DruckenTeilen
Wladimir Putin will im Ukraine-Krieg mehr als nur Land. Selenskyj sieht sich immer stärkeren Druck aus den USA ausgesetzt. Doch die Gefahr bleibt. Eine Analyse.
Moskau/Washington – Bis Weihnachten soll eine Entscheidung fallen: In Washington wächst die Ungeduld und Donald Trump soll laut Berichten der Financial Times Kiew unter Druck gesetzt haben, um auf den jüngsten Entwurf für ein Ende des Ukraine-Kriegs zu reagieren. Das Team des US-Präsidenten wies dies zwar inzwischen zurück und beteuerte, dass das Ziel der Regierung darin bestehe, eine für beide Seiten akzeptable Vereinbarung zu erzielen. Doch der steigende Druck auf Wolodymyr Selenskyj bleibt unbestritten.
Wladimir Putin hält im Ukraine-Krieg an harten Forderungen für Frieden fest. Dafür gibt es einen möglichen Grund. (Archivbild) © IMAGO/Gavriil Grigorov/SNA
Der Präsident der Ukraine wurde erst kürzlich seitens der USA mit Aussagen zu fehlenden Wahlen in der Ukraine konfrontiert. Derweil bemüht sich Selenskyj umso stärker, gemeinsam mit den europäischen Partnern die Bedingungen für Friedensverhandlungen zu verbessern. Der ursprünglich von Trump vorgelegte 28-Punkte-Plan enthielt unter anderem Vorschläge zum Umgang mit territorialen Fragen, die für die ukrainische Regierung nicht haltbar sind – und warf die Frage auf, inwieweit sich überhaupt ein tragfähiger Frieden erreichen ließe, den beide Seiten akzeptieren. Denn Russland pocht weiter auf den Donbass. Doch selbst wenn Selenskyj gegenüber Wladimir Putin einlenken würde, könnte dies am Ende nicht ausreichen.
Kein Ende des Ukraine-Kriegs: Russland erkauft Erfolge mit hohen Verlusten
Der Kreml hatte zuletzt immer wieder erklärt, ein Ende des Ukraine-Kriegs sei erst möglich, wenn Kiew seine Truppen aus dem Donezk abziehen würde. Andernfalls würde Russland mit ganzer Härte weiter vorrücken, um schließlich den ganzen Donbass einzunehmen. Doch militärisch erscheint dieses Ziel für Russland in der aktuellen Phase des Ukraine-Kriegs kaum erreichbar: russische Erfolge an der Front müssen gegenwärtig mit hohen Verlusten erkauft werden.
Lettlands Außenminister Baiba Braže erklärte gegenüber CNN kürzlich: „Die Wahrheit ist, dass Russland im letzten Jahr weniger als ein Prozent des ukrainischen Territoriums hinzugewonnen hat.“ Die Kiewer Armee ist gegenüber der russischen Übermacht zahlenmäßig deutlich unterlegen, dennoch wäre ein Vorstoß von Putins Truppen im Donbass wahrscheinlich mit Zehntausenden gefallenen Soldaten verbunden.
Wladimir Putin: Der Aufstieg von Russlands Machthabern in Bildern
Fotostrecke ansehen
Doch selbst im hypothetischen Fall eines Gebietsabtritts an Russland, sofern verfassungsmäßig möglich, würde am Ende womöglich nicht dafür sorgen, dass ein Waffenstillstand oder gar eine Beendigung des Ukraine-Kriegs erreicht werden, wie Mykola Bielieskov gegenüber der Times analysiert. Aus russischer Sicht ginge es bei den Plänen nicht um eine tatsächliche Beilegung des Krieges, „sondern darum, in der Ukraine Spaltungen zu erzeugen und auszunutzen, um weitere Gebietsgewinne zu erzielen und die eigene Verhandlungsposition weiter zu stärken“.
„Geht um Respekt“: Putin buhlt im Ukraine-Krieg um Anerkennung
Der ehemalige Ministerpräsident von Russland, Michail Kasjanow, erklärte laut Times, Putin sei besessen davon gewesen, die westliche Anerkennung der Moskauer Herrschaft über die gesamte Donbass-Region zu sichern. „Es geht um Respekt vor ihm und seiner Macht, damit niemand auch nur den geringsten Grund hat, ihn für schwach zu halten“, führte Kasjanow zur wahren Motivation des russischen Präsidenten aus.
Dass Putins Streben im Ukraine-Krieg nicht nur geopolitischer Natur ist, sondern auch andere Ursachen haben könnte, mutmaßten mehrere Experten immer wieder im Verlauf des Konflikts. Unter anderem das Santa Clara Markkula Center für Applied Ethics schrieb bereits 2022 über den Narzissmus des Präsidenten, mahnte allerdings zugleich aus ethischer Sicht zur Vorsicht bei Ferndiagnosen. Modern Diplomacy verwies in einer Analyse unter anderem auf den Zusammenbruch der Sowjetunion als nationales Trauma, das Putins Handeln mitbestimmen soll.
Experten berufen sich in diesem Zusammenhang häufiger auf die Aussagen des russischen Präsidenten, der Zusammenbruch der UdSSR sei die „größte geopolitische Katastrophe“ des 20. Jahrhunderts gewesen. Eine türkische Studie der Mus Alparslan University kam derweil zu folgendem Ergebnis: Putins Narzissmus hat sich entwickelt, weil der jetzige Präsident früher traumatisiert wurde, in der Kindheit für sein Alter unangemessene Frustrationen erlebte und neben einer fürsorglichen Mutter mit einem überautoritären Vater aufwuchs.
Ende des Ukraine-Kriegs als Herausforderung des Westens
Modern Diplomacy analysierte zudem, dass es Putin beim Ukraine-Krieg nicht nur um Kontrolle geht, sondern besonders um die Anerkennung durch die Vereinigten Staaten. Er will demnach als gleichwertiger Akteur behandelt werden. Mit welchem Nachdruck dies verfolgt wird, zeigt sich im russischen Narrativ des „Geistes von Anchorage“: Regierungsnahe Medien greifen die Metapher regelmäßig auf, um an das Treffen zwischen Putin und Trump in diesem Jahr zu erinnern – in der Hoffnung auf eine neue, pragmatische Ära der Beziehungen zwischen den USA und Russland.
Mit Blick auf den ursprünglichen Friedensplan, den Trumps Regierung vorgebracht hatte, schrieb das Atlantic Council, dass „Putin auf maximale Macht aus ist und keinerlei Interesse an einem Kompromissfrieden hat“. Die daraus resultierende Herausforderung für den Westen: Die westlichen Staaten „müssen beweisen, dass sie den politischen Willen besitzen, seine verqueren imperialen Fantasien an der Verwirklichung zu hindern“. (Quellen: Financial Times, Times, CNN, Modern Diplomacy, Santa Clara Markkula Center für Applied Ethics, Atlantic Council) (fbu)