Kernen. Als Nayif Ekinci im Frühjahr 2017 seinen Hausarzt aufsucht, ist ihm nicht klar, dass er an diesem Tag nicht mehr nach Hause zurückkehren wird. Über das Wochenende haben den Familienvater aus Kernen Bauchkrämpfe, später dann Erbrechen und Durchfall begleitet. Ein harmloser Magen-Darm-Infekt, das glaubt er zumindest. Doch die Symptome verstärken sich. Sein Arzt verabreicht ihm Infusionen, auch mit Schmerzmitteln. Dann ruft er im Krankenhaus an.
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2017 erhält Nayif die Diagnose Dickdarmkrebs
Für Nayif Ekinci wird der 3. April 2017 zum Beginn einer Krankheitsgeschichte, die bis heute andauert. Nach einer Magen- und Darmspiegelung steht der Befund fest: Die Symptome rühren nicht von einer Magen-Darm-Erkrankung. Es ist Dickdarmkrebs im Endstadium, sagen die Ärzte. „Als die Diagnose kam, schwebte ich in der Luft“, berichtet Ekinci, der heute 35 Jahre alt ist. Er, der selbst Altenpflegehelfer, Rettungssanitäter und später Pflegedienstleiter war, wurde zum Patienten. „Das war ein komisches Gefühl.“
Mit dem Ergebnis in der Hand ruft Nayif Ekinci Freunde und Familie an, auf der Suche nach beruhigenden Worten. Im Krankenhaus will man ihn direkt operieren, doch er muss kurz durchatmen, will eine zweite Meinung hören. Ekinci entlässt sich selbst und sucht Hilfe im Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart. Die behandelnde Ärztin kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Aber sie sieht auch: Der Krebs hat nicht gestreut. In einer Operation wird der betroffene Abschnitt des Dickdarms entfernt. Es folgen zwei Jahre Chemotherapie, berichtet Nayif Ekinci. „Ich konnte etwas aufatmen.“
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In den Jahren der Chemotherapie beginnt der Familienvater eine Weiterbildung zur Pflegedienstleitung. „Ich wollte schon immer in dem Bereich arbeiten.“ Zwischen Tabletten, Infusionen, weiteren MRTs, CTs, Sonografien und Darmspiegelungen zur Nachsorge drückt Nayif Ekinci also wieder die Schulbank. Zwar muss er „bei allem doppelt so lange nachdenken“, sagt er, aber am Ende meistert er die Prüfung. Voller Tatendrang will er mit Ende der Chemotherapie 2019 loslegen. Doch da folgt schon der nächste Dämpfer.
Der Mann aus Kernen hat einen seltenen Gendefekt
Aufgrund des plötzlichen Einsetzens seiner Symptome und der Tatsache, dass er familiär nicht vorbelastet ist, schickt seine Onkologin ihn zum Humangenetiker. Und tatsächlich wird ihr Verdacht dort bestätigt. Nayif Ekinci leidet am seltenen Cowden-Syndrom, einer genetischen Störung, die sich durch multiple tumorartige Gewebemissbildungen auszeichnet. Sprich: Bei Nayif Ekinci besteht ein erhöhtes Risiko für gutartige als auch bösartige Tumore. Nur sechs Monate ist der Kernener wieder im Job, als die nächste Schocknachricht kommt. Dieses Mal ist die Schilddrüse befallen.
„Zur Sicherheit ließ ich mir die Schilddrüse ganz entfernen“, berichtet der 35-Jährige. Die Funktion des hormonproduzierenden Organs übernehmen seitdem Tabletten. Das Spiel geht von vorn los: Auf die Operation folgen Chemotherapie und engmaschige Nachsorge. Von einem Arzt im Robert-Bosch-Krankenhaus bekommt Nayif Ekinci außerdem den Tipp, sich an die Uniklinik in Bonn zu wenden. Dort gibt es Cowden-Syndrom-Spezialisten. Und diese nehmen sich seiner tatsächlich an. Einmal im Jahr wird der ehemalige Rettungssanitäter für jeweils drei Tage im Bonner Klinikum aufgenommen und gründlich durchgecheckt. Bis 2023 geht es ihm endlich etwas besser. Dann folgt der nächste Schlag.
