DruckenTeilen
Selenskyj, Merz, Macron und Starmer verhandelten in London einen eigenen Friedensplan für ein Ende des Ukraine-Kriegs. Trump dürfte das vor den Kopf stoßen.
London – Ist die lange beschworene Einigkeit der Europäer mit Donald Trump vorbei? Die Ukraine erarbeitete am Montag (8. Dezember) gemeinsam mit Deutschland, Frankreich und Großbritannien eine eigene Version eines Friedensplans – ohne die USA. Am heutigen Dienstag soll er der US-Regierung übermittelt werden, ebenfalls ohne vorherige Absprache mit US-Präsident Trump. In den USA dürfte das auf wenig Begeisterung stoßen.
Demonstrierten in London Einigkeit bei den Ukraine-Verhandlungen (v.l.): Wolodymyr Selenskyj, Keir Starmer, Friedrich Merz und Emmanuel Macron. © IMAGO/Pool/ABACA
Der Friedensplan der Europäer soll 20 Punkte umfassen. „Die offen Ukraine-feindlichen Positionen wurden herausgenommen“, stellte Selenskyj klar. Die Trump-Regierung warf europäischen Politikern prompt „unrealistische Erwartungen“ und Blockade im Ringen um Frieden mit Russland vor.
Selenskyj handelt mit Merz eigenen Friedensplan aus – Wende gegenüber Trump
Welche Punkte Selenskyj konkret mit seinen europäischen Partnern am Montag in London ausgehandelt hat, bleibt bisher geheim. Zusammengesessen sind in London der deutsche Kanzler Friedrich Merz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premier Keir Starmer. Die Verhandlungen waren kurzfristig anberaumt worden: Merz flog nach seinem Israel-Antrittsbesuch sofort nach London. Am Abend war er zurück, um sich in einem ARD-Studio den Fragen von Bürgern zu stellen.
Trump diktierte bei den Ukraine-Verhandlungen bisher die Parameter. Die Europäer waren bestenfalls Randfiguren und schienen den Launen des US-Präsidenten machtlos ausgeliefert. Zuletzt machte sich bei Merz, Macron und Starmer wohl immer mehr Ernüchterung breit über Trump, heißt es von Beobachtern. Trumps unabgesprochener Hauruck-Friedensplan, der einem Kapitulationsplan nach Putins Vorstellungen glich, hätte vor allem Merz ehrlich bestürzt. Wollte man sich bisher möglichst gut mit dem US-Präsidenten stellen, um ihn bei der Stange zu halten, zeichnet sich jetzt offenbar eine härtere Linie ab.
Ukraine-Verhandlungen in Washington: Trump-Gipfel mit Merz und Co. in Bildern
Fotostrecke ansehenTrump liefert Europa Grund für Unmut – und spottet über Selenskyj
Gründe für den Unmut Europas lieferte Trump zuletzt genug: In der neuen nationalen Sicherheitsstrategie der USA ist vom „Niedergang Europas“ die Rede und davon, dass Widerstand gegen die EU gefördert werden soll. Auch in der NATO wollen die USA ab 2027 andere Saiten aufziehen.
Über Selenskyj spottete Trump, er habe den US-Friedensplan nicht einmal gelesen – dabei wurde er ihm da noch nicht einmal offiziell in Papierform übermittelt. Und immer mehr Indizien tauchen auf, die nahelegen, dass es den USA mehr um Geschäfte mit Russland geht, als um einen gerechten Frieden in der Ukraine. In Washington gebe es einige, die aus dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine einen ökonomischen Nutzen ziehen wollten, merkte Merz vergangene Woche kritisch an.
