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Berlin und sein ländliches Umland: Was auf den ersten Blick als Gegensatz daherkommt, entpuppt sich in der Krise als Vorteil. Wo lokale Erzeuger der Schuh drückt und wie der Handel Abhilfe schafft.

Dienstag, 09. Dezember 2025, 07:40 Uhr

Dr. Silke Wartenberg

Der Kauf regionaler Lebensmittel – sowohl in Hofläden als auch in Supermärkten – nimmt zu.

Bildquelle: Pro Agro

So unterschiedlich sie auch sind: Die Metropole Berlin und das ländlich geprägte Brandenburg haben im Hinblick auf die Ernährungsbranche einiges gemeinsam. Viele Akteure entlang der Wertschöpfungskette nutzen Sy­ner­gien und kooperieren. Da sind auf der einen Seite Prestigeprojekte wie der Food Campus in der Hauptstadt mit seiner innovativen Start-up-Szene und wissenschaftlichen Kooperationen. Gründer der Branche arbeiten an Themen wie der Planetary Health Diet oder Smart Proteins, die wiederum einen starken Bezug zur Herkunft der Rohstoffe und somit zur heimischen Produktion haben. Um nur einige Beispiele zu nennen: Proteinersatz in Form von Erbsen statt Soja und fermentierte Produkte wie das gute alte Sauerkraut sind in.

Der Handel hat das Thema längst begriffen. Dennoch: „Regionalität in die Regale zu bringen, ist für alle Beteiligten harte Arbeit. Gerade als Produzent muss man dafür auch immer wieder etwas mehr als andere tun, um sich abzuheben und Wirkung zu erzielen“, sagt Kai Rückewold, Geschäftsführer des Brandenburger Agrarmarketingverbandes Pro Agro, gegenüber der Lebensmittel Praxis. Bekanntheit und Absatz regionaler Produkte aus Brandenburg zu stärken, ist die Aufgabe des Verbandes.

Die Anzahl der regionalen Produkte in den Supermarktregalen hat sich signifikant vervielfacht. Und dass es sich bei der Sympathie für regionale Lebensmittel nicht nur um einen Trend handelt, beweist die Statistik. So stieg seit 2009 die Anzahl der gelisteten Lieferanten aus Brandenburg und Berlin bei Vollsortimentsmärkten wie zum Beispiel Edeka von damals über 100 auf heute über 500. Auch Discounter ziehen nach. Bei kaum einer Werbung geht es nicht um Regionalität und Herkunft. Rücke­wold aber warnt: „Nicht überall, wo Regionalität draufsteht, ist auch Regionalität drin. Bei einigen Anbietern ist schon eine deutsche Herkunft regional.“

Partnerschaft zahlt sich aus

„Die Corona-Zeit war wie ein Schlaraffenland für lokale Produkte“, erinnert sich Franziska Rutz, Lokalitätsbeauftragte von Rewe Ost. Wie in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft auch, hätten beide Seiten zueinandergefunden. Lokale Produkte – am liebsten im heimischen Hofladen angeboten – waren vertraut und gaben Sicherheit. Als Folge landeten auch immer mehr regionale Produkte in den Supermarktregalen, und die Konsumenten nahmen hierfür sogar Preisaufschläge in Kauf.

Aber: Die wirtschaftlich herausfordernden Zeiten spiegelten sich im Kaufverhalten der Menschen und folglich in den Sortimenten im Handel wider. Die starken Preiserhöhungen im Trockensortiment, bei Spirituosen, Schokolade und Fruchtsäften beispielsweise, führten aktuell dazu, dass Konsumenten weniger regionale Produkte wählen, sondern auf günstigere, vergleichbare Produkte ausweichen, so Rutz. Bei Milch, Käse, Eiern und Fleisch würden sie in der Region jedoch nach wie vor ein Absatzplus erzielen. Regionale und lokale Produkte hätten sich in diesen Segmenten längst als Alternative zu Bioprodukten etabliert.

Im Warenwirtschaftssystem der Rewe Ost befinden sich unter den aktuell 210 regionalen Betrieben auch viele kleine lokale Erzeuger. „Anders als bei einigen anderen Einzelhandelsunternehmen können selbstständige Händler und Filialen gleichermaßen darauf zugreifen, und jeder strickt sich sein eigenes regionales Sortiment“, sagt Rutz. Der Vorteil: Auch kleinere Handwerksbetriebe können langsam wachsen und mitgestalten, wo sie welche Produkte in welcher Menge anbieten.

Um die kleinen lokalen Erzeuger in der aktuellen Absatzkrise zu unterstützen, hat die Lokalitätsbeauftragte in letzter Zeit verschiedene Veranstaltungsformate konzipiert und durchgeführt. So bringt sie Händler zu den Betrieben, damit diese sich selbst ein Bild über die regionale Erzeugung und das Ernährungshandwerk machen können, oder lässt Auszubildende aus der Hauptstadt Kartoffeln pflanzen und ernten, damit die urbanen jungen Menschen einen kleinen Einblick in die Landwirtschaft bekommen.

Regionales im Supermarkt

Im Auftrag von Pro Agro wurden 2023 rund 2.000 Menschen aus Berlin, Brandenburg und national befragt. Die Referenzgruppe aus 400 Berliner Haushalten zeigte: Rund 50 Prozent der Befragten haben eine sehr starke Neigung zum Kauf regionaler Lebensmittel. Die bevorzugten Einkaufsstätten sind dabei – kaum überraschend – Supermarkt und Discounter. Rund jeder zehnte Verbraucher sucht den direkten Weg in den Hofladen oder Werksverkauf des Produzenten.

Geschmack, Qualität und gute Effekte für die Region sind die stärksten Kaufmotive. Auch stark: das Gefühl, aktiv bessere Tierwohlstandards, Nachhaltigkeit und bestehende Traditionen zu unterstützen. „Die Studie gibt uns für die nächsten Jahre eine gute Leitplanke für die Entwicklung von Produktionsprozessen und der Ausrichtung. Dabei versuchen wir, Land- und Ernährungswirtschaft regional Hand in Hand weiterzubringen“, so Rücke­wold.