Für „ziemlich dumm“ hält Donald Trump einige seiner europäischen Amtskolleginnen und -kollegen. Das gab der US-Präsident gewohnt ungeniert in einem teils zusammenhanglosen Interview mit der US-amerikanischen Tageszeitung „Politico“ am Dienstag preis. Ohne Namen zu nennen, behauptete der 79 Jahre alte Republikaner, dass er die „jetzige Truppe sogar sehr“ möge. Aber gute Arbeit mache keiner von ihnen.
Damit bekräftigte der 47. US-Präsident, was seine Regierung bereits in der Woche zuvor in der Nationalen Sicherheitsstrategie ankündigte und viele Regierungschefs zwischen London und Warschau fürchten: Auf Unterstützung der einstigen Schutzmacht USA ist kaum noch viel Verlass.
Das scheint der militärische Nachrichtendienst aus Dänemark ganz ähnlich zu sehen. In seinem am Mittwoch veröffentlichten, jährlichen Lagebericht rückt der Geheimdienst „Forsvarets Efterretningstjeneste“ (FE) nicht nur Russland und China in den Fokus externer Bedrohungen – sondern erstmals auch die Vereinigten Staaten.
USA nutzen ihre Stärke gegen Verbündete
Die Beziehungen beider Länder sind angespannt, weil Donald Trump seit Jahresbeginn wiederholt Gebietsansprüche auf Grönland erhebt – offiziell im Namen US-amerikanischer Sicherheitsinteressen. Dabei sind sowohl die Vereinigten Staaten als auch das skandinavische Königreich Gründungsmitglieder der Nato und seit Jahrzehnten verbündete Alliierte.
Grönlands Hauptstadt Nuuk liegt näher an New York als an Kopenhagen.
© Tagesspiegel⁄Rita Böttcher
Konkret heißt es in der aktuellen Bedrohungsanalyse, dass die USA ihre „wirtschaftliche und technologische Stärke nun als Machtinstrument, auch gegenüber Verbündeten und Partnern“ einsetzen.
„Es war schon ein kleiner Schock“, sagt der Politikwissenschaftler Rasmus Sinding Søndergaard vom Dänischen Institut für Internationale Studien dem Tagesspiegel. „Wir sind es nicht gewohnt, dass unsere Geheimdienste die USA in ihren Lagebericht aufnehmen. Daher ist das ein bedeutender Wandel.“
Der Bericht stellt aber klar, dass die USA weiterhin ein wichtiger Verbündeter Dänemarks sind und die Nato eine zentrale Rolle für Dänemarks Sicherheit spielt.

Rasmus Sinding Søndergaard forscht am Dänischen Institut für Internationale Studien zu US-amerikanischer Außenpolitik.
Dass Washington jedoch immer weniger Interesse an Europa zeigt, und der Geheimdienstbericht dies nun auch formell anerkennt, sei grundsätzlich aber wenig überraschend.
Immer wieder drohte Donald Trump in diesem Jahr damit, sich die autonome Nordatlantikinsel Grönland notfalls auch mit wirtschaftlicher oder militärischer Gewalt einzuverleiben, immer wieder bekräftigten führende Republikaner wie der Außenminister Marco Rubio öffentlich die Ernsthaftigkeit solcher Aussagen. Sowohl US-Vizepräsident JD Vance als auch Trump-Sohn Donald Jr. besuchten die Insel medienwirksam zu Jahresbeginn.
Supermärkte kennzeichnen europäische Produkte Dänen wollen weniger Waren aus den USA kaufen
Das autonome Grönland gehört als ehemalige Kolonie Dänemarks seit Jahrzehnten gemeinsam mit den Färöer-Inseln zum Rigsfællesskab, einer Art dänischem Commonwealth. Über die Sicherheits- und Außenpolitik bestimmt weiterhin Kopenhagen.
Russland bleibt größte Bedrohung
Die dortige sozialdemokratische Regierungschefin, Mette Frederiksen, hat US-Besitzansprüche stets scharf zurückgewiesen. Zugleich betonte sie regelmäßig, dass die USA Dänemarks „engster Verbündeter“ blieben.