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Vier Wochen im Wachkoma
Bei einer Standard-Darmspiegelung wird ihm ein Narkosemittel verabreicht. „Vor der Darmspiegelung habe ich immer eine Vollnarkose bekommen.“ Doch es kommt zu Komplikationen. „Die Ärzte sprechen von einer allergischen Reaktion.“ Seine Lunge kollabiert und Nayif Ekinci fällt ins Wachkoma. Erst vier Wochen später schlägt er die Augen wieder auf, als seine Familie gerade an seinem Bett sitzt. „Danach war ich bis Ende 2024 ein Pflegefall.“ Eine harte Probe für den gelernten Pfleger.
Trotz Abraten seines Arztes verlässt Nayif Ekinci das Krankenhaus in Bonn früher als geplant. „Für die Ärzte grenzte es an ein Wunder. Nach dem Koma stand ich täglich mindestens zehn Minuten auf eigenen Beinen.“ All seine Kräfte habe er mobilisiert, um fit zu werden. „Ich will meine Kinder aufwachsen sehen.“ Drei Söhne hat der 35-Jährige gemeinsam mit Ehefrau Nergiz Ekinci. Salih (11) und Siyabend (10) sind mit der Krankheit ihres Vaters groß geworden. Sie kennen ihn noch, als er fit war und mit ihnen herumtoben konnte. Das geht jetzt nicht mehr. Der kleine Agrin (2) kam erst später dazu. Irgendwann möchte Nayif Ekinci auch mit ihm wieder über den Fußballplatz rennen.
Der Versuch, den Alltag aufrechtzuerhalten
Mittlerweile arbeitet der Kernener zwar in Vollzeit, doch gesund ist er längst nicht. „Ich brauche einfach eine Routine.“ Zur Arbeit gehen, die Kinder vom Sport abholen, mit ihnen Hausaufgaben machen. Einen halbwegs normalen Alltag zu leben hilft ihm, sich der Krankheit nicht ausgeliefert zu fühlen. Deshalb wird man Nayif Ekinci auch selten traurig sehen. Obwohl das okay wäre, das weiß er auch, sagt er. Ehefrau Nergiz betont: „Er ist einfach immer positiv. Sogar als er aus dem Koma aufgewacht ist, hat er gelächelt.“ Positiv bleiben helfe ihm auch dabei, den aktuellsten Schicksalsschlag zu durchstehen.
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In seiner Hirnanhangsdrüse, der Hypophyse, sitzt ein gutartiger Tumor, der unkontrolliert Wachstumshormone ausschüttet. „Ich habe mich immer gewundert, warum ich nicht abnehme“, berichtet der Familienvater aus Kernen. Im Gegenteil: Ekinci legt an Gewicht zu. Sogar wenn er nicht einmal mehr isst als ein Sesambrötchen am Morgen. Er ist zwar mobil, doch schnell aus der Puste. Und dabei bleibt es nicht. Der Tumor bedingt auch das Wachstum anderer Zellen. Etliche Lipome, das sind gutartige Tumore aus Fettzellen unter der Haut, hat sich Nayif Ekinci in den letzten Jahren entfernen lassen müssen.
Nur eine Immun- und Gentherapie kann helfen
Seit sieben Jahren kämpft der Familienvater mittlerweile gegen sich immer wieder neu bildende Tumore und Krebserkrankungen. Um das seltene Cowden-Syndrom zu behandeln, ist er auf eine Immun- und Gentherapie angewiesen. Doch die muss der Alleinverdiener selbst zahlen: Zwischen 70.000 und 80.000 Euro kostet die Behandlung. „ Leider wird diese durch alle Rücksprachen und Versuchungen von der Krankenkasse nicht übernommen“, berichten Nayif Ekinci und seine Familie. Aus diesem Grund sind sie jetzt auf Spenden angewiesen. „Ich schäme mich dafür“, sagt Nayif, „aber es geht nicht anders“.
Hilfe für Nayif
Die Familie von Nayif Ekinci hat eine Spendenseite (Go fund me) eingerichtet. Mit dem Geld soll die lebensrettende Therapie finanziert werden. Hier kann gespendet werden.



