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Hinter Hecken, Wracks und einfach überall: Drohnen, die auf ihre Opfer warten. In der Ukraine wird der Krieg perfider, und die NATO hinkt hinterher.
Moskau – „Russland hat aus den Fehlern der Ukraine gelernt und gewinnt nun den Drohnenkrieg“, schreibt David Kirichenko. Der Autor des US-Thinktanks „Atlantic Council“ behauptet aktuell, dass die militärischen Realitäten im Ukraine-Krieg nun nicht nur von neuen Technologien geprägt würden, sondern dass Wladimir Putin kopiere und vervollkommne, womit die Verteidiger eigentlich gehofft hatten, die Aggressoren in die Knie zu zwingen. „Hinterhaltdrohnen“ beispielsweise. Womit die Ukraine einen großen Wurf landen wollte, fliegt ihr jetzt selbst um die Ohren.
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Russlands „Schläferdrohnen“ würden sich zu einem immer ernsteren Gegner für die Ukraine auswachsen, wie „Wolodymyr“ von der 4. Brigade der Nationalgarde „Rubisch“ gegenüber der Bild geäußert haben soll: „Hinterhalt“- oder „Schläfer“-Drohnen sind Drohnen, die am Straßenrand herumliegen und auf Opfer lauern. Die Waffen werden von einem aus einem in der sicheren Deckung verharrenden Drohnenpiloten gesteuert, ohne, dass der Angegriffene etwas ahnt. Das Prinzip ähnelt einer Mine; die liegt aber starr im Boden und reagiert auf Druck auf den Zünder. Die „Hinterhaltdrohne“ springt ihr Opfer förmlich an. Das Prinzip ist auf beiden Seiten gleich – auch in dieser Nutzung der neuen Waffengattung schenken sich beide nichts.
Ukraine-Krieg: Ziele dieser neuen Waffen könnten offenbar Versorgungslinien sein
Ziele dieser neuen Waffen könnten offenbar Versorgungslinien sein; die Ukraine beispielsweise versucht damit also möglicherweise den russischen Nachschub zu kappen – mittels „plötzlicher Hinterhalte durch FPV-Drohnen (First-Person-View), die auf dem Boden landen und auf der Lauer liegen, bis sich ein Ziel nähert“, wie David Hambling schreibt. Diese Hinterhalte seien überall möglich, unabhängig von Tag und Nacht; auch emittiere die Hinterhaltdrohne keine Funksignale, solange sie lauere; bliebe sie also quasi unsichtbar bis sie zuschlage, so der Autor von Forbes. Gleiches gilt für die Gegenseite: Laut des Bild-Informanten „Wolodymyr“ könnten die russischen Drohnen bis zu sechs Stunden am Boden verharren. Die Strategie der Russen soll sich aber von der der ukrainischen Verteidiger fundamental unterscheiden.
„Seit 2022 wird das russische Militär wegen seiner primitiven ,Menschenwellen‘-Taktik und seiner allgemein schwachen Leistungen in der Ukraine vielfach verspottet. Die Fortschritte Russlands im Drohnenkrieg deuten jedoch auf eine Armee hin, die durchaus lernfähig, anpassungsfähig und innovationsfreudig ist.“
„Wenn niemand kommt, und sich die Batterieleistung dem Ende zuneigt, greifen sie auch Zivilisten an, um die Drohne nicht an uns zu verlieren“, zitiert die Bild ihre Quelle. Die Opfer haben keine Chance: „Normale FPV-Angriffe können durch die Video- und Steuersignale aus einiger Entfernung erkannt werden, sodass die Ziele die Möglichkeit haben zu fliehen oder in Deckung zu gehen – Drohnendetektoren gelten heute als unverzichtbare Ausrüstung –, aber die Angriffe aus dem Hinterhalt können nur wenige Sekunden Vorwarnung geben“, schreibt Hambling. Offenbar dienen die „Schläfer“-Drohnen auch dazu, für Russland eine breite Schneise ins ukrainische Hinterland zu schlagen, wie David Kirichenko vermutet.
„Artillerist“ im Sitzen: Die Folgen der Kriegsführung via Drohnen, zu der sich der Ukraine-Krieg entwickelt hat. Ein Kommandant der ukrainischen Einheit „Kurt und Companie“ der 28. Mechanisierten Brigade betrachtet den Bildschirm der Drohnen seiner Piloten, die an der Frontlinie an einem unbekannten Ort in der Region Donezk fliegen (Symbolfoto). © Florent Vergnes/AFP)
Neben Angriffen auf die ukrainische Logistik konzentrierten sich russische Drohnenstreitkräfte ihm zufolge auch auf ukrainische Einheiten und zwingen ukrainische Drohnenbesatzungen so, sich aus Gründen der Eigensicherung weiter von der Front zurückzuziehen. In diesen frei werdenden Raum würden die russischen Truppen dann schnurstracks nachstoßen und hätten dann Boden gut gemacht und neues Territorium besetzt. Laut Kirichenko stünde auch der Drohnenkrieg auf Messers Schneide: „Die derzeitige Effektivität der russischen Drohneneinheiten bedeutet nicht, dass der Drohnenkrieg endgültig zugunsten Moskaus gekippt ist“, schreibt er für das „Atlantic Council“.