Russland, China und die USA verfolgen unterschiedliche Interessen in der Arktis, doch alle drei Staaten möchten eine größere Rolle in der Region spielen.
Jahresbericht des militärischen Nachrichtendiensts Dänemarks
Die Geheimdienstler des dänischen Nachrichtendienstes FE scheinen das nicht mehr ganz so klar zu sehen. Über „die Rolle der USA als Garant für Europas Sicherheit“ herrscht dem Lagebericht zufolge „Unsicherheit“. Die jüngste Nationale Strategie der US-Regierung dürfte diese Einschätzung zusätzlich bestätigt haben.
Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen (r) und der grönländische Regierungschef Jens-Frederik Nielsen lächeln bei einem Treffen in der dänischen Hauptstadt.
© dpa/Mads Claus Rasmussen
„Die Gesamtbewertung des Berichts lautet jedoch, dass Russland die Hauptbedrohung darstellt. Er stellt außerdem klar, dass die USA weiterhin ein wichtiger Verbündeter Dänemarks sind und die Nato eine zentrale Rolle für Dänemarks Sicherheit spielt“, sagt Rasmus Sinding Søndergaard. „Insgesamt zeichnet der Bericht also ein umfassenderes und komplexeres Bild.“
In einem Interview mit der dänischen Tageszeitung „Politiken“ bekräftigte Geheimdienstchef, Thomas Ahrenkiel, am Mittwoch, dass trotz aller Entwicklungen in den USA die größte Bedrohung für Dänemark weiterhin von Moskau ausgehe: „Man neigt dazu, Russland zu unterschätzen, aber das sollte man nicht.“
2.130.800
Quadratkilometer groß ist die Insel im Nordatlantik, etwa zehnmal größer als Großbritannien.
Der Geheimdienstanalyse zufolge werde Russland sechs Monate nach einem siegreichen Ende des Ukrainekriegs wieder in der Lage sein, ein Nachbarland anzugreifen. Fünf Jahre später könnte sich das zu einem großangelegten Krieg in Europa entwickeln – sollten die USA nicht eingreifen.
Obwohl die USA sich zuletzt kaum mehr öffentlich über Grönland äußerten, haben sie Ahrenkiel zufolge weiterhin ein größeres Interesse an den Entwicklungen in der Arktis, insbesondere im Hinblick auf Grönland.
Zugleich verfolgt dem Geheimdienstbericht zufolge auch Peking sicherheitspolitische Interessen in der Arktis und hat diese in den vergangenen Jahren „deutlich erhöht, während Russland seine militärische Präsenz weiter ausbaut und China daran arbeitet, künftig mit U-Booten und Überwasserschiffen in der Region operieren zu können“. Auch das stuft der FE als Bedrohung für Dänemarks sicherheitspolitische Interesse ein.
Mehr zum Thema bei Tagesspiegel Plus Trumps Kampf um Grönland „Im Prinzip könnte es aus Putins Drehbuch stammen“ Spionageoffensive in Grönland „Die USA wollen die Menschen auf ihre Seite ziehen“ Historischer Besuch in Grönland Macrons Signal an Donald Trump
Mit Blick auf den Nordatlantik bauen beide Staaten demnach ihre Zusammenarbeit weiter aus, auch um „China größeren Zugang zu seinen arktischen Gebieten gewähren“, schreibt der Geheimdienst in seiner Analyse.
„Die Konsequenz daraus ist, dass wir unsere Investitionen in die eigene Verteidigung erhöhen müssen und in der Lage sein sollten, unsere Sicherheit auch ohne die Unterstützung der USA zu gewährleisten“, sagt Rasmus Sinding Søndergaard. „Die wichtigste Lehre aus dieser Bedrohungsanalyse lautet: Es ist entscheidend, dass wir den Ausbau unserer Verteidigungsfähigkeiten beschleunigen.“