Am Anfang war das Wort, am Ende wohl nichts. Wie sich Christian Filips an der Inszenierung eines neuen Krippenspiels versucht, versuche ich mich an seiner Besprechung. Die muss schließlich mit dem arbeiten, was dem Publikum vorgesetzt wurde. Und das war eher der Versuch eines Krippenspiels, ohne Jesuskind, dafür mit kommunistischen Mönchen, die eindrucksvoll Vogel-, Ochsen- und Schafsgeräusche imitieren können.

Vorab muss ich beichten: Ich habe nichts verstanden. Aber: Meine Sitznachbarn auch nicht. „Sophie Rois halt“, höre ich es murmeln und sehe Schultern zucken. Am U-Bahn-Eingang meint jemand, er glaube, er habe die Stelle verstanden, an der Nonnen in Cargohosen als neue Märtyrerinnen rekrutiert werden, also die Parallele, die hier angedeutet wurde. Die Stelle geht vielleicht fünf Minuten. Sind wir alle zu blöd? Wissen zumindest Sophie Rois, der Chor und der Regisseur, worum es in „Proprietà Privata“ eigentlich geht?

Ich versuche, meinen Platz im intellektuellen Stall zu finden, zwischen Ochsen, Esel und jener Art von wohlmeinender Selbstgeißelung, die entsteht, wenn man nach zwei Stunden Lichtschaltertesten und Chorälen erkennt, dass die eigene Hirnkapazität offenbar nur für Adventskränze reicht. Vielleicht ist dieses Stück ja die Rache des modernen Dramas an allen, die behaupten, Kunst müsse „verständlich“ sein. Oder einfach ein Fiebertraum mit Budget.

Ich möchte bitte abgeholt werden. Stattdessen werde ich von oben gefilmt und ebenfalls an die Wand geworfen

Ein Mysterienspiel also. Oder ein Meta-Mysterienspiel. Oder ein Meta-Meta-irgendwas-Spiel. Und ganz viel unmissverständliche Kapitalismus- und Kirchenkritik. Die Volksbühne meint es sogar so ernst mit der subversiven Kritik der Bürgerlichkeit, dass sie sich jeder Möglichkeit einer Theaterkritik entzieht.

Zurück ins Mittelalter

Der Technofeudalismus, so lerne ich, führt uns alle zurück ins Mittelalter, als Franz von Assisi das erste Krippenspiel aufführte und kein Gott zur Welt kam, sondern das moderne Drama. Außerdem wohl die Idee dieses Stückes, die Weihnachtsgeschichte und Privateigentum à la franziskanischem Mönchskommunismus zusammenzudenken. Damals in Umbrien spielen die Mönche fast alle Rollen selbst. Heute spielt Sophie Rois Franziskus und ich spiele die Kritikerin.

Kommunistisches Theater bedeutet in der Praxis: Ein betender Mönch kniet neben einem Betonmischgerät, Rois erzählt von Engpässen an der A 555 und A 1. Ein riesiger sprechender Rabe mit glitzernden Augen sitzt da auf der Bühne. Rois wird ihn später mit einem Gewehr abschießen und mit seinen Knochen und Federn um sich werfen. Dann wird er, inzwischen wieder von den Toten auferstanden, mit riesigen schwarzen Federflügeln umherfliegen und eine düstere Botschaft verkünden. Victoria’s Secret ist nett, aber waren Sie schon mal in der Volksbühne?

Natürlich geht es auch inhaltlich um Privateigentum, Kapitalismus und Cloudkommunismus. Die heilige Klara ruft zur Hausbesetzung auf. Und wo Nonnen sind, liegen Rosalías virale Lyrics „Seine Angst ist meine Angst“ nicht fern. Passt auch gut, denn Hitchcocks Vögel werden an die Wand projiziert. Ich möchte bitte abgeholt werden. Stattdessen werde ich von oben gefilmt und ebenfalls an die Wand geworfen.

In meinem Ohr ertönt ein hochfrequentes Piepsen, das wahrscheinlich Absicht ist, aber auch ein defekter Lautsprecher sein könnte. Dann gibt es doch noch etwas Tierquälerei light, als ein echter Esel in den Bühnenstall geführt wird. Sophie Rois und das Ensemble beten das „Hippietier“ an, raunen etwas von „Salami“ und hoffen auf die Erlösung.

„Proprietà privata: Die Influencer Gottes kommen!“ in der Volksbühne

nächste Aufführungen: 10./19./28.12, 2./18.1.26, Volksbühne

Zwei Stunden hat mich Sophie Rois angeschrien und mit ihrer Riesenzigarette bis in Reihe 16 vollgeräuchert. Am Ende war es eine schwere Geburt, dieses Krippenspiel, diesen Text zu schreiben, diesen Text zu lesen vermutlich auch. Jetzt sind wir alle davon erlöst.