Ukraine-Krieg als Blaupause: Entwicklung von „Hinterhaltsdrohnen stellt eine militärische Evolution dar“
Bereits im August hatte der Thinktank „Institute for the Study of War“ (ISW) behauptet, Russland sei genauso effektiv darin, die ukrainischen Nachschubwege zu stören wie umgekehrt. Die Ursache ist in beiden Fällen der gleiche: Drohnen. Und gerade die „Hinterhalt“- oder „Schläferdrohnen“ der Russen sind so gefährlich, weil Russland mit Unterstützung von China auch diese Waffen in einer Vielzahl von denen der Ukraine produziert – so die Behauptung der Bild. Damit sei die Schwelle zu einer Ära jenseits der Landminen betreten, vermutet Jenn Whiteley in ihrem Magazin Foresight Navigator: „Der Übergang von passiven Landminen zu intelligenten, autonomen Hinterhaltsdrohnen stellt eine militärische Evolution dar“, schreibt sie.
Der Soldat, auch in einem scheinbar geschützten Fahrzeug aus Panzerstahl, wird somit noch verletzlicher, wenn ihn die Drohne nicht nur von oben bedroht, sondern sogar auf Knie- oder Augenhöhe aus der Deckung hervorspringen kann. Dem Soldaten fehlt damit auch die geringste Spur von Sicherheit: „Das Ergebnis? Ein grundlegender Wandel in der modernen Bodenkriegsführung. Drohnen lauern nun wie Scharfschützen im Hinterhalt, unterbrechen Nachschubketten wie Sprengfallen und eliminieren Schlüsselfiguren mit chirurgischer Präzision“, schreibt Jenn Whiteley. Der Krieg ist damit eingetreten in eine Phase, in der die Herrschaft über das Unkontrollierbare ausgefochten wird. Die Ukraine mutiert damit möglicherweise zu einer Art von Dschungelkrieg – dem Vietnam des 21. Jahrhunderts.
Hinterhaltsdrohnen als Waffe gegen die NATO: Diese Bedrohung wird noch wachsen
Einem Kriegsszenario, in dem hinter jedem Baum und Strauch der Tod lauern konnte. „Die Zukunft des Krieges hängt nicht mehr allein von überwältigender Gewalt ab, sondern davon, wer die unsichtbaren Bedrohungen kontrollieren kann, die jenseits des Schlachtfelds lauern“, schreibt Jenn Whiteley. Diese Bedrohung wird noch wachsen – allein aufgrund der technischen Entwicklung der Energiebevorratung. Die Sonne würde zur unerschöpflichen Quelle der Hinterhalt-Taktik, legt Haye Kesteloo nahe.
In seinem Magazin Drone XL entwirft er eine Dystopie von solarbetriebenen Drohnen – diese könnten nicht nur ihren Parkplatz ansteuern und dort verharren, sondern beinahe organische Minenfelder ausbilden; die Drohnen könnten „periodische Suchflüge durchführen oder, auf Anweisung von Sensoren, autonom angreifen und so eine anhaltende Bedrohung darstellen. Ihre Fähigkeit zum Aufladen ermöglicht langsame, unauffällige Missionen tief in feindliches Gebiet, wobei sie jeweils einige Kilometer zurücklegen“, wie er schreibt. Die Drohnen könnten dann nicht nur Stunden auf ihren Positionen parken, sondern Tage, Wochen, Monate. Sie könnten Regionen auf unbestimmte Zeit kontaminieren – und nicht nur auf Druck hochgehen, sondern jederzeit wie ein Schwarm Heuschrecken in die Höhe stieben.
Putins neue Armee: „durchaus lernfähig, anpassungsfähig und innovationsfreudig“
Für Verteidiger eine Katastrophe. Kateryna Stepanenko legt am Beispiel der umkämpften Region Pokrowsk dar, dass selbst einzelne Fahrzeuge eine willkommene Beute für die vergleichsweise günstigen „Hinterhaltdrohnen“ darstellten: Demnach würde russische Einheiten „täglich zwei bis drei ukrainische Fahrzeuge auf der Fernstraße T0515 angreifen, wodurch ukrainische Soldaten gezwungen seien, Nachschub zu Fuß zu holen und die Verteidigungsoperationen der Ukraine in Richtung Pokrowsk erschwert würden“, wie sie für das ISW schreibt. Laut der Bild würden die Ukrainer ihre Straßen beidseitig mit Netzen verhängen – eine improvisierte Lösung, die aber für‘s Erste zu helfen scheint. Aber die grundsätzliche Herausforderung ungelöst lässt.
Hohes Gras, Schneewehen, Zäune, Gebäude, Wracks – hinter jeder Ecke lauert der Tod. In der NATO sollte das zu Sorgenfalten führen, behauptet David Kirichenko. Er ist sicher, dass die russische Armee, die die Ukraine angegriffen hatte, nicht die sein wird, gegen die das westliche Verteidigungsbündnis sich zur Wehr setzen müsste, wie er schreibt. Die „Hinterhaltdrohnen“ sind nur eine der Waffen, die Russland nutzt, bevor die NATO-Verantwortlichen ein solches Exemplar überhaupt zu Gesicht bekommen – geschweige denn, eine Abwehr-Strategie ersonnen hätten, wie er für das „Atlantic Council“ darlegt.
„Seit 2022 wird das russische Militär wegen seiner primitiven ,Menschenwellen‘-Taktik und seiner allgemein schwachen Leistungen in der Ukraine vielfach verspottet. Die Fortschritte Russlands im Drohnenkrieg deuten jedoch auf eine Armee hin, die durchaus lernfähig, anpassungsfähig und innovationsfreudig ist.“ (Quellen: Atlantic Council, Institute for the Study of War, Bild, Forbes, Foresight Navigator, Drone XL) (hz)