Berlin – Haben mutmaßliche Linksextremisten einen Neonazi zusammengeschlagen und auf ihn eingestochen? Mit dieser Frage befassen sich seit Montag Richter, Schöffen und ein halbes Dutzend Rechtsanwälte im Berliner Kriminalgericht.
Opfer kam vom Boxtraining
Angeklagt wegen gemeinschaftlicher und gefährlicher Körperverletzung: Kolja B. (32, Historiker) und Konrad E. (33, Sozialarbeiter). Das Opfer: Leander S. (24, Angestellter), Mitglied der vom Verfassungsschutz als neonazistisch eingestuften Kleinpartei III. Weg. Am Abend des Überfalls kam er vom Boxtraining. Er tritt als Nebenkläger auf.
Vertreten wird Leander S. von Wolfram Narath, Rechtsanwalt, NPD-Funktionär, Verteidiger vieler Holocaust-Leugner. In den Prozessen um die Mordserie des rechtsextremistischen NSU war er einer der drei Anwälte des NSU-Unterstützers Ralf Wohlleben.
Leander S. (24) wurde in seinem Wohnhaus angegriffen, er wehrte sich mit einem Messer
Foto: privat
Vor dem Gerichtsgebäude wartet am Montag das jeweilige Gefolge auf Einlass: Rechtsradikal steht am linken Eingang, linksradikal wartet rechts. Im Saal stehen 15 Justizwachtmeister, um beide Lager zu trennen.
Was geschah bei dem Angriff?
Die Anklage: Am 18. April 2024 sollen Kolja B., Konrad E. und ein unbekannter Dritter Neonazi Leander S. im Hausflur vor seiner Wohnung an der Wichertstraße (Prenzlauer Berg) zusammengetreten, geschlagen, mit einer Glasflasche, einem Messer und Reizgas attackiert haben. Den Angeklagten drohen bis zu vier Jahre Haft, vier Anwälte stehen ihnen zur Seite.
In einem Beutel sollen die Täter Hammer, Messer und Reizgas mitgebracht haben. Am Ende lagen jedoch die Angreifer mit schweren Messerverletzungen am Boden. Einer mit Stich im Oberkörper, der andere mit blutender Wunde im Oberschenkel.
Der Attackierte selbst kam vergleichsweise glimpflich davon: Schnittverletzungen an Unterschenkel und Handrücken, Platzwunde am Kopf.
Die zwei Angreifer wurden schwer verletzt und hinterließen Blutspuren auf dem Gehweg
Foto: spreepicture
Hintergrund der Attacke laut Staatsanwalt: Leander S. soll einer der Schläger gewesen sein, die am 27. Juli 2023 Teilnehmer des Berliner CSD angriffen, darunter eine Freundin der Angeklagten.
Kolja B. und Konrad E. beteuern vor Gericht, niemals ein Messer dabei gehabt zu haben. Ihr Opfer hätten sie einschüchtern wollen. Der Plan sei gewesen, Leander S. „zu Boden zu bringen“. Aber das habe nicht funktioniert.
Neonazi sticht auf Angreifer ein
Mit den Worten „Scheiß Kommunisten-F…! Ist das alles?“, sei der 24-Jährige schreiend auf sie zugestürmt. Kolja B.: „Wir waren naiv. Ich werde den Tag nie vergessen, schon wegen der Narben. Es war ein traumatisches Erlebnis.“
Sicherheitskräfte der Justiz bewachen am Montag das Gerichtsgebäude, kontrollieren jeden Besucher
Foto: Olaf Wagner
„Ich habe vor Angst geschrien“
Die Angeklagten befinden sich eigenen Aussagen zufolge seit ihrem Überfall in psychologischer Behandlung.
Leander S. wird als Zeuge aufgerufen. Der Kampfsportler stellt sich als Mensch mit „nationaler Weltanschauung“ im Gericht vor. Er sei „wohl von Leuten angegriffen worden, die damit nicht klarkommen“.
Auf dem Weg zum Fahrstuhl in seinem Wohnhaus hätten ihm vier bis sechs Leute aufgelauert und ohne Vorwarnung angegriffen: „Es wurde wortlos auf mich losgegangen. Ich wurde sofort zu Boden gebracht. Eine Person hat sich auf mich draufgesetzt.“
Und weiter: „Ich habe vor Angst geschrien, ein Messer aus der rechten Hosentasche gezogen und zu meiner Verteidigung unkontrolliert auf die Person eingewirkt.“
Auf die Frage, warum er ein Messer bei sich trug, sagt Leander S.: „Das habe ich öfter mal dabei.“ Hat er sich die Schnittverletzungen im Kampf möglicherweise selbst zugefügt? Antwort: Das halte er für unwahrscheinlich!
Der Prozess wird am 18. Dezember fortgesetzt.