Im großen „Politico“-Interview hat Trump für Europa nur noch Verachtung übrig – und im Kreml ist die Freude groß. Putin hofft, dass Washington den alten Kontinent fallenlässt. Denn dann kann Moskau endlich zum entscheidenden politischen Schlag ausholen.
Der US-Präsident Donald Trump hält nicht viel vom Europa der Gegenwart. Im Interview mit der WELT-Schwesterpublikation „Politico“ sagte er, Europa verfalle und werde von den eigenen Regierungen zerstört. Er wollte ein starkes Europa sehen, den Kernpunkt dazu sieht er in restriktiver Migrationspolitik. Die Ukraine stehe auf der Verliererseite. Dort solle man trotz des Kriegszustandes Präsidentschaftswahlen abhalten.
Trumps Position steht im Einklang mit der am vergangenen Freitag veröffentlichten nationalen Sicherheitsstrategie seiner Regierung. Wer hierzulande gedacht hat, die Spitzen der US-Regierung gegen Europa seien folgenlose Rhetorik, werden nun eines Besseren belehrt.
Trumps neues Leitdokument der nationalen Sicherheit ist nicht weniger als ein ideologischer Bruch mit Europa, der eine Jahrzehnte währende transatlantische Gemeinschaft infrage stellt. In keinem anderen Land dürfte die Schadenfreude darüber derzeit größer sein als in Russland. Im Kreml spekuliert man seit Jahren auf einen Streit zwischen den USA und Europa – der nun Realität wird.
Im Dokument ist die Rede davon, dass es Ziel der US-Regierung sei, das Verhältnis zu Russland zu verbessern und den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beenden. Die Nato dürfe keine „sich ewig ausdehnende Allianz“ sein. Den europäischen Verbündeten Washingtons drohe die „Auslöschung der Zivilisation“ wegen verfehlter Migrationspolitik. Auch am Umgang mit der Meinungsfreiheit in Europa üben die Amerikaner Kritik.
In Moskau registriert man mit Genugtuung, dass die US-Regierung Russland zum ersten Mal in jüngster Geschichte nicht als Bedrohung für die nationale Sicherheit deklariert. Aus dem Kreml hieß es, die neue Strategie der USA für die nationale Sicherheit stehe größtenteils im Einklang mit der Vision Moskaus.
Laut Wladimir Putins Sprecher Dmitrij Peskow begrüßt man den Fokus auf den Aufbau konstruktiver Beziehungen. Auch Trumps Forderung nach Wahlen in der Ukraine dürfte dem Kreml gefallen. Putin betont regelmäßig, Wolodymyr Selenskyj sei kein legitimer Präsident.
Der Ex-Präsident und Vizevorsitzender des russischen Sicherheitsrates Dmitrij Medwedjew ging wie gewohnt weit über die diplomatischen Formeln Peskows hinaus. Die Amerikaner dressierten die „irre gewordene EU“, damit das „kranke Tier sich ins Gedächtnis ruft, wer der wahre Zirkusdirektor“ sei. Der „Großmacht-Pragmatismus Trumps“ sei besser als der „globalistische Schwachsinn Bidens“.
Das gebe Russland Raum für eine „mehr oder weniger zivilisierte Diplomatie“. Die Signale aus Washington seien „alles andere als eine freundschaftliche Umarmung“, aber die Bereitschaft, die „Sicherheitsarchitektur“ zu diskutieren, sei da. Vom „imbezilen Europa“ erwarte man aber wenig Gutes.
Diese Statements passen in den Trend der russischen Propaganda seit dem Amtsantritt Donald Trumps. Seitdem versuchen die Russen, Kiew und die Europäer als Störenfriede auf dem Weg zu einer Friedenslösung in der Ukraine darzustellen. Die USA, die inzwischen mit europäischen Geldern finanziert Waffen an die Ukrainer liefern, sind für die Russen geradezu Pazifisten.
Strategie des Kremls geht offenbar auf
Diesen Widerspruch hält der Kreml aus. Putin geht es darum, Trump so weit zu umgarnen, dass die Amerikaner die Europäer möglichst sich selbst überlassen. Russland will nach der Maxime „teile und herrsche“ vorgehen: Sind die Amerikaner erst einmal aus dem Spiel, kann man die Europäer gegeneinander ausspielen.
Bislang scheint die Strategie des Kremls aufzugehen. Doch auch in Moskau folgt auf die Schadenfreude die Vorsicht. Von Peskow über Medwedjew bis hin zur Sprecherin des Außenministeriums Maria Sacharowa betonen die offiziellen Stimmen Moskaus: auf dem Papier liest sich die neue US-Strategie für Russland sehr gut.
Wie sie praktisch umgesetzt wird, sei eine offene Frage. Peskow warnt vor dem „Deep State“ der Amerikaner, der Trump den Strich durch die Rechnung ziehen könnte. Medwedjew schreibt in einem Posting bei VKontakte, ein „neuer wildgewordener Biden“ könne alles zunichtemachen, was die heutige „MAGA-Mannschaft“ plane.
Das ist für die Russen das fundamentale Problem im Umgang mit den Amerikanern. In Europa bietet die Demokratie dem Kreml Chancen – etwa durch Wahleinmischung zugunsten russlandfreundlicher Rechtspopulisten – in Amerika birgt sie für Russland inzwischen nur Risiken.
Anders als Russland, wo Putin seit 25 Jahren die Außenpolitik bestimmt und mindestens zehn weitere Jahre lang bestimmen will, sind die USA eine Demokratie. Mit jeder neuen US-Administration könnten sich die Akzente verschieben. Das erklärt die Bemühungen Russlands, einen solchen Deal mit den Amerikanern zu erreichen, der einen US-Politikwechsel aushält. Die vergangenen Wochen zeigen: Davon ist der Kreml noch weit entfernt.
Pavel Lokshin ist Russland-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2017 über Russland, die Ukraine und den postsowjetischen Raum.