Leipzig. Die Leipziger Lastenrad-Landschaft befindet sich im Umbruch. Seit einem Jahr „pausiert“ das städtische Leihsystem, hieß es bis vor wenigen Tagen auf der Homepage. Tatsächlich ist das Pilotprojekt beendet. Ihre Transporträder hat die Kommune an ein privates Unternehmen abgegeben.

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Von einstigen Ambitionen, bis 2025 ein System mit 75 Lastenrädern in ganz Leipzig aufzubauen, ist aktuell nicht mehr viel übrig. Hört man sich in der Branche um, fallen Sätze wie: „Die Euphorie ist ein bisschen verflogen.“ Nach einer mehr als zweijährigen Testphase war die Luft offenbar erstmal raus.

Pilotbetrieb von Lastenrädern in Leipzig beendet

Von Juli 2022 an ließen sich in Leipzig über den Anbieter Nextbike Lastenräder ausleihen. Gefördert vom Bundesprogramm Transportrad Initiative Nachhaltiger Kommunen (TINK), mit Know-How, Monitoring und 15 Lastenrädern. Das Amt für Wirtschaftsförderung verdoppelte die Anzahl, um die Räder auch an Gewerbestandorten zu erproben.

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Seitdem wurde der Pilotbetrieb mehrfach verlängert. Der Fahrradkurierdienst Fulmo übernahm die Logistik. Die Stadt schoss nach eigenen Angaben jährlich 55.000 Euro aus dem Klimaschutzprogramm zu. Ein eigenwirtschaftlicher Betrieb eines Leihsystems galt schon damals als herausfordernd.

Konkret kostete jedes Lastenrad im Schnitt 117 Euro pro Monat, wie aus einem Evaluationsbericht hervorgeht. Stark abhängig vom Standort und der Jahreszeit. Insbesondere im Winter war die Nutzung mit durchschnittlich einer Leihe alle fünf Tage sehr gering. Dazu kamen: zerstochene Reifen, gestohlene Akkus und eine große Zahl an Fehlabstellungen.

Auswertung für die Data Science Challenge: Viele Lastenrad-Touren (gelb) endeten während des Pilotprojekts in Leipzig an anderen Orten (grün) als an den vorgesehenen Abgabestellen (rot). Die falsch abgestellten Transporträder wieder richtig zu sortieren, kostete Zeit und Geld.

Zugleich diente der Leihbetrieb vielen Menschen als erster Kontakt zum Lastenrad: ob zur Kinderabholung, zum Großeinkauf oder zum Warentransport. Fast jede zweite Leihe ersetzte dem Bericht zufolge eine Autofahrt. Das Rathaus bewertet das Pilotprojekt als erfolgreich.

Leipziger Unternehmen Fulmo hält die Fahne hoch

Trotzdem beendete die Kommune Ende 2024 den Testbetrieb, es fehle das Geld. Die noch vorhandenen 14 Räder wurden im Juni als Zuwendung an das Leipziger Unternehmen Fulmo Velobility abgegeben.

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Dieses konnte mit den alten Modellen nicht viel anfangen und stellte sie zum Verkauf. Zu dritt entwickelte man in der eigenen Werkstatt eine Alternative. Leichter reparierbar sollte sie sein, das Reifenwechseln dauere jetzt fünf statt 25 Minuten, erzählt Mitgründer Florian Exner. „Insbesondere im Winter sind einem da bei Reparaturen früher fast die Hände abgefroren“, sagt er, um direkt hinterherzuschieben: „Und dadurch sparen wir Personalkosten.“

App zum Leihen von Lastenrädern

Denn ohne öffentliche Zuschüsse geht es nur mit einer guten Portion Idealismus: „Wir kommen aus einem fahrradenthusiastischen Umfeld, sonst könnten wir das hier nicht machen.“ Nun sind die ersten Räder wieder über eine App ausleihbar. Exner blickt optimistisch in die Zukunft: Schon bald sollen sich ihre selbstgebauten Lastenräder auf 30 verdoppeln, eventuell wollen sie auch in anderen Städten Fuß fassen.

