverheiratet ein Kind auf die Welt kam. Die Obduktionsprotokolle der 60er- und 70er-Jahre zeigen, dass wir in Bremen mehrere Fälle hatten, in denen Kinder kurz nach der Geburt getötet und dann etwa an der Weser abgelegt wurden.
Das ist in den letzten Jahren in Bremen und bundesweit tüchtig zurückgegangen, was natürlich mit verschiedenen Entwicklungen zusammenhängt – etwa besserer Verhütung, Ausbau der Schwangerenberatung, Errichten von Babyklappen, der Möglichkeit der anonymen Geburt sowie Reformen des Schwangerschaftsabbruchs.
Kann man bei Fällen aus jüngerer Vergangenheit sagen, welche Hintergründe hinter solchen Taten stecken?
Das hängt immer davon, wann das Kind getötet wurde. Wurde das Kind gleich nach oder während der Geburt getötet, dann würde man von einem Neonatizid sprechen, also von der Tötung eines neugeborenen Kindes. Das umfasst den Zeitraum von einem Tag nach Geburt.
In dem jüngsten Fall des tot aufgefundenen Säuglings hat das Kind laut Obduktion etwa zwei Tage gelebt. Das wäre dann nicht dieses Motiv, das man bei den Müttern erwarten könnte, die direkt nach der Geburt töten – etwa Überforderung, soziale Krise, Isolation oder Angst vor Stigmatisierung.
Bei einer Tötung nach zwei Tagen können andere Motive auftreten. Dazu gehören zum Beispiel Misshandlung, Vernachlässigung oder eskalierende Partnerschaftskonflikte. Nicht alle Erzeuger – die Bezeichnung wähle ich bewusst – sind erfreut, Vater zu werden. Da kann es natürlich auch zu Gewaltexzessen kommen, die zu Tötung führen. Bei einem Tod nach zwei Tagen können also durchaus andere (Bezugs-)personen dafür infrage kommen.
Wie gestalten sich Ermittlungen in solchen Fällen, warum sind sie womöglich besonders schwierig?
In diesem Fall gibt es ein totes Kind. Wir haben letztendlich nur den Fundort – der aber nicht Tatort sein muss und es vermutlich auch nicht ist. Wir haben unbekannte Eltern, die Schwangerschaft ist möglicherweise verborgen worden. Oder es gab ein Milieu, in dem nicht so darauf geachtet wird, dass jemand schwanger war, oder auch, dass ein Baby da sein müsste.
Es gibt keine klare Spurenlage, die helfen würde. Der letzte Punkt wäre: Wer hatte Zugang zu dem Müllcontainer, in dem das Kind gefunden wurde? Wo kam der Inhalt her? Über diesen Weg von hinten kann man versuchen herauszufinden, wo das Kind herkam. Das Kind muss ja auch nicht in dem Stadtteil geboren worden sein, in dem es abgelegt wurde.
Mit welchen Spuren können Ermittlerinnen und Ermittler in solchen Fällen arbeiten?
Einmal hat man das Kind selbst und Möglichkeiten der DNA-Typisierung. Es lässt sich dadurch grob feststellen, aus welcher Region die Eltern kommen könnten. Aber selbst dann gibt es natürlich mehrere Menschen, die von dort stammen und jetzt in Bremen wohnen. DNA-Spuren geben den Ermittlern einen Ansatz, um konkrete Personen zu überprüfen.
Man kann außerdem schauen: Hat das Kind nackt dort gelegen, hat es Kleidung getragen? War es in etwas eingewickelt? Das wären auch wieder Spurenträger beziehungsweise Möglichkeiten, Spuren festzustellen, um dann diejenigen zu ermitteln, die diese Spuren hinterlassen haben.
Falls vorhanden, lässt sich zudem auch Material aus Videoüberwachung auswerten – etwa um den Weg des Inhalts aus dem Müllcontainer zu klären. Außerdem stellt sich die Frage, ob es Tatwerkzeuge gab. Das Kind war ja schwer verletzt.
Im konkreten Fall hat die Polizei ein Hinweisportal eingerichtet. Welche Bedeutung haben Hinweise aus der Bevölkerung für die Ermittlungen?
Sicherlich ist es schon wichtig, dass es die Möglichkeit gibt, sich zu melden. Aber man muss sich natürlich auch immer fragen: Erreicht diese Botschaft auch diejenigen oder das Umfeld der Täter? Nicht jeder verfolgt Medienberichte und das, was die Polizei von sich gibt. Möglich sind auch Sprachbarrieren oder die Ablehnung der Polizei.
Von daher ist das Hinweisportal gut, aber ob es etwas bringt, wird man sehen müssen. Vielleicht könnte tatsächlich über die DNA-Untersuchung die feinere Bestimmung der biographischen Herkunft erfolgen. Und dann könnte man da ansetzen. Also abklären, in welchen Bremer Stadtteilen diese Menschen vornehmlich wohnen und dort gezielt um Hinweise aus der Bevölkerung bitten oder die Fahndung dort aktivieren.
Mehr zu dem Fall in Bremen:
Quelle:
buten un binnen.
Dieses Thema im Programm:
butenunbinnen.de, „Totes Baby in Bremen: Profiler erklärt, wie die Polizei arbeitet“, 5. Dezember 2025, 16:18 Uhr