Selenskyj will Trumps Friedensplan nicht unterschrieben – auch wenn USA verärgert sind
Dass man Trump künftig nicht mehr bedingungslos huldigen will, wurde auch in den Statements deutlich, die Selenskyj nach den Verhandlungen in London abgab. Insgesamt ergibt sich das Bild, dass die Ukraine nicht gewillt ist, einfach alles zu unterschreiben, was Donald Trump in den Ukraine-Verhandlungen auf den Tisch legt:
- Selenskyj betonte gegenüber dem US-Nachrichtendienst Bloomberg, Trump habe seine „eigene Vision“ von einem Kriegsende, die sich von den Vorstellungen der Ukraine unterscheide.
- Sicherheitsgarantien der USA müssten laut Selenskyj vom US-Kongress abgesegnet werden. Ein Versprechen von Trump allein reiche nicht. „Es gibt eine Frage, auf die ich – und alle Ukrainer – eine Antwort haben wollen: Was werden unsere Partner tun, wenn Russland erneut einen Krieg beginnt?“, sagte Selenskyj zu Bloomberg.
- Gebietsabtretungen an Putin als Gegenleistung für US-Sicherheitsgarantien würden nicht diskutiert. „Wir haben nach dem Gesetz keinerlei Recht dazu – weder nach dem Gesetz der Ukraine noch unserer Verfassung oder dem Völkerrecht, wenn wir ehrlich sind“, sagte Selenskyj laut der Agentur Interfax.
USA pochen auf Forderungen bei Ukraine-Verhandlungen – Selenskyj und Merz halten dagegen
Ein europäischer Beamter, der mit den Verhandlungen vertraut sein soll, sagte außerdem zu Politico: „Die Amerikaner haben einen einfachen Blick auf die Sache: Russland will, dass die Ukraine Gebiet abgibt, und die Amerikaner denken darüber nach, wie das möglich zu machen ist.“ Die USA bestünden darauf, „dass die Ukrainer den Donbass aufgeben, wie auch immer das konkret aussehen soll“.
Niemand soll daran zweifeln: Unsere Unterstützung wird nicht nachlassen.
Kanzler Friedrich Merz veröffentlichte nach dem Treffen in London ein Foto, auf dem er Selenskyj umarmt, und schrieb: „Wir sind hier, um zu sehen, wie wir unsere Anstrengungen verstärken können. Niemand sollte daran zweifeln: Unsere Unterstützung wird nicht nachlassen.“
Selenskyj betonte nach dem Treffen in London, ebenfalls auf X: „Unsere Positionen sind in allen Fragen aufeinander abgestimmt. Wir handeln koordiniert und konstruktiv.“ Der ukrainische Präsident war nach den Verhandlungen in London direkt nach Brüssel geflogen, um EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und NATO-Generalsekretär Mark Rutte über den Stand der Dinge zu informieren. Dann reiste er weiter nach Rom, wo er Papst Leo XIV. traf.
Trump soll in Ukraine-Verhandlungen massiven Druck auf Selenskyj gemacht haben
Angesichts der Optionen, die Selenskyj aktuell in den Ukraine-Verhandlungen hat, scheint sich der ukrainische Präsident vorerst entschieden zu haben: Er will die Bedingungen, die Wladimir Putin und Trump ihm aufoktroyieren wollen, vorerst nicht akzeptieren.
Trump soll in den vergangenen Tagen laut der ukrainischen Nachrichtenagentur Unian massiv Druck auf Selenskyj ausgeübt haben, heißt es in mehreren Medien: Vor allem um die freiwillige Abtretung des gesamten Donbass an Putin soll es dabei gegangen sein. Selenskyj müsse „in die Gänge kommen und Dinge akzeptieren“, schimpfte Trump in einem Interview mit Politico. Europa warf der US-Präsident vor, „nicht gut“ mit dem Konflikt in der Ukraine umzugehen.
Merz ging zuletzt auch bei der Frage der Freigabe von russischem Staatsvermögen an die Ukraine auf Konfrontationskurs zu Trump – dieser wollte die in der EU eingefrorenen russischen Gelder für die USA reservieren, der Kanzler protestierte vehement. (Quellen: Politico, Unian, Bloomberg, Interfax, Bild) (smu)