Wo kann man in Leipzig Lastenräder ausleihen?

Fulmo nimmt für eine Stunde 3,50 (Muskel) bzw. 5 Euro (Elektro). Die Räder sind buchbar über eine App. Ebenso jene von den Leipziger Verkehrsbetrieben. Bei Rad3 lassen sich die Räder tagesweise mieten, das kostet 26 bzw. 38 Euro. Vereine wie der ADFC und der BUND bieten eine kostengünstige oder spendenbasierte Alternative. Im Lastenradkollektiv KOLARA verleihen private Eigentümer ihre Räder.

Klar ist aber auch für Fulmo: In den Randbezirken, wie vom Stadtrat gefordert und im Radverkehrsentwicklungsplan empfohlen, wird es ohne öffentliche Gelder nicht gehen. „Innenstadtfern ist bisher noch kein uns bekanntes Transportradsystem (und vermutlich überhaupt kein Sharing-Anbieter) wirtschaftlich, so dass ein Unternehmen ohne Bezuschussung nicht in der Stadt aktiv werden wird“, konstatiert das Rathaus auf Anfrage.

Bestätigt wird das durch einen Test der Leipziger Verkehrsbetriebe. Seit dem Frühjahr stehen vier Lastenräder in Gohlis-Nord, Mockau, Lindenthal und Wahren. „Die Nutzung im Norden ist mit im Schnitt 0,5 Leihen pro Rad und Tag eher mäßig“, sagt Konzernsprecher Marc Backhaus. Nicht vergleichbar mit Zahlen, wie etwa in der Südvorstadt. Ob das Projekt im kommenden Jahr verlängert werde, sei noch unklar.

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Lastenräder: CDU skeptisch, SPD dafür

Die Auswertung könnte auch ein Wegweiser für die gesamtstädtische Lastenrad-Strategie sein. Der Aufbau eines Leihsystems sei weiter geplant, gibt das Mobilitäts- und Tiefbauamt zu Protokoll. Frühere Pläne, möglichst schnell einen Anbieter mit 100 Leih-Lastenrädern an Land zu holen, wurden aber gebremst. Eigene Räder wolle man zudem nicht wieder beschaffen.

Das Projekt wurde nicht eingestellt, sondern muss auf neue Beine gestellt werden.

Stadt Leipzig zum Transportradmietsystem

Im Stadtrat gehen die Meinungen auseinander. Die SPD will sich weiter für ein Mietsystem einsetzen. Es sei ideal, um erste Erfahrungen mit Lastenrädern zu sammeln, meint ihr verkehrspolitischer Sprecher Frank Franke. „Als wachsende Stadt müssen wir alle Verkehrsmittel im Blick behalten.“

Die CDU sieht Transporträder nur als „ergänzendes Element“ und die Kommune nicht in der Pflicht. „Die bisherigen Ausleihzahlen haben deutlich gezeigt, dass diese Räder überwiegend ungenutzt herumstanden, anstatt regelmäßig in Bewegung zu sein“, teilt Stadtrat Falk Dossin mit.

Rathaus arbeitet weiter an flächendeckendem Leihsystem

Interessensverbände wie der ADFC Leipzig betonen die Nachhaltigkeit der Transporträder. Leihsysteme „demokratisieren den Zugang zu dieser Mobilitätsform“ und sollten von der Stadt weiter gefördert werden, heißt es.

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Aufgegeben hat man die Idee einer flächendeckenden Verfügbarkeit von Lastenrädern im Rathaus noch nicht. Die zuständigen Stellen arbeiten nach eigenen Angaben weiter an einem Konzept. Die Zukunft eines stadtweiten Transportradmietsystems sei in der aktuellen Haushaltslage aber unklar.

LVZ